Tarnen und Täuschen - Die USA verlassen den Irak nicht, sie Etikettieren nur die Besatzung um

erschien gekürzt: in junge Welt, 24.08.2010, Schwerpunkt, Seite 3
(Siehe auch das Interview von "Radio Z" in Nürnberg mit mir)

Update: Eine aktualisierte und überarbeitete Version erschien auch in HINTERGRUND Heft 4/2010

Unter großem Medienrummel wurde in der vergangenen Woche der Abzug der „letzten Kampfbrigade“ aus dem Irak inszeniert (Abzugsshow an der Grenze zu Kuwait, Spiegel, 19.8.2010). Mit dem 31. August 2010 werde „Amerikas Kampfauftrag enden und „unsere militärische Mission“ umgewandelt, „vom Kampf zur Unterstützung und Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte“, hatte Barack Obama kurz zuvor verkündet. Ende 2011 würden, so versicherte der US-Präsident, die restlichen GIs – wie von seinem Amtsvorgänger mit der irakischen Regierung vereinbart – das Land verlassen. Die meisten Medien werteten dies auf ihren Titelseiten als faktisches Ende des Irakkriegs. Mit der Wirklichkeit hat dies nichts zu tun. Tatsächlich wird die Besatzung nur umetikettiert und umorganisiert, um sie zukunftstauglicher zu machen.
 
Auch das Unternehmen selbst wurde umbenannt: von „Operation Irakische Freiheit“ in „Operation neue Morgendämmerung“ – George Orwell lässt grüßen. Aktuell sind die regulären US-Truppen in einer Stärke von 59.000 Männern und Frauen am Euphrat und Tigris aktiv, ab September sollen noch rund 50.000 als „Trainings- und Unterstützungstruppen“ für die irakische Armee verbleiben. Das sind doppelt so viele, wie die USA bis zum Amtsantritt Obamas im zweimal so großen Afghanistan im Einsatz hatten. Zurück im Zweistromland bleiben schwerbewaffnete Brigaden, die – wie die New York Times ernüchtert feststellte – im Verein mit der gleichfalls verbleibenden Luftwaffe, weiterhin das tun werden, was sie seit sieben Jahren tun: die politischen Gegner der USA und ihrer lokaler Verbündeter jagen, gefangen nehmen oder töten. Diese Kampfhandlungen sollen keineswegs enden, sie werden nur zukünftig „Stabilisierungs-Operationen“ genannt.

US-Vizepräsident Joe Biden hatte allen Kritikern, die den Abzug als verfrüht ansehen, versichert, dass „der Großteil der verbleibenden Truppen immer noch aus Leute bestehen werde, die gezielt schießen und die schlimmen Jungs fangen können.“
Auch Verteidigungsminister Robert Gates hatte auf Anfrage bestätigt, dass die Truppen unabhängig ihrer Bezeichnung „gezielte Aufstandbekämpfungs-Operationen“ durchführen werden. „So etwas wie Nicht-Kampftruppen gibt es nicht“, ulkte der Militärexperte der Washington Post, Thomas Ricks, denn auch: „es gibt keine pazifistische Abteilung im US-Militär.“ (Iraq Withdrawal: What are Non-Combat Troops, CBS News, August 2, 2010)
„In praktischer Hinsicht wird sich nichts ändern“, so auch der oberste Sprecher der US-Armee im Irak, Major Stephen Lanza.

Das Truppenstationierungsabkommen, das Washington noch unter Präsident Bush mit der irakischen Regierung vereinbart hatte, verbietet an sich Angriffe der US-Truppen ohne Erlaubnis der irakischen Führung. Explizit ausgenommen sind jedoch Aktionen zur Selbstverteidigung. Das US-Militär deklariert daher seine Operation seither überwiegend als Selbstschutzmaßnahmen – die Armee operiert sozusagen in ständiger putativer Notwehr.

