"Revolutionspatenschaften" für Syrien - fragwürdige Solidarität unterstützt einseitige Meinungsmache
(erschien gekürzt in der jungen Welt v. 17.1. und komplett in der Neuen Rheinischen Zeitung v. 18.01.2012)
“Adopt a Revolution” ist eine von syrischen und deutschen AktivistInnen ins Leben gerufene Initiative zur Unterstützung gewaltfreier Oppositionsgruppen in Syrien. Konkret soll über „Revolutionspatenschaften“ den „Lokalen Komitees“ die in vielen Orten Proteste koordinieren, mit Geld, Erfahrungsaustausch und internationaler Öffentlichkeit geholfen werden. Militärische Interventionen werden abgelehnt, stattdessen „soll eine Form der ‚zivilgesellschaftlichen Intervention‘ geschaffen werden, die mit der Stärkung friedlicher politischer AktivistInnen eine militärische Eskalation unwahrscheinlicher macht.“
Solidarität und Austausch mit fortschrittlichen Gruppen anderer Länder sind an sich eine schöne Sache. Leider jedoch ist diese Initiative, die von der Friedenskooperative, von medico international, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Bewegungsstiftung und natürlich der taz unterstützt wird, in ihrer Stoßrichtung und Argumentation so einseitig wie die westlichen Medien und macht damit alles andere als „eine militärische Eskalation unwahrscheinlicher.“
“Adopt a Revolution” ist eine von syrischen und deutschen AktivistInnen ins Leben gerufene Initiative zur Unterstützung gewaltfreier Oppositionsgruppen in Syrien. Konkret soll über „Revolutionspatenschaften“ den „Lokalen Komitees“ die in vielen Orten Proteste koordinieren, mit Geld, Erfahrungsaustausch und internationaler Öffentlichkeit geholfen werden. Militärische Interventionen werden abgelehnt, stattdessen „soll eine Form der ‚zivilgesellschaftlichen Intervention‘ geschaffen werden, die mit der Stärkung friedlicher politischer AktivistInnen eine militärische Eskalation unwahrscheinlicher macht.“
Solidarität und Austausch mit fortschrittlichen Gruppen anderer Länder sind an sich eine schöne Sache. Leider jedoch ist diese Initiative, die von der Friedenskooperative, von medico international, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Bewegungsstiftung und natürlich der taz unterstützt wird, in ihrer Stoßrichtung und Argumentation so einseitig wie die westlichen Medien und macht damit alles andere als „eine militärische Eskalation unwahrscheinlicher.“
(Kein Wunder, dass z.B. der Spiegel in Zusammenhang mit Hetz-Artikeln wie „Der Schlächter will sich reinwaschen“ auf die Initiative verweisen.)
Wenn es z.B. im Appell der Initiative heißt "Die Assad-Diktatur in Syrien wird von gewaltfreien Protesten herausgefordert", so ist das nicht einmal die halbe Wahrheit.
Ähnlich wie in Libyen waren von Anfang an auch bewaffnete Regimegegner am Werk. Natürlich hat der Großteil der friedlichen Demonstranten mit diesen nichts gemein. Aber es vermittelt ein völlig falsches Bild, wenn ausgeblendet wird, dass schon in den ersten Wochen zahlreiche staatliche Einrichtungen angegriffen und Hunderte Polizisten umgebracht wurden. Andreas Buro vom Komitee für Grundrechte und Demokratie hatte in Bezug auf ähnliche Ereignisse in Libyen zu Recht die Frage gestellt: „Wie hätten andere Staaten darauf reagiert?“
Gewalt oppositioneller Gruppen ausgeblendet
Unter "Hintergrund" wird behauptet, die bewaffneten Regimegegner seien durchweg "Deserteure". Auch das beruht auf Propaganda. Alles deutet darauf hin, dass es überwiegend Kämpfer islamistischer Gruppen sind (siehe z.B. Pepe Escobar, The shadow war in Syria, Asia Times, 2.12.2011).
