Syrien: Weitere Eskalation durch Angriffe der USA und Israels

Die Hinweise darauf, welch großes Eskalationspotential die Politik der führenden syrisch-kurdischen Kräfte PYD/YPG birgt, im Bündnis mit den USA den Osten Syriens zu besetzen, haben sich sehr schnell bestätigt.

Die USA haben am 8. Februar aus diesem, von den überwiegend kurdischen "Syrisch-demokratischen Kräfte" (SDF) kontrollierten Gebiet heraus, regierungsloyale Kräfte angegriffen und eigenen Angaben zufolge über 100 Gegner getötet. Die US-Armee hat damit deutlich gemacht, dass sie die von ihr erklärten Grenze entlang des Euphrats bei Bedarf auch in direkter militärischen Konfrontation gegen Regierungstruppen durchsetzen wollen.
 
Zynischer Weise bezeichnete Washington die Angriffe als einen Akt seines "nicht verhandelbaren Rechts zur Selbstverteidigung" und als "defensive" Luftangriffe zur Vergeltung für einen "unprovozierten" Angriff auf die SDF und "ausländische Militärberater", d.h. Spezialeinheiten der USA (und evtl. Frankreichs u. Großbritanniens). Dabei besteht kein Zweifel, dass die US- und NATO-Truppen absolut völkerrechtswidrig im Land operieren, und nicht weniger Aggressoren und illegale Besatzungsmächte sind, wie die Türkei im Nordwesten Syriens.

Kampf um Ressourcen

Der Ort des Geschehen liegt wenige Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Deir ez-Zor. Hier kontrolliert die syrische Armee ein kleines Gebiet östlich des Euphrats. Laut Central-Command wurden "als Berater, Helfer oder Begleiter agierende Mitglieder der Koalition zusammen mit ihren SDF-Partnern acht Kilometer östlich einer verabredeten, ausgemachten De-Eskalationslinie am Euphrat angegriffen." Nach syrischen und russischen Angaben gibt es keine Verabredungen über eine solche De-Eskalationslinie.

Wahrscheinlich galt der Vorstoß nicht einem SDF-Hauptquartier, wie vom US-Militär behauptet wird, sondern den in unmittelbarer Nähe befindlichen Ölfeldern und Gasanlagen, die bis August 2017 unter Kontrolle des IS gestanden sind. Die kurdischen Milizen hatten im Sommer das Wettrennen um die meisten Anlagen gegen die Regierungstruppen knapp gewonnen und weigern sich seither, sie der Zentralregierung zu übergeben. Vermutlich sollen sie einen wichtigen Teil der wirtschaftlichen Basis der Unabhängigkeit bilden. (Thomas Pany, Luftangriffe in Syrien: USA dokumentieren ihren Willen, sich festzusetzen, Telepolis, 8.2.2018 und US-Vorgehen in Syrien: Bombenangriffe für lukrative Geschäfte, Sputnik, 09.02.2018)

Es ist daher völlig plausibel, wenn der russische Außenministers Sergej Lawrow überzeugt ist, dass die USA konkrete Pläne zur Aufteilung Syriens verfolgen. Zumindest wollen sie, so der US-amerikanische Nahosexperte Prof. Joshua Landis, "Syrien schwach und arm halten" indem sie dem Hauptteil der Landes und seiner Bevölkerung den Zugang zu den bedeutendsten Öl- und Gasquellen und zum besten Ackerland verwehren.

Aus welchen Einheiten die angegriffenen, regierungsloyalen Kämpfer kommen, ist nach wie vor unklar. Es spricht einiges dafür, dass es sich zum Teil um lokale Milizen arabischer Stämme handelte, die den kurdischen dominierten SDF die Kontrolle über das wirtschaftlich wichtige Gebiet, in dem sie ansässig sind, entreißen wollten.

Anderen Berichten zufolge, bestehen die SDF-Einheiten, die die Förderanlagen, darunter das bedeutende Conoco Gasfeld, kontrollieren, hauptsächlich aus Kämpfern lokaler arabischen Stämme, die zuvor mit dem "Islamischen Staat" (IS oder arab. despektierlich Daesch) zusammen gearbeitet hatten. Diese hätten mit der syrischen Regierung die Übergabe der Anlagen ausgehandelt. Möglicherweise wollten sie die regierungsloyalen Truppen nur übernehmen und liefen dabei in eine bewusst gestellte Falle oder auf den Widerstand von kurdischen Einheiten und den US-Streitkräften gegen die Eigenmächtigkeit der Stämme. Anderseits könnten regierungsloyalen Einheiten die ehemaligen Daesch-Verbündeten auch weiterhin als Daesch-Mitglieder bekämpfen. Das würde Meldungen von russischer Seite erklären, denen zufolge der Vorstoß gen Osten dem Daesch gegolten haben soll.