Eine der offiziellen Hauptaufgaben der verbleibenden US-Truppen ist die weitere Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte. In den vergangen 7 Jahren haben allerdings schon Hunderttausende Iraker Ausbildungsprogramme der US-Armee durchlaufen, an militärischen Knowhow sollte es also nicht fehlen. Tatsächlich geht es den USA dabei um den Aufbau US-loyaler Kräfte und deren unmittelbare Kontrolle. Bisher sind sie damit nicht sehr weit gekommen. Nominell umfassen die irakischen Sicherheitskräfte, inklusive diverser von der Regierung kontrollierten Milizen, 660.000 Mann. Die Loyalität der meisten Einheiten gehört jedoch nach wie vor den schiitischen und kurdischen Parteien, aus deren Reihen sie rekrutiert wurden. Ihre Kampfmoral ist aus US-Sicht äußerst zweifelhaft und der neuen Armee fehlen die High-Tech-Waffen, mit denen die Besatzer dem Widerstand Paroli bieten, wie minenresistente Fahrzeuge, Kampflugzeuge, Drohnen und Hubschrauber. Eine nennenswerte irakische Luftwaffe wird es in absehbarer Zeit nicht geben.
Nach Einschätzung der kommandierenden US-Generäle werden daher noch viele Jahre lang US-Truppen in erheblicher Stärke nötig sein, um die Kontrolle über das Land zu sichern. Sie hatten daher von Anfang an deutlich gemacht, dass sie die im Stationierungsabkommen vereinbarten Abzugstermine keinesfalls für verbindlich halten. Generalstabschef George Casey erklärte z.B. im Mai letzten Jahres, dass seine Planungen für die Armee Kampftruppen im Irak noch für ein weiteres Jahrzehnt vorsehen.

Der Kampf gegen ihre Gegner im Land ist dabei für die US-Führung nur ein Aspekt. Ein vollständiger Rückzug würde nicht nur das baldige Aus für die ehrgeizigen Pläne im ölreichen Land bedeuten, sondern auch das Feld dem Iran überlassen, der durch die Zerschlagung des Iraks ohnehin schon zur stärksten Macht in der Region wurde.

Kaum ein Iraker glaubt, dass die USA den Irak freiwillig verlassen werden und mit der neuen Bezeichnung des Unternehmens assoziieren sie keinen hoffnungsvollen Neuanfang sondern die Zerstörung Falludscha, die unter dem Codenamen „Operation al-Fajr“ – arabisch für „Morgendämmerung“ – lief.

Auch die meisten Experten erwarteten von Anfang an, dass das Stationierungsabkommen in der einen oder anderen Form verlängert werden wird. Es wird allgemein angenommen, dass Washington zumindest die fünf Mega-Basen als permanente Stützpunkte behalten will, die für mehrere Milliarden Dollar zu komfortablen Kleinstädten ausgebaut wurden. Auch Pentagon-Chef Gates hat kürzlich erneut – in der üblichen orwellschen Sprache – angedeutet, dass die US-Administration mit der zukünftigen Regierung eine Verlängerung der Stationierung auszuhandeln gedenkt. Auch diese, so das Kalkül, werde rasch einsehen, dass sie sich ohne die US-Armee nicht lange halten kann.