Es gibt auch immer mehr Belege dafür, dass die bewaffneten Gruppen – die man in anderen Ländern Terroristen nennen würde – von anderen Staaten unterstützt und ausgebildet werden. (siehe u.a. die Meldung der türk. Zeitung Milliyet, Frankreich bilde syrischen Rebellen aus, entsprechende , Meldungen der in den USA ansässigen oppositionellen „Reform Party of Syria“ oder auf der Homepage von UK Elite Truppen: British Special Forces Training Syrian Rebels, sowie Angaben der britischen Zeitung Daily Star über den Einsatz von MI6 und CIA und PressTV 'US training Syrian rebels in Turkey'')
Zudem gibt es glaubwürdige Hinweise, dass bereits bis zu 600 libysche Mudschahedin über die Türkei ins Land kamen. Auch irakische Salafisten, sunnitische Hardliner, die i.A. mit Al Qaeda assoziiert werden, rufen in Internetforen dazu auf, sich zu bewaffnen und den sunnitischen Brüdern in Syrien zu Hilfe zu kommen. (Iraq's sectarian divide threatens to split country as anger at Maliki grows, Guardian, 20.12.2011 )
Der russische Außenminister Sergej Lavrov kritisierte daher auch die Doppelmoral des Westens und bezeichnete die Haltung derer als unmoralisch, „die sich weigern, Druck auf den bewaffneten Teil der Opposition auszuüben und uns gleichzeitig anklagen, die Arbeit des UN Sicherheitsrates zu blockieren.“ Dabei hätten oppositionelle Kräfte in Homs sogar Krankenhäuser und Schulen attackiert. "Es ist klar, dass die Absicht ist, eine humanitäre Krise zu provozieren um einem Vorwand für die Forderung nach externer Einmischung in den Konflikt zu erhalten.“ (Russia accuses West of 'immoral' stance on Syria, BBC, 13.12.2011) Und der Westen wolle die UNO wieder für einen Regime Change zu missbrauchen.
Nach Ansicht des syrischen Oppositionellen Kadri Jamil von der „Volksfront für Veränderung und Befreiung“, findet in Syrien ein Krieg niedriger Intensität ähnlich wie in den 1980er Jahren in Zentralamerika statt. „Contras“ hätten den Auftrag, das Land zu destabilisieren ... Einige Medien seien durch ihre einseitige Berichterstattung in diese Kriegsführung einbezogen. (Karin Leukefeld, Syrische »Contras« –Aufständische von NATO-Experten ausgebildet, jW 12.12.2011,
Einseitige Propaganda
Es ist generell problematisch, die Darstellungen oppositioneller Gruppen unhinterfragt zu übernehmen. Oft haben sich, wenn nachgeforscht wurde, deren Berichte als Fake herausgestellt. „Nach meinen persönlichen Erfahrungen in Damaskus, Daraa, Homs und Hama sind mindestens die Hälfte der Meldungen über Syrien schlicht falsch - fast wie vor dem Irakkrieg", so Jürgen Todenhöfer in Der syrische Knoten, FAZ, 12.12.2011.
