Irak-Wahlen 2010 II - Wahlbündnisse

Die Formierung der Blöcke im Vorfeld barg manche überraschende Kapriolen. Zeitweise schien jeder mit jedem zu verhandeln. So bemühte sich Regierungschef Maliki sein neues nationalistisches Profil durch Bündnisse mit säkularen arabischen Nationalisten, wie Salah al-Mutlak zu stärken. Die meisten Versuche sich breiter aufzustellen scheitern.
 
Ein überaschendes Bündnis jedoch hielt. Der prominente Geistliche Muqtada al Sadr und seine Bewegung schlossen sich mit ihrem Erzrivalen dem Obersten Rat zusammen und führen gemeinsame eine neue Liste schiitischer Parteien an, die „Irakisch-Nationale Allianz (INA). Geschmiedet wurde dieses Wahlbündnis von Kräften, die kaum gemeinsame politische Ziele haben, im Iran.

Insgesamt kristallisierten sich fünf größere Bündnisse heraus. Die kurdische Allianz aus PUK und KDP ist dabei die einzig unveränderte Koalition.
Maliki und seine schiitische Dawa treten diesmal auf einer eigenen Liste an, der „Rechtsstaats-Koalition“. Diese gibt sich konfessionsübergreifend und hat sich durch Verbündete aus dem Stammeslager ein gewisses nationalistisches Profil verschaffte. Das vierte große Listenbündnis, die Allianz für die irakische Einheit (Unity of Iraq Alliance) ist gleichfalls gemäßigt nationalistisch, nicht konfessionell oder völkisch. Hier handelt es sich um Gegner Malikis, die fest innerhalb des von den Besatzern geschaffenen Rahmens stehen. Programmatisch unterscheiden sie sich kaum von Maliki. Die meisten Kandidaten sind säkulare Politiker. Führende Persönlichkeiten sind Innenminister Jawad al-Bulani und Scheich Ahmed Abu Risha einer der Stammesführer an der Spitze der sogenannten Awakening Bewegung, mit den USA verbündeten sunnitischen Stammesmilizen.

Schließlich schlossen sich noch die Parteien des Ex-Interimspremier Ijad Allawi, und die Irakische Nationale Front (al Hiwar) des sunnitischen Vize Präsidenten Tariq al-Hashemi zur Irakischen Nationalen Bewegung Al-Irakia zusammen. Dieser ebenfalls recht widersprüchlichen Allianz zwischen dem einstigen engen US-Verbündeten und langjährigen CIA-Agent Allawi und der radikalsten nationalistischen Opposition im Parlament, schlossen sich noch eine Reihe weitere prominte, säkulare, schiitische und sunnitische Politiker an, darunter Vizepräsident Tariq al-Hashemi und der stellvertretende Ministerpräsident Rafea al-Issawi, die von der einzigen sunnitischen Partei in der Regierung, der Islamischen Partei, überwechselten.
Da die al-Irakia am eindeutigsten säkular, nationalistisch und gegen die Besatzung gerichtet ist, werden ihr gute Chancen eingeräumt.

Die von der Islamischen Partei geführte Irakische Einheitsfront, die 2005 15% der Stimmen errang, tritt wieder an, ist aber durch diverse Abspaltungen stark dezimiert.

Eine interessante Entwicklung gibt es in Ninive, der Provinz im Norden mit der Hauptstadt Mosul. Dort hatte bei den letzten Provinzwahlen eine neue Formation, die „Nationale Liste Al-Hadbaa“ (benannt nach dem schiefen Minarett der ältesten Moschee in Mosul) die absolute Mehrheit erreicht. Al-Hadbaa tritt u.a. für das sofortige Ende der Besatzung, Iraks Einheit, Unabhängigkeit und Souveränität ein, für Frauenrechte und die Demobilisierung der Milizen und gegen jegliche ethnische-konfessionelle orientierte Politik, insbesondere natürlich gegen die Ansprüche von PUK und KDP weite Teile Ninives ihrem Herrschaftsbereich anzuschließen. Wie es scheint, wollen Al-Hadbaa und die gleichfalls neue, säkulare kurdische Partei Goran (kurdisch=Wandel) eine Wahlallianz eingehen. Goran, die gegen die autoritäre und korrupte Herrschaft von PUK und KDP antrat, erhielt bei den Wahlen im kurdischen Autonomiegebiet auf Anhieb 23%. Al-Hadbaa zeigt damit, dass sich ihre Politik nur gegen die Pläne von PUK und KDP richtet, nicht gegen die kurdische Minderheit in der Provinz. Goran würde demonstrieren, dass sie an einer gesamtirakischen Politik interessiert sind und keinesfalls, wie viele in Kurdistan argwöhnen, am Ende doch mit den beiden führenden Parteien zusammengehen würden. Die ICG erwartet, dass Goran gute Chancen hat, diesen eine erhebliche Zahl von Sitzen abzunehmen.

Insgesamt treten laut Wahlkommission 6.172 Kandidaten auf den Listen von 165 poltischer Gruppen und 12 Koalitionen an, die sich um 325 Parlamentssitze bewerben.
Die radikaleren Kräfte unter den Besatzungsgegner werden nicht zur Wahl stehen. Zum einen lehnen viele, wie die einflussreiche Vereinigung Islamischer Schriftgelehrter, Wahlen unter Besatzung nach wie vor grundsätzlich ab. Zum anderen könnten sie nicht antreten, weil die meisten sich aufgrund der Repression zurückhalten müssen oder ohnehin längst ins Ausland flohen.

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