Dazu muss jedoch erst einmal eine geeignete neue Regierung gebildet werden. Die Schwierigkeiten bei der sich nun seit März hinziehenden Regierungsbildung liegen nicht nur an innerirakischen Rivalitäten, sondern nicht zuletzt daran, dass die Besatzer alles daransetzen, radikalere Besatzungsgegner aus der Regierungskoalition herauszuhalten. Washington drängt auf ein Bündnis von Nuri al-Maliki und Wahlsieger Ijad Allawi, wobei Maliki Regierungschef bleiben, Allawi jedoch als Chef eines neu zu schaffenden Nationalen Sicherheitsrat erhebliche Machtanteile erhalten soll. Mit einem solchen Bündnis der pro-amerikanischen Schwergewichte könnte sowohl der Einfluss der radikaleren nationalistischen Kräfte in Allawis Koalition al-Iraqiya wie auch der pro-iranischen schiitischen Allianz und insbesondere die der sehr stark im Parlament vertretene Sadr-Bewegung minimiert werden.
Allawi hat dem allerdings vorerst eine Absage erteilt und die potentiellen schiitischen Koalitionspartner von Malikis Rechtsstaatallianz lehnen eine zweite Amtszeit Malikis strikt ab. Der Iran, der ebenfalls erheblichen Einfluß auf das politische Geschehen hat, möchte ebenfalls Maliki im Amt halten, allerdings im Bündnis mit den schiitischen Parteien und ohne Allawi. Dieser ist den Iranern als einstiger CIA-Mann zu pro-amerikanisch und als ehemaliges führendes Baath-Mitglied zu stramm arabisch-nationalistisch.

Eine Diskussion über eine Verlängerung der US-amerikanischen Truppenpräsenz ist zum jetzigen Zeitpunkt selbstverständlich nicht opportun. Obama möchte vor den kommenden Parlamentswahlen natürlich nicht den Eindruck zerstören, er setze seine Versprechen um und im Irak könnte es sich im Moment keiner der Aspiranten auf das Amt des Ministerpräsidenten erlauben, öffentlich eine Verlängerung in Erwägung zu ziehen.

In dieses Vakuum stieß jedoch – offensichtlich in der Absicht hier etwas Dampf zu machen – der irakische Oberbefehlshaber, General Babaker Zebari, mit seiner Ankündigung, der Irak werde mindestens noch 10 weitere Jahre US-Truppen im Land benötigen. Die westlichen Medien nahmen dies begierig auf, die wenigstens jedoch erwähnten, dass es sich bei diesem General um einen alten kurdischen Peshmerga-Führer und ein prominentes Mitglied der Kurdisch Demokratischen Partei (KDP) von Massud Barzani handelt. Die Kurdenführer haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie eine langfristige US-Präsenz im Irak wollen. Sie haben den USA bereits zugesichert, im kurdischen Norden dauerhaft Soldaten stationieren zu können.

Sollte es Washington nicht gelingen, ein neues Stationierungsabkommen auszuhandeln, bietet auch das alte einige Schlupflöcher zur formalen Legitimierung einer weiteren Präsenz. Schon die Feststellung einer inneren Bedrohung des „demokratischen Systems“ Iraks oder „seiner gewählten Institutionen“ würde nach Artikel 27 als Rechtfertigung ausreichen. (Mehr dazu siehe Besatzungsende nicht in Sicht, Abkommen über Truppenrückzug im Irak kaum bindend)

Doch wenn US-Truppen – egal unter welchem legalistischen Cover – nach 2011 im Land bleiben sollten, wird der militärische Widerstand massiv zunehmen, nicht nur in den sunnitischen Hochburgen. Die Anhänger Muqtada al-Sadrs in Nadschaf haben z.B. bereits einen Teil des dortigen „Märtyrer-Friedhofs“ für diesen Fall reserviert. „Wenn die Amerikaner gehen, was wir nicht glauben, machen wir eine Begräbnisstätte für unsere Eltern daraus“, erklärte Abu Mohammed, der den Friedhof beaufsichtigt, auf dem bereits 4250 Kämpfer und Unterstützer der Sadr-Bewegung begraben liegen. „Sollte sich ihr Abgang allerdings verzögern, werden wir kämpfen und unser Blut geben.“ (In Iraq, cemetery is symbol of militia's vow to fight if U.S. forces delay exit, Wa.Po. 18.8.2010)

