Schwache Berichte vor den Irak-Wahlen - aber mit Ausnahmen

Die an diesem Wochenden stattfindenden Parlamentswahlen lenken natürlich mal wieder das Augenmerk auf den Irak. Eine ganze Reihe von Journalisten haben sich aufgemacht um aus Bagdad darüber zu berichten.
Nur bei einen wenigen, wie z.B. Ulrich Tilgner hat sich die Reise gelohnt.
 
Ulrich Leidholdt vom ARD-Hörfunkstudio in Amman hätte sich die Reise sparen können. Er plappert im wesentlichen den Besatzer und den irakischen Kräften an der Regierung nach. Er kam natürlich nicht umhin festzustellen, dass es im Irak beileibe nicht so ruhig zugeht, wie es über die letzten Monate hinweg von weitem schien. Zu den Hintergründen gibt er aber nur die Behauptung der irakischen Regierung wieder: "Viele Anhänger von Saddams alter Baath-Partei sind zurück in der Regierung, im Verteidigungsministerium, im Innenministerium, in den Sicherheitsorganen, und es gibt auch Nachweise, dass die Täter zur Baath-Partei gehören." (Der Alltag voller Gewalt, Tagesschau 04.03.2010 ) Nicht besser ist der Überblick, den sein Kollege Felix de Cuveland gibt.

Da weiß sogar der zu Hause sitzende Dietmar Ostermann in der FR genaueres zu berichten: Optimisten glauben an Demokratie, FR 06.03.2010

Wirklich sehenswert hingegen ist die Reportage von Ulrich Tilgner, der bereits ein paar Tage vor den Wahlen in den Irak gereist ist. Um ihn zu sehen, muß man sich allerdings das Schweizer Fernsehen ansehen. (Anschläge bei Wahleröffnung in Irak, SF 10vor10)
Tilgner, der 1991 und 2003 für das ZDF aus dem Irak berichtete, war 2008 ins journalistische Exil gegangen. In Deutschland fühlte er sich zu sehr durch politische Vorgaben eingeengt, die mehr Gefälligkeitsjournalismus als Aufklärung verlangen. (Siehe Interviews mit ihm im Tagespiegel und dem schweizer Magazin Persönlich)

Besser informiert auch der britische Telegraph. Er brachte einen Bericht, der nicht nur dem Ausschluß von oppositionellen Kandidaten kritisch sieht, sondern auch die Anschläge auf Parteibüros und Kandidaten der Opposition erwähnt.
Zu Wort kommt auch Ijad Allawi, einer der aussichtsreichsten Herausforder, Obwohl an sich fest im Rahmen des von den USA aufgebauten Systems stehend, sprach er deutliche Warnungen aus:
"Wir akzeptieren in dieser Situation ein gewisses Maß an Unregelmäßigkeiten. Wir werden aber kein größeres Ausmaß an Regelwidrigkeiten akzeptieren. ... Wir werden dann aus dem politischen Prozeß austeigen. In diesem Fall wird Irak in eine ziemlich gewaltsame und stürmische Zukunft sehen.
Wenn der politische Prozess sich gegen den Willen der Bevölkerung richtet und voller Regelwidrigkeiten ist, werde ich mich ausklinken und andere zum Boykott des Prozesses auffordern. Falls ich gewählt sein werde, werde ich zurücktreten" (Iraq could return to chaos and violence if election is not fair, Telegraph, 3.3.2010)
Update:
(nach Hinweisen v. Wolfgang Kuhlmans FriedensTreiberAgentur FTA 055/2010 vom 07.03.2010)

Auch Tomas Avenarius verließ die Hochsicherheitszonen Bagdads, um sich vor Ort etwas genauer umgesehen. Heraus kam ein differenzierte Bericht über das riesige Bagdader Elendsviertel Sadr-City: Bagdads Furcht vor der Armee der Armen, Süddeutsche Zeitung, 6.3.2010.
Er macht deutlich, dass auch nach sieben Jahren Besatzung, von Wiederaufbau, von der Verbesserung der Lebensbedingungen nichts zu sehen ist. Sadr City ist wie viele andere Stadtteile hochgradig militarisiert. "Mit seinen Tausenden Soldaten, Kontrollpunkten und Straßensperren gleicht Sadr-City vor der Wahl einer von irakischen Truppen besetzten Stadt", schreibt Avenarius und übersieht dabei, dass noch immer ganz Irak unter Besatzung steht -- sie zeigt in Sadr City, der Hochburg eines der stärksten Rivalen des von den USA gestützten Regierungschefs Maliki, nur ihr irakisiertes Gesicht.

Dass sich die Stimmung hier nicht nur gegen die Maliki-Regierung, die noch Tausende ihrer Gegneer aus dem Staddteil gefangen hält, sondern auch die dahinter stehende US-Besatzung richtet, wird immerhin angedeutet: "Hinter dem zwischen Washington und Bagdad vereinbarten Truppenabzugsabkommen wittert der Sadristen-Kandidat eine Verschwörung. Er vermutet, die US-Truppen wollten 'für immer im Irak' bleiben. Wenn die Amerikaner nicht bis 2011 gingen, müsse man 'mit allen Mitteln' gegen sie kämpfen."

Recht kritisch sieht auch die gleichfalls nach Bagdad gereiste FTD-Korrespondentin Inga Rogg den Zustand des "Neuen Irak": Wahlen ohne Staat - Ein klarer Sieg des irakischen Regierungschefs al-Maliki ist fast ausgeschlossen, FTD, 06.03.2010
Wie Ihr Einschätzung, der Irak könne nicht ohne starke US-Präsenz auskommen, zeigt, blendet auch sie, wie die meisten ihrer Kollegen, die Rolle der Besatzer beim ganzen Desaster, völlig aus.

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