Irak-Wahlen 2010 I - Unter Besatzungsbedingungen
Die am 7. März stattfinden Parlamentswahlen gelten als letzter entscheidender Schritt für die Konsolidierung der von den USA angestrebten Nachkriegsordnung. Tatsächlich zeigte der Wahlprozess immer deutlicher deren negativen Züge: staatliche Repression, Terror, territoriale Konflikte, Einmischung von außen und schließlich auch der eklatante Missbrauch staatlicher Institutionen.
Nach wie vor finden diese Wahlen unter Besatzungsbedingungen statt und können schon deswegen weder fair noch frei sein. Ein beträchtlicher Teil der Opposition ist von vorneherein ausgeschlossen.
Nach wie vor finden diese Wahlen unter Besatzungsbedingungen statt und können schon deswegen weder fair noch frei sein. Ein beträchtlicher Teil der Opposition ist von vorneherein ausgeschlossen.
Die militärischen Auseinandersetzungen sind zwar stark zurückgegangen. Viele Städte sind völlig militarisiert und gleichen düsteren Festungen. Bagdad beispielsweise sei „ein Hochsicherheitsgefängnis mit 1000 Betonmauern, 1000 Schießtürmen und 1000 schwerbewaffneten Checkpoints“ so Jürgen Todenhöfer, der die Stadt im Herbst besuchte. Viele sprechen von einer neuen Diktatur. (siehe Irak – ein Jahr unter Obama)
Rein äußerlich hat sich an den Bedingungen seit den ersten Urnengängen 2005 nicht viel geändert. Nach wie vor steht das Land unter Besatzung und ist die legale Basis eine widersprüchliche Verfassung mit zweifelhafter Legitimität.
Geändert haben sich jedoch die Kräfteverhältnisse. Hatte 2005 die Besatzungsmacht noch die Fäden in der Hand, so sanken ihre Einflussmöglichkeiten in dem Maße wie die verbündeten Parteien ihre Position im Staat ausbauen konnten. Aufgrund deren engen Beziehungen zum Iran wuchs auch dessen Einfluss massiv. Gleichzeitig wuchs in der Bevölkerung auch die Stimmung gegen Besatzung, Sektierertum und religiös motivierte Gewalt und entstand in allen Bereichen eine starke nationalistische Opposition, der sich auch viele einstige US-Verbündete, wie der erste Interimspremier und Ex-CIA-Mitarbeiter Ijad Allawi, anschlossen.
Wahlmodalitäten begünstigen wieder Regierungsparteien
An sich hätten die Wahlen bis spätestens Januar stattfinden müssen. Monatelange Auseinandersetzungen um ein neues, faireres Wahlgesetz verhinderten dies. Die Regierungsparteien versuchten alles, um erneut ihre Chancen durch die Wahl-Modalitäten zu erhöhen, mit Erfolg. Die Regierungsparteien, insbesondere ISCI und die Kurden saßen am längeren Hebel. Da sie mit Sicherheit Stimmen einbüßen werden, hatten sie wenig Eile und spekulierten darauf, dass im Fall des Scheiterns eines neuen Gesetzes, nach dem sehr vorteilhafter Gesetz von 2005 gewählt würde.
Die Opposition konnte durchsetzen, dass diesmal über offene Listen gewählt wird, bei denen der Wähler nicht nur eine Partei oder Listenverbindung als Ganzes wählen kann, sondern auch noch den bevorzugten Kandidaten auf deren Liste. Das 2005 angewandte Verfahren mit geschlossenen Listen, bei dem den meisten Wähler die Kandidaten selbst gar nicht bekannt war, ließ aufgrund der Dominanz ethnischer und konfessioneller Listen die Wahl zur Volkszählung werden.
Nicht durchsetzten konnte die Opposition u.a. ein Verbot der Wahlwerbung in Moscheen sowie die Werbung mit religiösen Symbole und den Bildern angesehener Großayatollahs, durch die die schiitischen Regierungsparteien im konservativ-religiösen Lager punkten können.
Auch das angestrebte Quotensystem für Kirkuk scheiterte am kompromisslosen Widerstand der Kurdenparteien. Bei den letzten Wahlen hatten die Kurdenparteien aufgrund des Boykotts eine klar Mehrheit gewonnen und diese dazu genutzt, die Provinz vollständig unter Kontrolle zu nehmen, von Verwaltung bis zu Polizei. Außerdem wurden in großer Zahl kurdische Familien angesiedelt und nichtkurdische Familien durch Schikanen und Terror vertrieben. PUK und KDP rechtfertigen dies mit der angeblichen Vertreibungspolitik Saddams gegen die Kurden hier. Diese wird jedoch zumindest stark übertrieben: Gemäß den Nachforschungen des US-Historikers Dilip Hiro stellten die Kurden nie mehr als ein gutes Drittel der Bevölkerung. Die meisten Araber, die nun vertrieben werden sollen, sind zur Arbeit aus ländlichen Gegenden in das industrielle wachsende Ballungsgebiet gezogen, so wie überall.
Solange der Konflikt um Kirkuk andauert, sollte ein Quotensystem Turkmenen, Araber und den anderen Minderheiten eine Repräsentanz sichern, die ihrem ursprünglichen Bevölkerungsanteil entspricht. Basis sollte zudem das Wahlregister von 2004 sein, in dem 400.000 Wähler erfaßt sind. Die Kurden setzten jedoch die Anwendung einer zweifelhaften erweiterten Registers durch – mit einem erstaunlichen Anstieg auf 900.000 Wählern.