Seumas Milne vom britischen Guardian fasste das Ganze in einem der wenigen kritischen Zeitungsartikel sehr gut zusammen. Er war überschrieben mit The US isn't leaving Iraq, it's rebranding the occupation . (Die USA verlassen den Irak nicht, sie ändern das Image der Besatzung)
Nach einem kurzen Überblick über die horrenden Kosten des Krieg für die Iraker, die katastrophale Lage in der sich das Land befindet stellt er fest:
Selbst ohne die Farce der Märzwahlen, mit dem Ausschluss und der Ermordung von Kandidaten und Aktivisten und dem folgenden politischen Zusammenbruch ist es grotesk zu behaupten – wie es die Times heute tat – „Irak ist eine Demokratie“. Die „Grüne Zone“-Administration würde ohne den Schutz der US-Truppen und privaten Sicherheitsleute in kurzer Zeit zusammenbrechen. [...]

Der Irakkrieg war ein historischer politischer und strategischer Fehler für die USA. Sie waren außerstande, eine militärische Lösung durchzusetzen, ganz zu schweigen davon, das Land in einen Leuchtturm westlicher Werte und einen regionalen Polizisten umzuwandeln. Indem sie jedoch die konfessionelle und ethnische Karte spielten, verhinderten sie die Entstehung einer nationalen Widerstandsbewegung und einen Vietnam-artigen Rauswurf. Den Zeichen nach wollen sie eine neue Form von ausgelagertem (outsourced), halbkolonialen Regime aufbauen, um ihren Griff um das Land und die Region aufrechtzuerhalten. Der Kampf zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit Iraks hat gerade erst begonnen.

Undercover – das Outsourcing und die Deregulierung des Krieges

„Zivile Krieger“

Auch nach der Truppenreduzierung behält das Pentagon 80.000 bis 100.000 private Angestellte im Irak unter Vertrag. Auch wenn die meisten von ihnen keine Waffen tragen muss man sie zur Anzahl der regulären Soldaten hinzuzählen, da sie Aufgaben bei der Versorgung, Reinigung, Instandhaltung, Kommunikationstechnik etc., übernommen haben, die bis vor kurzem von Soldaten verrichtet wurden.
Der Anteil bewaffneter Söldner, deren Aufgabengebiet von Sicherungsaufgaben bis zu Kampfeinsätzen an der Seite US-amerikanischer und irakischer Einheiten reicht, wird auf über 20.000 geschätzt. Entgegen dem Bild das man gemeinhin von Söldnern hat, handelt es sich hier keineswegs um heimatlose Hasardeure, sondern zum guten Teil um frühere US-Militärs. Die wichtigsten Militärfirmen, die sie entsenden, wie DynCorp, MPRI, ArmourGroup oder XE (früher Blackwater) sind eng in die Sicherheitsstruktur der USA eingebunden, die Führungskräfte sind meist ehemalige US-Offiziere.

Als Präsidentschaftskandidatin hatte US-Außenministerin Hillary Clinton die privaten „Sicherheitsleute“ selbst als „Söldner“ bezeichnet und wollte ihren Einsatz verbieten lassen. Das State Department wird nun aber sein Kontingent solcher Söldner von 2.700 auf 7.000 erhöhen und hat für deren Ausrüstung u.a. zusätzliche fünfzig minenresistente, gepanzerte Militärfahrzeuge und 24 Blackhawk-Kampfhubschrauber vom Pentagon angefordert.
Diese sollen auf fünf sogenannte „dauerhafte Präsenzposten“ (Enduring Presence Posts) innerhalb bestehender US-Militär-Basen verteilt werden, drei davon in Ninive, Kirkuk und Diyala, d.h. in mitten der Gebiete wo noch am heftigsten gekämpft wird. Weitere könnten, so das State Department, folgen, wodurch die Zahl der Söldner noch erheblich steigen würde.

