Eine weitere Oppositionskonferenz in Damaskus: für Frieden und daher ignoriert

Drei Tage nach einer international stark beachtenden Oppositionskonferenz am 23. September in Damaskus fand eine zweite Zusammenkunft oppositioneller Kräfte in der syrischen Hauptstadt statt. Bei beiden Konferenzen, die aufgrund des neuen Parteiengesetzes unbehelligt im Land stattfinden konnten, zählten die Beendigung der Gewalt und eine politische Lösung des Konflikts zu den wichtigsten offiziellen Programmpunkten.

Schon die zeitliche Nähe zweier äußerlich ähnlichen Konferenzen sollte neugierig machen. Deuten sie doch darauf hin, dass es neben den großen Differenzen zwischen der innersyrischen Opposition und dem von den intervenierenden NATO-Mächten aufgebauten Syrischen Nationalrat auch einen tiefen Riss innerhalb der heimischen Kräfte gibt. Während jedoch die erste, die „Nationalen Konferenz zur Rettung Syriens“, im Westen breit gewürdigt und von manchen linken Gruppen regelrecht gefeiert wurde, sucht man Berichte über die zweite, die „Konferenz der oppositionellen Parteien und Kräfte für einen friedlichen demokratischen Wandel“, nahezu vergeblich.

Dies, obwohl die Zahl der teilnehmenden Parteien am 26. September größer war als bei der ersten und es im Laufe des Konferenz einen richtigen Knüller gab: Eine Gruppe z.T. hochrangiger Kämpfer der sog. Freien Syrischen Armee, die aus der syrischen Armee desertiert waren, trat überraschend ans Mikrofon und verkündete ihren Entschluss, den Kampf gegen die Regierung einzustellen und wieder in die Armee zurückzukehren.
 
FSA-Kommandeur kehrt zur Armee zurück

„Die Lösung für Syrien liegt nicht in der Anwendung von Waffen, Gewalt, Explosionen oder dem Töten Unschuldiger sagte der Sprecher der Gruppe, Oberstleutnant Khalid Abdul Rahman al-Zamel. Als Syrer würden sie „lehnen wir eine Revolution ab, die mit Blutvergießen beginnt“ so der Ex-Armee-Offizier, der bis dahin FSA-Kommandeur und Mitglied im „Militärrat“ des Süden war. Unter dem Applaus der Konferenzteilnehmer, für die der Auftritt dem Bericht eines anwesenden AFP-Journalisten zufolge, eine Überraschung war, rief er die übrigen Deserteure in den Reihen der FSA auf, ebenfalls den Kampf einzustellen und mit dem Ministerium für nationale Versöhnung zusammenzuarbeiten. Der Rückweg sei auch für die anderen Waffengefährten offen, denn nötig sei eine politische Lösung, die über Reformen gehe, und nicht Zerstörung. (Syrian rebels defect to government forces, RT, 27.9.2012, Video u.a. bei LiveLeak)

Gegensätzliche Oppositionskräfte

Die Wahl dieser Konferenz für ihre öffentliche Abkehr vom bewaffneten Aufstand weist auf den entscheidenden Unterschied zu der vom 23. September hin. Während dort zwar von einer politischen Lösung gesprochen wurde, jedoch am Umsturz als oberstes Ziel festgehalten, Verhandlungen mit der Regierung abgelehnt und die FSA als Bestandteil ihrer „Revolution“ umarmt wurde, trafen am 26. oppositionelle Kräfte zusammen, deren oberste Priorität tatsächlich das Ende der Gewalt ist.