Auch der renommierte private US-Nachrichtendienst Stratfor warnte im Dezember: „Die meisten schwerwiegenden Vorwürfe der [syrischen] Opposition haben sich letztlich als stark übertrieben oder schlicht unwahr erwiesen ... mehr die Schwäche der Opposition offenbarend als den Grad der Instabilität des syrischen Regimes.“
Doch fast alle Berichte hierzulande, alle Vorwürfe, wie auch die Reports der UNO beruhen auf den Angaben einiger oppositioneller Gruppierungen und dem katarischen Staatssender al Jazeera. Der jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsrats, in dem die Menschenrechtskommissarin Navi Pillay die oft zitierte Zahl der getöteten Oppositionellen auf 5000 schätzt, beruht auf gut „200 Opfern, Augenzeugen und Deserteuren“, die im Ausland befragt wurden – also offenbar ausschließlich Angehörige der Opposition, deren Glaubwürdigkeit nicht überprüft werden kann. So etwas hat mit seriöser Recherche absolut nichts mehr zu tun, damit wird nur der Propaganda einer Seite von der UNO Seriosität verpasst. (siehe auch Syria ambassador says UN estimate of 5000 dead "not objective", Taiwan News, 13.12.2011)
Stratfor riet die letzten Monate über immer wieder zu höchster Vorsicht gegenüber der im Westen gängigen Darstellung der Ereignisse. Wie in jedem Konflikt gibt es auch hier zwei Seiten und zwei Wahrnehmungen. Berichte oppositioneller Menschenrechtsgruppen müssten mit derselben Skepsis betrachtet werden wie die des Regimes. Die Opposition sei auf ausländische Unterstützung angewiesen und habe gute Gründe, entsprechende „Fakten“ zu präsentieren, die dieses Anliegen fördern. [http://www.stratfor.com/analysis/20110928-syrian-opposition-perception-and-reality]
Schließlich darf man auch nicht übersehen, dass die Opposition, wie u.a. die großen Pro-Assad-Demonstrationen zeigen, keineswegs die Mehrheit im ganzen Land hinter sich hat. Die Zustimmung für Assad ist wohl in den letzten Monaten stark gesunken. Eine Umfrage, im Auftrag der vom katarischen Herrscherpaar geleiteten "Qatar Foundation", ergab aber noch Ende Dezember eine Mehrheit von 55% gegen einen Abtritt Assads.
Einen sehr guten und ausführlichen Überblick gibt ein Artikel von Aisling Byrne vom "Conflicts Forum" in Beirut: A mistaken case for Syrian regime change, Asia Times, 5.1.2011. Auch Byrne stellt dabei nicht in Abrede, dass es eine „genuine verbreitete Forderung nach Veränderung in Syrien gibt gegen die repressive von den Sicherheitskräften dominierte Infrastruktur, die jeden Aspekt des Lebens der Bevölkerung beherrscht.“ Sie hat den Polizeistaat-Charakter bei Aufenthalten selbst erlebt. Doch ihrer Ansicht nach wurde die ursprüngliche Bewegung längst von Kräften usurpiert, die ganz andere Interessen verfolgen.
Kampf um die Vormacht in der Region
Das Ganze ist auch keine rein syrische Angelegenheit. US-amerikanische Think Tanks bezeichnen Syrien schlicht als den Ort, wo nun, nach dem Rauswurf der US-Truppen aus dem Irak, der Iran "zurückgedrängt wird" (siehe z.B. STRATFOR, Syria, Iran and the Balance of Power in the Middle East). Trocken analysiert STRATFOR in "The Syria Crisis: Assessing Foreign Intervention" auch die Maßnahmen, die die USA und ihre Verbündeten wohl anwenden werden.
Ein Angriff wie gegen Libyen ist im Moment wohl nicht wahrscheinlich, das Schüren eines blutigen Bürgerkrieges ist aber schon in vollem Gange – und dieser wird kaum auf Syrien beschränkt bleiben.
Nötig ist echte Solidarität
Wer in einer solchen Situation solidarisch mit den Syrern sein will, den oppositionellen, wie den vielen gleichfalls fortschrittlichen, die (in der jetzigen Situation) an Assad festhalten, der muss in erster Linie gegen die äußere Einmischung protestieren.
Ohne diese hätten sich vermutlich die Opposition im Land selbst und die Assad-Regierung schon längst verständigt. Schließlich wurden in Syrien mehr Reformen durchgeführt, eingeleitet oder angekündigt als in fast allen anderen arabischen Ländern. In Verhandlungen müßte nun sichergestellt werden, dass diese vollständig umgesetzt und instutionell verankert werden. Dies wird auch von vielen ernsthaften Oppositionsgruppen angestrebt, die auf internationale Ebene durch die gewaltbereiten, auf Umsturz zielende Gruppierungen an den Rand gedrängt werden. (Siehe z.B. Karin Leukefeld, Zwischen den Stühlen - Friedlicher Übergang statt bewaffneter Aufstand. Viele syrische Oppositionelle haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen, jW 17.12.2011 )
Ein m.E. guter Appell besorgter Syrier und franz. Unterstützer ist die „Neue Deklaration syrischer und arabischer Bürger sowie Freunde Syriens für den Schutz der syrischen Souveränität“ (unten auf der Seite auch in Englisch). Im Unterschied zum unseligen Appell von “Adopt a Revolution” werden hier Forderungen nach mehr demokratischen Freiheiten mit einer klaren Absage jeglicher Form von Intervention, inkl. Sanktionen sowie der Verurteilung der bewaffneten Anti-Regierungs-Banden verbunden.
