Kein Aufruf zum Frieden - zum neuen Appell von "Adopt a Revolution"

»Freiheit braucht Beistand«, heißt es in einem Appell zur Unterstützung des Widerstands in Syrien. Initiatoren setzen weiter auf Umsturz – und damit auf Fortsetzung des Krieges
Von Joachim Guilliard
junge Welt, 12.12.2012 / Schwerpunkt / Seite 3

Update: An einer Stelle, wird fälschlich eine Passage aus einer früheren Version des Aufrufs zitiert, die kurz vor Veröffentlichung noch geändert wurde. Die Änderung habe ich übersehen. Mit der zitierten Version waren aber drei Tage zuvor noch Unterzeichner gesucht worden. Die entsprechende Stelle ist unten gekennzeichnet und in einer Endnote kommentiert.

Angesichts des eskalierenden Krieges in Syrien sollte der Stopp der Gewaltspirale für alle, denen das Wohl der syrischen Bevölkerung am Herzen liegt, oberste Priorität haben. Die Frankfurter Hilfsorganisation medico international und ihre Mitstreiter in der Initiative „Adopt a Revolution“ (AaR), die sich seit einem Jahr bemühen, Oppositionsgruppen über „Patenschaften“ finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, sehen dies offenbar anders.
Sie fordern in einem »Aufruf zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen in Syrien« trotz eines von außen geschürten Krieges vorrangig »Beistand« für die »Freiheit«. Zwar werden in ihrem am Montag veröffentlichten Appell auch Gewalt und Zerstörung beklagt und die »Gefahr einer Regionalisierung des Krieges« erwähnt, unbeirrt halten die Revolutionspaten jedoch am Ziel eines Umsturzes fest. In ihrer Sicht hat die ganze junge Generation »ihren Willen zur Freiheit erklärt«, es gebe für diese »keinen Weg zurück«.
 
Selbstverständlich suchen die Initiatoren des Aufrufs nur für unbewaffnete Gruppen Unterstützung. Wenigen Unterzeichnern (siehe unten) dürfte jedoch bekannt sein, wie eng deren Verbindungen zu bewaffneten Aufständischen meist sind (siehe Christoph Marischka und Jürgen Wagner, Bürgerkriegspatenschaft?, Adopt a Revolution muss zur Gewaltfrage Farbe bekennen, IMI-Standpunkt 2012/021).

Weiter appellieren sie »an Medien und Öffentlichkeit in Deutschland, das dramatische Geschehen differenziert wahrzunehmen«. Das klingt angesichts der einseitig gegen die syrische Regierung gerichteten Berichterstattung vernünftig. Ihre Sorge ist jedoch, daß »die Bilder der Gewalt« ihre Sicht widerlegen, wonach der von ihnen unterstützte Teil der Opposition, die Entwicklung in Richtung »Freiheit« und »Demokratie« vorantreiben könne. Abgesehen davon, daß dies sehr vage Ziele sind, [hinter denen kaum mehr als die Ablehnung des „Regimes“ als gemeinsamen Nenner steht], ist offensichtlich, daß auf seiten der Regierungsgegner wesentlich stärkere Kräfte das Heft in der Hand haben.

Dies wird von vielen prominenten Oppositionellen in Syrien selbst auch so gesehen. Mouna Ghanem, von der Bewegung „Building the Syrian State“ und Vertreterin der Opposition bei den Gesprächen mit Kofi Annan, beklagte bereits Anfang des Jahres, daß ganze Stadtviertel und Ortschaften von bewaffneten Rebellen besetzt seien, die die schrumpfende genuine Protestbewegung an den Rand gedrängt hätten. (Syria: truth is the first casualty, The Irish Times, 11.2.2012)
[Und Haytham Manna, Auslandssprecher des „Nationalen Koordinationsrates für Demokratischen Wandel“, einem der größeren Oppositionsbündnisse, erklärte, ausländische Kämpfer hätten die Prinzipien der ursprünglichen Proteste getötet. Hieß die Parole anfänglich noch „Freiheit und Würde“, so gebe es heute nur noch den Ruf „Sprecht mir nach: Allah ist groß!“ (Die ausländischen Kämpfer töten die Prinzipien, mit denen wir den Protest begonnen haben“, Neues Deutschland", 3.9.2012) ]

Im Übrigen werden alle Mythen wiedergekäut, die auch sonst das Bild in den Medien bestimmen. So beginnt der Aufruf mit der Mär, die Protestbewegung sei in den ersten Monaten ausschließlich friedlich gewesen und die Regierung hätte völlig willkürlich mit brutaler Gewalt reagiert. Doch es wurden, auch wenn das Gros der Demonstranten gewaltfrei protestierte, bereits am ersten Wochenende sieben Polizisten erschossen und zahlreiche öffentliche Einrichtungen in Brand gesetzt. Schon in den ersten Wochen waren ein Drittel der Opfer Sicherheitskräfte (siehe Syrien – Der gefährliche Mythos einer „friedlichen Revolution“, junge Welt, 1. Juni 2012).
[„Nahezu jede Demonstration“ sei „ein Begräbnis“ geworden heißt es weiter. Unabhängige Beobachter, wie z.B. die der Mission der Arabischen Liga oder der Journalist Jürgen Todenhöfer, berichteten hingegen, dass ein Großteil der Demonstrationen ungestört verlief. ]