Deutlich wird dadurch, dass die Opposition im wesentlichen in drei Teile geteilt ist: Der erste umfasst die, mit der NATO und den Golfmonarchen verbündeten Anti-Regierungskräfte, die aufgrund ihrer Orientierung und der zahlreichen ausländischen Kämpfer, Söldner, Geheimagenten und Elitesoldaten keine „Opposition“ im eigentlichen Sinne darstellt. Den zweiten Teil stellen die, die einerseits gegen bewaffneten Kampf und ausländische Einmischung sind, jedoch in den Zielen mit denen des ersten Teils übereinstimmen und diese prinzipiell auch als Bündnispartner ansehen. Der dritte schließlich besteht aus Kräften, die zwar politisch in Opposition zur dominierenden Baath-Partei stehen und wie die des zweiten Teils demokratische und soziale Reformen fordern, sich jedoch klar und deutlich gegen einen Umsturz und jegliche Form ausländischer Einmischung stellen und damit auch gegen die Kräfte des ersten Teils.

Der letzte Versuch die beiden ersten Teile unter einem Dach zu einen, endete im Chaos. Als am 3. Juli 2012 auf der großen, von der Arabischen Liga organisierten Konferenz in Kairo, eine der wenigen syrisch-kurdischen Organisation, die teilnahm, unter Protest auszog, kam es unter den verbliebenen Teilnehmer zu einer Schlägerei. Es zeigte sich erneut, dass sie sich nur in einem Punkt einig sind: dem Wunsch, das Regime zu stürzen. (Beschimpfungen und Prügel: Konferenz der syrischen Opposition endet im Chaos, FAZ, 4.7.2012)

Ein Hauptstreitpunkt war die Haltung zur FSA. Die vorbereitete Abschlusserklärung betonte „die Unterstützung für die FSA und alle Formen von revolutionären Bewegungen“ sowie den Wunsch, deren Kräfte zum Erreichen des gemeinsamen Ziels zu einen. Das ging dem NCB damals noch zu weit. (Syria opposition group pulls out of Cairo meet, Al Arabiya, 3.7.2012) Zweieinhalb Monate später, auf der Rettungs-Konferenz, wurde die FSA jedoch zum Bestandteil der „Revolution“ erklärt.

Konferenz pro Dialog

Unter den (je nach Quelle) 24 bis 30 Parteien, die am 26. September zusammen kamen, waren auch die, die vom NCB von der „Rettungskonferenz“ ausgeschlossenen worden waren. Mit der Durchführung einer eigenen Konferenz wollten sie u.a. auch zeigen, dass die auf der ersten zusammengekommenen Kräfte keineswegs das ganze innersyrische Spektrum der Opposition repräsentieren. Reformen wollen auch sie, Priorität hat für sie jedoch die Beendigung der Gewalt und der ausländischen Intervention. (Opposition Conference in Damascus: a Step towards National Reconciliation, Syria Times, 1.19.2012, Opposition Parties Conference Concludes Activities, SANA, 26.9.2012)

Zu den Organisatoren zählt u.a. die „Volksfront für Wandel und Befreiung“ (Popular Front for Change and Liberation PFCL), eines der oppositionellen Bündnisse, die sich an den Wahlen im Mai 2012 beteiligten. Sie sind seither im Parlament und mit ihren beiden Vorsitzenden, Kadri Jamil und Ali Haidar, auch in der Regierung vertreten. Jamil, ein bekannter marxistischer Ökonom, ist Minister für Binnenhandel und Verbraucherschutz und stellvertretender Wirtschaftsminister. Haidar ist Minister für Nationale Versöhnung und hat ein Programm entwickelt, wie Syrer die zu den Waffen gegriffen haben wieder in den zivilen politischen Prozess zurückgeholt werden können – bei Oberstleutnant Al-Zamel offenbar mit Erfolg. Parallel kümmert er sich um die Freilassung politischer Gefangener – eine wesentliche Vorbedingung vieler Gruppen für einen Dialog. (Karin Leukefeld, "The Day After": Institut für Frieden setzt auf Krieg, weltnetz.tv, 23.09.2012)

Die Organisatoren luden auch alle Kräfte ein, die wie die Teilnehmer der ersten Konferenz um den NCB einen Sturz des Regimes fordern, allerdings unter einer Bedingung: sie sollen zuvor darlegen, wie sie verhindern wollen, dass das Land durch einen Umsturz im Chaos versinkt oder auseinanderbricht.
Neben neuen Gruppierungen und Persönlichkeiten beteiligten sich auch altbekannte, darunter kommunistische und syrische-nationalistische Organisationen. Auch die Botschafter Russlands, Chinas und des Iran nahmen teil und hielten längere Beiträge.