Gegen die Bedrohung Syriens und Iran wendet sich der Aufruf: Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und Iran stoppen! Embargos beenden! -- Solidarität mit den Völkern Syriens und Irans!
Wenn es z.B. im Appell der Initiative heißt "Die Assad-Diktatur in Syrien wird von gewaltfreien Protesten herausgefordert", so ist das nicht einmal die halbe Wahrheit.
Ähnlich wie in Libyen waren von Anfang an auch bewaffnete Regimegegner am Werk. Natürlich hat der Großteil der friedlichen Demonstranten mit diesen nichts gemein. Aber es vermittelt ein völlig falsches Bild, wenn ausgeblendet wird, dass schon in den ersten Wochen zahlreiche staatliche Einrichtungen angegriffen und Hunderte Polizisten umgebracht wurden. Andreas Buro vom Komitee für Grundrechte und Demokratie hatte in Bezug auf ähnliche Ereignisse in Libyen zu Recht die Frage gestellt: „Wie hätten andere Staaten darauf reagiert?“
Gewalt oppositioneller Gruppen ausgeblendet
Unter "Hintergrund" wird behauptet, die bewaffneten Regimegegner seien durchweg "Deserteure". Auch das beruht auf Propaganda. Alles deutet darauf hin, dass es überwiegend Kämpfer islamistischer Gruppen sind (siehe z.B. Pepe Escobar, The shadow war in Syria, Asia Times, 2.12.2011).
Es gibt auch immer mehr Belege dafür, dass die bewaffneten Gruppen – die man in anderen Ländern Terroristen nennen würde – von anderen Staaten unterstützt und ausgebildet werden. (siehe u.a. die Meldung der türk. Zeitung Milliyet, Frankreich bilde syrischen Rebellen aus, entsprechende , Meldungen der in den USA ansässigen oppositionellen „Reform Party of Syria“ oder auf der Homepage von UK Elite Truppen: British Special Forces Training Syrian Rebels, sowie Angaben der britischen Zeitung Daily Star über den Einsatz von MI6 und CIA und PressTV 'US training Syrian rebels in Turkey'')
Zudem gibt es glaubwürdige Hinweise, dass bereits bis zu 600 libysche Mudschahedin über die Türkei ins Land kamen. Auch irakische Salafisten, sunnitische Hardliner, die i.A. mit Al Qaeda assoziiert werden, rufen in Internetforen dazu auf, sich zu bewaffnen und den sunnitischen Brüdern in Syrien zu Hilfe zu kommen. (Iraq's sectarian divide threatens to split country as anger at Maliki grows, Guardian, 20.12.2011 )
Der russische Außenminister Sergej Lavrov kritisierte daher auch die Doppelmoral des Westens und bezeichnete die Haltung derer als unmoralisch, „die sich weigern, Druck auf den bewaffneten Teil der Opposition auszuüben und uns gleichzeitig anklagen, die Arbeit des UN Sicherheitsrates zu blockieren.“ Dabei hätten oppositionelle Kräfte in Homs sogar Krankenhäuser und Schulen attackiert. "Es ist klar, dass die Absicht ist, eine humanitäre Krise zu provozieren um einem Vorwand für die Forderung nach externer Einmischung in den Konflikt zu erhalten.“ (Russia accuses West of 'immoral' stance on Syria, BBC, 13.12.2011) Und der Westen wolle die UNO wieder für einen Regime Change zu missbrauchen.