Wahrheitswidrig wird zudem behauptet, das »Regime von Baschar Al-Assad« habe von Anbeginn an »jeden ernsthaften Dialog« verweigert. Man mag die eingeleiteten Reformen für verspätet und unzureichend halten, kann jedoch nicht ernsthaft leugnen, daß ab Frühjahr des letzten Jahres weitreichende Reformschritte eingeleitet wurden. Sie reichen von der Beendigung des Ausnahmezustandes über Liberalisierung der Medien und Parteiengesetze bis zu einer neuen liberalen Verfassung. Insgesamt mehr als in den meisten anderen arabischen Ländern geschah.

Natürlich wird auch der verbreitete Mythos bemüht, die »Freie Syrische Armee« (FSA) sei aus »desertierten Soldaten« entstanden, die sich »weigerten, auf unbewaffnete Protestierende zu schießen«. Dabei ist es mittlerweile kein Geheimnis mehr, daß die unter dem Label »FSA« operierenden Gruppen von Anfang an vorwiegend aus gut trainierten islamistischen Kämpfern aus dem In- und Ausland bestanden. Selbst das Auswärtige Amt gibt an, daß höchstens 3.000, der auf 35.000 geschätzten Kämpfer, Deserteure der syrischen Armee sind – das könnte auch »Adopt a Revolution« wissen, gehen deren Gründer doch im Ministerium Guido Westerwelles ein und aus.

Ausländische Kämpfer und blutige Anschläge werden im Beistandsappell nebenbei erwähnt. Letztlich werden jedoch nicht die Angreifer für die Zerstörungen, die Toten und die Flüchtlinge verantwortlich gemacht, sondern allein die Armee Assads. Sogar die ethnisch-religiös motivierte Gewalt soll von der Regierung geschürt werden, derselben Regierung, die nicht zuletzt deswegen noch Rückhalt bei der Mehrheit der Syrer genießt, weil sie bisher das friedliche Zusammenleben des bunten Bevölkerungsgemisches sicherte. Sie wird nach wie vor von den meisten Minderheiten als Schutz vor den radikalen Islamisten gesehen, die die Opposition dominieren.

Der Einfluß ausländischer Interessen wird kurz thematisiert. {Scharf kritisiert werden allerdings nur Rußland und China, d.h. ausgerechnet die beiden Staaten, die sich am ernsthaftesten für Verhandlungen und eine politische Lösung engagieren. Die »Adopt a Revolution«-Gruppen ärgert, daß die beiden Vetomächte sich diesmal standhaft einseitigen Resolutionen gegen die syrische Regierung widersetzen, die – wie bei Libyen – den NATO-Mächten als Legitimation für ein aggressiveres Vorgehen hätten dienen können. Sie halten eine direktere Intervention offenbar für wünschenswert, wenn sie schreiben: »Im UN- Sicherheitsrat ­decken Rußland und China de facto ein verbrecherisches Regime.«
Der Westen hingegen wird nur milde getadelt: Er erschwere »eine Einigung«, weil er nicht bereit sei, alle Konfliktparteien einzubeziehen.}
*) Stillschweigend gehen die Unterzeichner, darunter Linke-Vorsitzende Katja Kipping, Grünen-Chefin Claudia Roth und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, darüber hinweg, daß es in erster Linie die führenden NATO-Mächte sind, die bisher im Verein mit der Türkei, Saudi -Arabien und Katar alle Ansätze zu einem Waffenstillstand und zu Verhandlungen torpedierten. Sie taten und tun dies, indem sie – am Umsturzziel festhaltend – die verbündeten aufständischen Kräfte zur Fortführung des Kampfes anstachelten, aufrüsteten und immer stärker selbst militärisch intervenieren.

»Kein Dialog ist in Sicht«, beklagen die Revolutionsadoptierer. Doch zählen auch ihre Schützlinge zu den Gruppen, die einen Dialog mit der Regierung ablehnen und statt dessen den Sturz des »Regimes« zur Vorbedingung für Gespräche machen.
Dabei gibt es durchaus oppositionelle Bündnisse und Parteien, deren Hauptziel ein Ende des Krieges und der ausländischen Einmischung ist und die sich für den einzig sinnvollen Weg hin zu einer politischen Lösung engagieren: Verhandlungen mit der Regierung, Suchen von Kompromissen und klare Distanzierung von den bewaffneten Aufständischen wie auch den mit dem Ausland verbündeten Teilen der Opposition.(siehe Eine weitere Oppositionskonferenz in Damaskus: für Frieden und daher ignoriert)
[Statt abstrakt von „Freiheit“ sprechen diese Gruppen vom Ausnutzen der durch die Reformen erweiterten politischen Spielräume für weitergehende Reformschritte. „Für uns gibt es nicht länger ‚Regime’ auf der einen und ‚Opposition’ auf der anderen Seite. Wir alle müssen zusammenarbeiten, um das Land, um Syrien zu schützen, erklärte z.B. Mouna Ghanem gegenüber junge Welt. ]

Wer stattdessen die Kräfte unterstützt, die kompromisslos auf Umsturz setzen, setzt faktisch auf eine Fortsetzung des Krieges. Dafür gab es keinen Beistand geben.