Die US-Botschaft in Bagdad, deren gewaltige Ausmaße die sichtbarste Zeichen dafür sind, dass die USA das ölreiche Land nicht aus ihren Klauen lassen wollen, übernimmt im Zug der Truppenreduzierung einen Teil der Aufgaben des Militärs. Der bereits 21 Bürohochhäuser umfassende, festungsartig ausgebaute Komplex, der sich auf eine Fläche so groß wie der Vatikan erstreckt, soll dazu noch stark erweitert werden.
Daneben werden gerade auch vier Außenstellen der Botschaft in Basra, Erbil, Mosul und Kirkuk für 1,5 Mrd. Dollar festungsartig, zu regelrechten Forts im Feindesland ausgebaut.

Zu den militärischen Funktionen, die nun „zivile“ Besatzungskräfte übernehmen, zählen neben der Bergung von getötetem und verwundeten Personal oder zerstörten Hubschraubern und der Sicherung von Konvois auch der Betrieb eines „taktischen Operationszentrums“ das den Einsatz bewaffneter „Reaktions-Teams“ (response teams) steuern soll.-

Spezialeinheiten

Dazu dürften auch die US-amerikanischen Spezialeinheiten zählen, die von den Abzugsplänen komplett ausgenommen sind. Die knapp 5.000 Elitesoldaten für „Sonderoperationen“ wie Green Berets, Rangers oder Navy SEALS sollen somit weiterhin verdeckte Operationen im Land durchführen, darunter auch gezielte Tötungen oder Entführungen von Gegner. Indem sie es ermöglichen, den mit Guerillamethoden kämpfenden Gegner mit Mitteln zu bekämpfen, die der regulären Armee nicht gestattet sind, wurden sie im Irak wie in Afghanistan zu einem zentralen Instrument im Kampf gegen den militärischen Widerstand wie auch sonstigen poltischen Gegnern im besetzten Land. Um verdeckt operieren zu können, benötigen diese Spezialeinheiten allerdings die Unterstützung offener Strukturen im Land. Dies können jedoch problemlos die Kräfte des State Departements übernehmen. In den meisten der Ländern, in denen diese „Special Operations forces“ aktiv sind (unter Obama ist diese Zahl auf 75 angewachsen), werden sie von der dortigen Botschaft „betreut“. Sie bilden häufig de facto den militärischen Arm des US-Außenministeriums.

Parallel zum Einsatz eigener Spezialkräfte wurden auch irreguläre irakische Strukturen aufgebaut, die wesentlich fester an die Besatzungskräfte gebunden bleiben, als reguläre Truppen. Bald wegen besonders grausamer Gewaltanwendung berüchtigt wurden u.a. die „Spezialpolizeikommandos“, wie die berüchtigten Wolf-, Skorpion- und Tigerbrigaden. (siehe Der schmutzige Krieg gegen die Zukunft des Irak)

Begonnen hatten die Besatzer mit diesem schmutzigen Krieg – im Pentagon in Erinnerung an den erfolgreichen Einsatz von Todesschwadronen gegen Oppositionelle in Mittelamerika „Salvador Option“ genannt – bereits 2004/2005. Nach dem 2007 General David Petraeus, der die neuen Richtlinien der US Army zur „Aufstandsbekämpfung“ konzipierte, den Oberbefehl im Irak übernahm, wurde dieser verdeckte Krieg noch ausgebaut.

Am schlagkräftigsten sind mittlerweile die von den USA erst später aufgebauten, mindestens 4.500 Mann starken Iraq Special Operations Forces (ISOF), die direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt sind und unter Aufsicht der Green Berets operieren. Sie gelten als Traum eines jeden US-Kommandeurs: eine geheime, tödliche, mit modernster US-Waffentechnologie ausgerüstete Spezialbrigade, die auf Jahre hinaus unter US-Kommando operiert und keiner anderen Instanz gegenüber Rechenschaft ablegen muss. Die Einheiten tragen amerikanisch aussehende Uniformen und modernste US-Waffen und sind letztlich eine aus Irakern zusammengesetzte Geheimtruppe der US-Armee. Innerhalb der kommenden Jahre soll ihre personelle Stärke noch verdoppelt werden. (Shane Bauer, Die schmutzige Brigade von Bagdad, Le Monde diplomatique, 10.7.2009)