Nach Ansicht des syrischen Oppositionellen Kadri Jamil von der „Volksfront für Veränderung und Befreiung“, findet in Syrien ein Krieg niedriger Intensität ähnlich wie in den 1980er Jahren in Zentralamerika statt. „Contras“ hätten den Auftrag, das Land zu destabilisieren ... Einige Medien seien durch ihre einseitige Berichterstattung in diese Kriegsführung einbezogen. (Karin Leukefeld, Syrische »Contras« –Aufständische von NATO-Experten ausgebildet, jW 12.12.2011,
Einseitige Propaganda
Es ist generell problematisch, die Darstellungen oppositioneller Gruppen unhinterfragt zu übernehmen. Oft haben sich, wenn nachgeforscht wurde, deren Berichte als Fake herausgestellt. „Nach meinen persönlichen Erfahrungen in Damaskus, Daraa, Homs und Hama sind mindestens die Hälfte der Meldungen über Syrien schlicht falsch - fast wie vor dem Irakkrieg", so Jürgen Todenhöfer in Der syrische Knoten, FAZ, 12.12.2011.
Auch der renommierte private US-Nachrichtendienst Stratfor warnte im Dezember: „Die meisten schwerwiegenden Vorwürfe der [syrischen] Opposition haben sich letztlich als stark übertrieben oder schlicht unwahr erwiesen ... mehr die Schwäche der Opposition offenbarend als den Grad der Instabilität des syrischen Regimes.“
Doch fast alle Berichte hierzulande, alle Vorwürfe, wie auch die Reports der UNO beruhen auf den Angaben einiger oppositioneller Gruppierungen und dem katarischen Staatssender al Jazeera. Der jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsrats, in dem die Menschenrechtskommissarin Navi Pillay die oft zitierte Zahl der getöteten Oppositionellen auf 5000 schätzt, beruht auf gut „200 Opfern, Augenzeugen und Deserteuren“, die im Ausland befragt wurden – also offenbar ausschließlich Angehörige der Opposition, deren Glaubwürdigkeit nicht überprüft werden kann. So etwas hat mit seriöser Recherche absolut nichts mehr zu tun, damit wird nur der Propaganda einer Seite von der UNO Seriosität verpasst. (siehe auch Syria ambassador says UN estimate of 5000 dead "not objective", Taiwan News, 13.12.2011)
Stratfor riet die letzten Monate über immer wieder zu höchster Vorsicht gegenüber der im Westen gängigen Darstellung der Ereignisse. Wie in jedem Konflikt gibt es auch hier zwei Seiten und zwei Wahrnehmungen. Berichte oppositioneller Menschenrechtsgruppen müssten mit derselben Skepsis betrachtet werden wie die des Regimes. Die Opposition sei auf ausländische Unterstützung angewiesen und habe gute Gründe, entsprechende „Fakten“ zu präsentieren, die dieses Anliegen fördern. [http://www.stratfor.com/analysis/20110928-syrian-opposition-perception-and-reality]
Schließlich darf man auch nicht übersehen, dass die Opposition, wie u.a. die großen Pro-Assad-Demonstrationen zeigen, keineswegs die Mehrheit im ganzen Land hinter sich hat. Die Zustimmung für Assad ist wohl in den letzten Monaten stark gesunken. Eine Umfrage, im Auftrag der vom katarischen Herrscherpaar geleiteten "Qatar Foundation", ergab aber noch Ende Dezember eine Mehrheit von 55% gegen einen Abtritt Assads.
Einen sehr guten und ausführlichen Überblick gibt ein Artikel von Aisling Byrne vom "Conflicts Forum" in Beirut: A mistaken case for Syrian regime change, Asia Times, 5.1.2011. Auch Byrne stellt dabei nicht in Abrede, dass es eine „genuine verbreitete Forderung nach Veränderung in Syrien gibt gegen die repressive von den Sicherheitskräften dominierte Infrastruktur, die jeden Aspekt des Lebens der Bevölkerung beherrscht.“ Sie hat den Polizeistaat-Charakter bei Aufenthalten selbst erlebt. Doch ihrer Ansicht nach wurde die ursprüngliche Bewegung längst von Kräften usurpiert, die ganz andere Interessen verfolgen.