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*) Die kritisierte Passage stammt aus einer Fassung, mit der am 6.12.2012 um Unterzeichner geworben wurde. Sie wurde wie folgt geändert. Nach dem unveränderten Satz:
"Doch liegt die syrische Tragödie auch darin, dass die Zukunft des Landes längst nicht mehr allein in den Händen seiner BürgerInnen liegt: In Syrien kreuzen sich nicht nur türkische, iranische und saudi-arabische Interessen, sondern auch „östliche“ und „westliche“ Außenpolitik. "
heißt es nun:
"Das fand seinen Ausdruck im Scheitern der UN-Friedensmission von Kofi Annan und der anhaltenden Selbstblockade im UN-Sicherheitsrat.
Das klingt zwar besser als "Im UN-Sicherheitsrat decken Russland und China de facto ein verbrecherisches Regime", wirft allerdings auch die Frage auf, welche Form des Eingreifens vom UN-Sicherheitsrat erwartet wird?

Die Friedensmission von Kofi Annan ist schließlich nicht an einem Mandat des Sicherheitsrats gescheitert, sondern daran, dass die maßgeblichen Nato-Mächte und die Golfmonarchen sie torpedierten. Sie wollen keine politische Lösung, keine Kompromsse -- sie wollen nur eines den Sturz der Assad-Regierung. Wenige Tage nach dem Annans Plan im Sicherheitsrat angenommen wurde, traf sich bereits wieder das, als "Freunde Syriens" firmierende Interventionsbündnis und sagte den bewaffnete Aufständischen einige hundert Millionen Dollar zu. Dieses Geld wurde dann auch rasch für Waffen und Ausrüstung investiert. Weiteres Millionenbeträge und Waffen folgten (siehe Syrien: Frieden unerwünscht – NATO eskaliert Contra-Krieg).

Ausgewogene Kritik an „östlichen“ und „westlichen“ Staaten, an Waffenlieferungen "aus Russland, den USA, dem Iran, Europa, der Türkei oder den Golfstaaten" geht am Kern des Problems völlig vorbei. Für die Eskalation sind nicht Rußland und Iran verantwortlich, sondern allein die, die Kämpfer ausbilden und ausrüsten oder aus anderen Ländern ins Land schicken.


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Rot-Rot-Grün – die »Kirona-Front«
junge Welt, 12.12.2012 / Schwerpunkt / Seite 3 (unten)

Für ihren am Montag veröffentlichten Syrien-Appell »Freiheit braucht Beistand« haben die Hilfsorganisation medico international und »Adopt a Revolution« teilweise prominente Erstunterzeichner gefunden (siehe auch jW vom 11. Dezember). Die Initiatoren selbst werben mit der Linke-Vorsitzenden Katja Kipping, mit Grünen-Chefin Claudia Roth und mit SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles – im Internet wird vor der »Kirona-Front« gewarnt. »Kipping-Roth-Nahles als gemeinsame Paten der syrischen Form der Arabellion Seit’ an Seit’ zu erleben ist schon bemerkenswert. Daraus könnte etwas werden. Was? Vielleicht das Etwas für später«, heißt es etwa auf der Internetseite des ND.

Zur illustren Runde der neuen Revolutionspaten gehören des weiteren unter anderem der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz, Kippings Vize Jan van Aken und der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt, der Grünen-Politiker Tom Koenigs sowie Werner Rätz und Jutta Sundermann vom globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC. Außerdem unterzeichneten die Schrifsteller Navid Kermani und Ilija Trojanow sowie der Liedermacher Konstantin Wecker und der Verleger Lutz Schulenburg (Edition Nautilus). Die Professoren Elmar Altvater, Birgit Mahnkopf, Micha Brumlik, Wolfgang Fritz Haug, Frigga Haug und Ekkehart Krippendorff stellen sich als Unterstützer aus der Wissenschaft zur Verfügung.

Allesamt warnen sie: »Jede militärische Aufrüstung der Anrainerländer birgt die Gefahr einer Regionalisierung des Krieges.« Ein Hinweis, daß ihr Beistandspakt die Verlegung von 400 Bundeswehrsoldaten und »Patriot«-Raketen an die türkisch-syrische Grenze ächtet, fehlt wohlweislich. Dabei soll der Bundestag in dieser Woche darüber befinden. (rg)

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