Das Besatzungskonzept, das nun vom Außenministerium verfolgt werden soll – d.h. massiver Einsatz verdeckt operierender Spezialkräfte und Todesschwadronen, teils aus dem eigenen Land, teils aus reaktionären einheimischen Elementen rekrutiert, ähnelt somit stark der „low intensity warfare“, dem „Krieg geringer Intensität“ der 1970er und 1980er Jahre, mit dem u.a. in Lateinamerika gegen die dortigen Befreiungsbewegungen vorgegangen wurde. Neu hinzu kam die massive Privatisierung des Krieges.

Einen guten Überblick, wie sehr sich die Konzepte für den Irak und Afghanistan den vor Jahrzehnten für Lateinamerika entwickelten Contraguerilla-Handbüchern ähneln gibt Raul Zelik. Wie stets sollen auch die Besatzer im Irak „Funktionen von Politikern, Geheimdienstagenten, Entwicklungshelfern und Streifenpolizisten in sich vereinen. Auch ihnen wird eingebläut, dass Besatzungskriege v.a. mit Psychologie gewonnen werden, die heute allerdings anthropologisch und kulturwissenschaftlich aufgepeppt daher kommt.“

Offiziell zur „Sicherung des diplomatischen Personals“ bestimmt, sind die dem US-Außenministerium unterstehenden, paramilitärischen Besatzungskräfte ein weiteres Mittel, die Rückzugsverpflichtung zu unterlaufen. Falls tatsächlich nach 2011 alle regulären US-Truppen das Land verlassen müssten, bieten diese starken militärischen und politischen Kräfte noch einer Chance, einen Sieg der Befreiungsbewegung zu verhindern und die Politik des Landes auch weiterhin maßgeblich zu bestimmen.

Sollten die „zivilen“ Besatzer in militärische Bedrängnis geraten, so hätten die meisten US-Bürger mit Sicherheit volles Verständnis dafür, dass ihnen reguläre Streitkräfte zu Hilfe geschickt werden. Ein Teil der bisher im Irak eingesetzten Einheiten wird ohnehin nicht vom Persischen Golf abgezogen, sondern nur in die Nachbarländer verlegt.

Quellen:

Seumas Milne, The US isn't leaving Iraq, it's rebranding the occupation
Obama says withdrawal is on schedule, but renaming or outsourcing combat troops won't give Iraqis back their country, Guardian, 4.8.2010

Hannah Gurman, What would George Orwell say about the US withdrawal from Iraq? WarInContext, 13,8.2010

Thomas Ricks, Iraq Withdrawal: What are Non-Combat Troops, CBS News, August 2, 2010

War in Iraq Defies U.S. Timetable for End of Combat, NYT, 2.7. 2010

J. Guilliard, Besatzungsende nicht in Sicht, Abkommen über Truppenrückzug im Irak kaum bindend, IMI-Analyse 2008/041 in AUSDRUCK, Dezember 2008

U.S. 'secret war' expands globally as Special Operations forces take larger role, Washington Post, 4.6.2010

Jeremy Scahill, Iraq Withdrawal? Obama and Clinton Expanding US Paramilitary Force in Iraq, | The Nation, 22.7.2010

Jeremy Scahill in End of Iraq Combat Operations or Beginning of Downsized, Rebranded Occupation Relying Heavily on Private Military Contractors?, Democracy Now!, 3.8.2010

Civilians to Take U.S. Lead as Military Leaves Iraq, NYT, August 18, 2010

Shane Bauer, Die schmutzige Brigade von Bagdad, Le Monde diplomatique, 10.7.2009

Raul Zelik, Aufstandsbekämpfung und Besatzungskrieg – Die Entwicklung asymmetrischer Kriegführung durch den Westen, Peripherie Nr. 116, 29. Jg. 2009, 01.02.2010

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