Kampf um die Vormacht in der Region
Das Ganze ist auch keine rein syrische Angelegenheit. US-amerikanische Think Tanks bezeichnen Syrien schlicht als den Ort, wo nun, nach dem Rauswurf der US-Truppen aus dem Irak, der Iran "zurückgedrängt wird" (siehe z.B. STRATFOR, Syria, Iran and the Balance of Power in the Middle East). Trocken analysiert STRATFOR in "The Syria Crisis: Assessing Foreign Intervention" auch die Maßnahmen, die die USA und ihre Verbündeten wohl anwenden werden.
Ein Angriff wie gegen Libyen ist im Moment wohl nicht wahrscheinlich, das Schüren eines blutigen Bürgerkrieges ist aber schon in vollem Gange – und dieser wird kaum auf Syrien beschränkt bleiben.
Nötig ist echte Solidarität
Wer in einer solchen Situation solidarisch mit den Syrern sein will, den oppositionellen, wie den vielen gleichfalls fortschrittlichen, die (in der jetzigen Situation) an Assad festhalten, der muss in erster Linie gegen die äußere Einmischung protestieren.
Ohne diese hätten sich vermutlich die Opposition im Land selbst und die Assad-Regierung schon längst verständigt. Schließlich wurden in Syrien mehr Reformen durchgeführt, eingeleitet oder angekündigt als in fast allen anderen arabischen Ländern. In Verhandlungen müßte nun sichergestellt werden, dass diese vollständig umgesetzt und instutionell verankert werden. Dies wird auch von vielen ernsthaften Oppositionsgruppen angestrebt, die auf internationale Ebene durch die gewaltbereiten, auf Umsturz zielende Gruppierungen an den Rand gedrängt werden. (Siehe z.B. Karin Leukefeld, Zwischen den Stühlen - Friedlicher Übergang statt bewaffneter Aufstand. Viele syrische Oppositionelle haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen, jW 17.12.2011 )
Ein m.E. guter Appell besorgter Syrier und franz. Unterstützer ist die „Neue Deklaration syrischer und arabischer Bürger sowie Freunde Syriens für den Schutz der syrischen Souveränität“ (unten auf der Seite auch in Englisch). Im Unterschied zum unseligen Appell von “Adopt a Revolution” werden hier Forderungen nach mehr demokratischen Freiheiten mit einer klaren Absage jeglicher Form von Intervention, inkl. Sanktionen sowie der Verurteilung der bewaffneten Anti-Regierungs-Banden verbunden.
Gegen die Bedrohung Syriens und Iran wendet sich der Aufruf: Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und Iran stoppen! Embargos beenden! -- Solidarität mit den Völkern Syriens und Irans!
JGuilliard - Mittwoch, 11. Januar 2012
Adopt a Revolution hilft gegen Gewalt
Deutschland um Unterstützung für politische Aktivisten in Syrien. Obwohl
"Adopt a Revolution" sich ausdrücklich auf den gewaltfreien Widerstand
gegen das menschenverachtende syrische Regime bezieht, wird kritisiert,
diese Kampagne würde irgendwie am bewaffneten Kampf teilhaben.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Regierung von Assad ist delegitimiert
und hat durch das systematische und oft wahllose Töten von Zivilisten
ein sehr breites Spektrum von Menschen gegen sich aufgebracht. Die Frage
ist nun, wie die aufgestaute Wut, die erlebten Ungerechtigkeiten und
erlittene Folter politisch umgesetzt werden. Diejenigen Kräfte sich
selbst zu überlassen, die dabei ausdrücklich Gewaltfreiheit propagieren
und tagein, tagaus auf die Strasse gehen und mit viel Mut der
staatlichen Gewaltorgie entgegenstellen, wäre fatal.