Die entscheidenden Unterschiede

Wie bei der „Rettungs-Konferenz“ wurden auch am 26. Sept. Abschlussdokumente erarbeitet. Im Unterschied zur ersten, richteten sich die Forderungen der zweiten nicht nur an die Regierung sondern auch an deren Gegner. Als Ziel wird ebenfalls ein demokratisches und pluralistisches Gesellschaftssystem genannt, erreicht werden soll dieses aber nicht durch einen gewaltsamen Umsturz sondern auf demokratische Weise in einem schrittweisen Prozess.

Während einer Sitzung mit dem Titel „Wege eines sicheren Exits aus der Krise in Syrien und Mechanismen eines demokratischen, friedlichen Wandels“ wurde Basisgedanken für einen „Fahrplan“ (road map) und diverse Schritte formuliert, die die Regierung unternehmen sollte, um das Klima für eine politische Lösung zu verbessern.
Gleichzeitig wurden aber auch die bewaffneten Regierungsgegner zu entsprechenden Schritten aufgefordert. Sie sollen u.a. offensive Operationen, Straßensperren etc. einstellen, die Diskussion über eine ausländische Intervention beenden und stattdessen einen Dialog, eine Waffenruhe und ein Ende der Gewalt anstreben.
Im Unterschied zur oppositionellen Konkurrenz wird ein Dialog ohne Vorbedingungen angestrebt. In der Diskussion über die Einleitung geeigneter Schritte dafür, wurde die Notwendigkeit betont, dass alle Beteiligten sich darauf verständigen müssten, Gespräche über die Zerstörung staatlicher Institutionen und alles, was mit ausländischer Einmischung zu tun hat, einzustellen sowie sich für ein Ende der Sanktionen einzusetzen, die die syrische Bevölkerung hart treffen.

Auf beiden Konferenzen wurde die Armee als nationale Institution positiv gewürdigt. Die Ansichten, welche Rolle sie spielen soll, sind jedoch konträr. Während die Organisatoren der „Rettungs-Konferenz“ verlangen, die Armee den „Klauen des Regimes“ zu entreißen, das sie zwinge, eine Rolle zu spielen, die ihrer wahren nationalen Bestimmung widerspreche, betonten Teilnehmer und Teilnehmerinnen der zweiten, wie Ahed Sharifeh von der Demokratischen Partei, dass die wesentliche Aufgabe der Armee ist, Souveränität, Freiheit und Würde des Landes zu verteidigen, sowie auch seine Verfassung. Sharifeh sprach zwar auch von der Notwendigkeit sozialer Reformen und eines Wirtschaftsmodells, das soziale Gerechtigkeit und einen guten Lebensstandard für alle ermöglicht, sie forderte vor allem aber ein sofortiges Ende von Mord, Terrorismus, Vandalismus, Chaos und ausländischer Einmischung in jeglicher Form.

„Die Geschichte wird nicht gnädig zu denen sein, die nach eine ausländischer Intervention schreien“, so der PFCL-Vorsitzenden Kadri Jamil. Und Adel Naiseh, der Sprecher der Volksfront, ergänzte in Anspielung auf zwei verheerenden Autobomben, die kurz vor Konferenzbeginn im Zentrum von Damaskus detoniert waren: „So laut das Dröhnen ihrer Bomben auch reicht, das Schallen des öffentlichen Zorns über ihr Agieren wird lauter sein.“

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