Heftiger Streit gab es auch um die Repräsentation der 2 Millionen irakischen Flüchtlinge im Ausland Erst durch ein Veto des sunnitischen Vizepräsident Tariq al-Hashemi und starken Druck aus den USA konnte ein Kompromiss gefunden werden. In zahlreichen Ländern können die im Ausland lebenden Iraker nun auf den Listen ihrer Heimatprovinz, die wie große Wahlkreise funktionieren, abstimmen.
Aufmerksam verfolgt hat diese Auseinandersetzung der norwegische Historiker und Irak-Kenner Reidar Visser. Siehe u.a.
Rein äußerlich hat sich an den Bedingungen seit den ersten Urnengängen 2005 nicht viel geändert. Nach wie vor steht das Land unter Besatzung und ist die legale Basis eine widersprüchliche Verfassung mit zweifelhafter Legitimität.
Geändert haben sich jedoch die Kräfteverhältnisse. Hatte 2005 die Besatzungsmacht noch die Fäden in der Hand, so sanken ihre Einflussmöglichkeiten in dem Maße wie die verbündeten Parteien ihre Position im Staat ausbauen konnten. Aufgrund deren engen Beziehungen zum Iran wuchs auch dessen Einfluss massiv. Gleichzeitig wuchs in der Bevölkerung auch die Stimmung gegen Besatzung, Sektierertum und religiös motivierte Gewalt und entstand in allen Bereichen eine starke nationalistische Opposition, der sich auch viele einstige US-Verbündete, wie der erste Interimspremier und Ex-CIA-Mitarbeiter Ijad Allawi, anschlossen.
Wahlmodalitäten begünstigen wieder Regierungsparteien
An sich hätten die Wahlen bis spätestens Januar stattfinden müssen. Monatelange Auseinandersetzungen um ein neues, faireres Wahlgesetz verhinderten dies. Die Regierungsparteien versuchten alles, um erneut ihre Chancen durch die Wahl-Modalitäten zu erhöhen, mit Erfolg. Die Regierungsparteien, insbesondere ISCI und die Kurden saßen am längeren Hebel. Da sie mit Sicherheit Stimmen einbüßen werden, hatten sie wenig Eile und spekulierten darauf, dass im Fall des Scheiterns eines neuen Gesetzes, nach dem sehr vorteilhafter Gesetz von 2005 gewählt würde.
Die Opposition konnte durchsetzen, dass diesmal über offene Listen gewählt wird, bei denen der Wähler nicht nur eine Partei oder Listenverbindung als Ganzes wählen kann, sondern auch noch den bevorzugten Kandidaten auf deren Liste. Das 2005 angewandte Verfahren mit geschlossenen Listen, bei dem den meisten Wähler die Kandidaten selbst gar nicht bekannt war, ließ aufgrund der Dominanz ethnischer und konfessioneller Listen die Wahl zur Volkszählung werden.
Nicht durchsetzten konnte die Opposition u.a. ein Verbot der Wahlwerbung in Moscheen sowie die Werbung mit religiösen Symbole und den Bildern angesehener Großayatollahs, durch die die schiitischen Regierungsparteien im konservativ-religiösen Lager punkten können.
Auch das angestrebte Quotensystem für Kirkuk scheiterte am kompromisslosen Widerstand der Kurdenparteien. Bei den letzten Wahlen hatten die Kurdenparteien aufgrund des Boykotts eine klar Mehrheit gewonnen und diese dazu genutzt, die Provinz vollständig unter Kontrolle zu nehmen, von Verwaltung bis zu Polizei. Außerdem wurden in großer Zahl kurdische Familien angesiedelt und nichtkurdische Familien durch Schikanen und Terror vertrieben. PUK und KDP rechtfertigen dies mit der angeblichen Vertreibungspolitik Saddams gegen die Kurden hier. Diese wird jedoch zumindest stark übertrieben: Gemäß den Nachforschungen des US-Historikers Dilip Hiro stellten die Kurden nie mehr als ein gutes Drittel der Bevölkerung. Die meisten Araber, die nun vertrieben werden sollen, sind zur Arbeit aus ländlichen Gegenden in das industrielle wachsende Ballungsgebiet gezogen, so wie überall.
Solange der Konflikt um Kirkuk andauert, sollte ein Quotensystem Turkmenen, Araber und den anderen Minderheiten eine Repräsentanz sichern, die ihrem ursprünglichen Bevölkerungsanteil entspricht. Basis sollte zudem das Wahlregister von 2004 sein, in dem 400.000 Wähler erfaßt sind. Die Kurden setzten jedoch die Anwendung einer zweifelhaften erweiterten Registers durch – mit einem erstaunlichen Anstieg auf 900.000 Wählern.
Heftiger Streit gab es auch um die Repräsentation der 2 Millionen irakischen Flüchtlinge im Ausland Erst durch ein Veto des sunnitischen Vizepräsident Tariq al-Hashemi und starken Druck aus den USA konnte ein Kompromiss gefunden werden. In zahlreichen Ländern können die im Ausland lebenden Iraker nun auf den Listen ihrer Heimatprovinz, die wie große Wahlkreise funktionieren, abstimmen.
Aufmerksam verfolgt hat diese Auseinandersetzung der norwegische Historiker und Irak-Kenner Reidar Visser. Siehe u.a.
- The Elections Law: Who Will Stand Up for Kirkuk?, Gulfanalysis, 28.9.2009
- Reidar Visser, The Election Law Is Passed: Open Lists, Kirkuk Recognised as a Governorate with “Dubious” Registers, historiae.org, 8.11.2009
- The Hashemi Veto Backfires, Parliament Ups the Ante, 23.11.2009
JGuilliard - Mittwoch, 24. Februar 2010
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