In der Tat sollten Kampagnen internationaler Solidarität darauf achten,
welche Anreize sie für die strategischen Überlegungen der Gruppen
schaffen, die sie unterstützen. Bei "Adopt a Revolution" ist eindeutig,
dass die Lokalen Kommittees, welche die Gelder erhalten, der
Gewaltfreiheit verbunden sind. Die Tatsache, dass sie es sind (und nicht
zum Beispiel die Armeedissidenten) bedeutet: gewaltfreie Methoden
erhalten Hilfe, andere nicht. Diese politische Einmischung kann mensch
kritisieren, oder auch nicht (funding human rights is a human right...).
Aber zu behaupten, "Adopt a Revolution" würde in irgendeiner Weise einen
Gewalt unterstützen verdreht die Dinge völlig.
Hoffen wir, dass alle SyrerInnen bald die Chance bekommen, in Frieden zu
leben. Bedingung dafür ist, dass eine Regierung übernimmt, die nicht
friedliche Demonstranten erschießt. "Adopt a Revolution" hilft denen,
die unbewaffnet daran arbeiten.
Indem die Vorwürfe oppositioneller Gruppen ungeprüft übernommen werden und die terroristische Gewalt der anderen Seite ausgeblendet wird, trägt auch „Adopt a Revolution“ zur Dämonisierung eines Regimes bei, das seit langem im Visier der USA und seiner europäischen Verbündeten ist.
Dazu gehört schon, dass man den Fokus ausschließlich auf Syrien legt, dessen Regime als besonders bösartig heraushebt, die benachbarten Feudalstaaten Saudi Arabien, Katar, Bahrain, Jordanien etc. jedoch ungeschoren lässt und keine Anstalten macht, auch die gleichfalls brutal unterdrückte demokratische Opposition dort, bei den westlichen Verbündeten, zu unterstützen. Ausgerechnet die despotischen Scheichs, die nun eine Gelegenheit sehen, mit Hilfe der die Opposition dominierenden islamischen Kräfte, ein säkulares Regime zu beseitigen, dürfen nun unbehelligt von jeglicher Kritik in Syrien Schiedsrichter spielen.
Die unterstützten „Lokalen Komitees“ (LCCs) mögen selbst gewaltfrei sein, arbeiten aber im Bündnis mit anderen mit, die einen gewaltsamen Umsturz wie auch eine militärische Intervention der NATO anstreben – insbesondere mit dem nach libyschem Vorbild gebildeten „Syrischen Nationalrat“.
Auch die LCCs fordern in ihrer "Vision on International Protection" eine UN-Intervention gemäß Kapitel VII, also eine Intervention die militärische Mittel einschließt. Wenn gleichzeitig gefordert wird, diese Intervention soll die Bedingungen für einen „friedlichen demokratischen Übergang“ (im Klartext Sturz Assads) schaffen und von „neutralen Staaten“ unter Leitung des UN-Generalsekretär durchgeführt werden, so ist das entweder gefährliche Naivität oder berechnende Vernebelung. Die Erfahrung zeigt doch, dass ein Mandat nach Kapitel VII für die NATO-Staaten ein Freibrief für eine militärische Intervention wäre, im Falle Syriens vielleicht delegiert an die arabischen Feudalstaaten.
Bei aller Sympathie für die Forderung nach einem radikalen Wandel zu mehr Demokratie – wer aktuell Kräfte unterstützt, die kompromisslos für einen Regime Change kämpfen, obwohl dies absehbar in einen Bürgerkrieg führt, ist verantwortungslos. Im Moment geht es darum, eine weitere Eskalation zu verhindern. Viele linke, oppositionelle Gruppen konzentrieren sich längst darauf. Sie würden alle dabei nur verlieren.
Zu Recht warnt z.B. Sofia Saadeh, Professorin für Moderne Geschichte des Mittleren Ostens in Beirut vor der „komplexen Konfliktlage“, in der die säkularen Oppositionellen längst ausgebootet sind: „In den Grenzgebieten Syriens, in Homs und Idlib, bestimmen konfessionelle Milizen das Geschehen.“