Es war nicht der erste Vorfall dieser Art. So schoss die US-Luftwaffe im Juni letzten Jahres unter dem dem Vorwand "kollektiver Selbstverteidigung" einen syrischen Kampfjet vom Typ Su-22 ab, der angeblich in der Ortschaft Ja’yadeen (westl. von Raqqa) SDF-Einheiten angegriffen haben soll. Allerdings stand der Ort zu dem Zeitpunkt schon unter syrischer Kontrolle.

Am 17. September 2016 hatte die US-geführte Luftkriegs-Allianz schon einmal bei Deir ez-Zor, nur wenige Kilometer vom aktuellen Geschehen entfernt, syrische Truppen attackiert, die dort gegen den IS kämpften. Das Pentagon sprach von einem Irrtum. Da die syrischen Stellungen bekannt waren, war dies wenig glaubhaft. Tatsächlich flogen die Kampflugzeuge dabei über eine halbe Stunden lang regelrechte Angriffswellen, durch die mindests 62 syrische Soldaten getötet und über 100 verwundet wurden. Nur eine Stunde danach begann der IS mit dem Sturm der von den bombardierten syrischen Truppen gehaltenen, strategisch wichtigen Höhen beim Flughafen von Deir ez-Zor. Die Versorgung der Bevölkerung der Stadt wurde so einige Wochen lang unterbrochen.

Weitere Eskalation durch Israel

Fast gleichzeitig zu den Angriffen an dieser Front im Südosten, flog die israelische Luftwaffe die massivsten Angriffswellen seit 2011 auf Ziele mitten in Syrien. Als Rechtfertigung für die erste Attacke diente der israelischen Führung das Eindringen einer angeblich iranischen Aufklärungsdrohne, die in den israelischen Luftraum eingedrungen sei.
Der Vorwand steht allerdings auf wackligen Beinen. Angaben der syrischen Armee zufolge, handelte es sich um eine eigene Drohne, die sich auf einem routinemäßigen Aufklärungsflug gegen den "Islamischen Staat" befand. Dies würde zu Meldungen der Jerusalem Post und Al Jazeera passen, denen zufolge die Drohne unweit der Grenze, entlang den von Israel illegal besetzten Golan-Höhen, abgeschossen wurde. (Da sie nach israelischen Angaben 90 Sekunden nach dem Eindringen abgeschossen wurde, könnte sie höchstens ein paar Kilometer über die Grenze geraten sein.) Auch israelische Experten zweifeln an einem absichtlichen Eindringen in den israelischen Luftraum. "Ich sehe keine Logik dahinter, dass die Iraner eine Drohne nach Israel schicken", meinte z.B. Ehud Yaari, ein häufig im israelischen Fernsehen auftretender Wissenschaftler des Washington Institute for Near East Policy. “Sie haben im Moment ganz andere Prioritäten in Syrien”. Es war nicht die erste Drohne, die die israelischen Streitkräfte abschossen. Es war allerdings das erste Mal, dass sie dies zum Anlass für einen umfassenden "Vergeltungsschlag" nahmen.

Auf den Angriff der acht Kampfflugzeugen auf Ziele nahe Palmyra im Zentrum Syriens, reagierten die syrischen Streitkräfte ‒ für die israelische Luftwaffe offenbar völlig überraschend ‒ mit massiven Luftabwehrangriffen. Es gelang ihnen einen Kampfjet abzuschießen, der auf israelischen Boden zerschellte. Der, nach Angaben der Washington Post, erste Abschuss einer eigenen Maschine seit 1982 versetzte dem Nimbus der israelischen Luftwaffe, problemlos und unverwundbar überall in der Region zuschlagen zu können, einen herben Schlag. Entsprechend aggressiv war die Reaktion. Die israelische Regierung, die seit 2011 schon über 100 Angriffe auf Stellungen in Syrien fliegen ließ, zederte über die Eskalation durch Syrien und Iran und ließ als "Akt der Selbstverteidigung" erneut zwölf syrische und iranische Ziele in Syrien angreifen ‒ laut Haaretz zum ersten Mal dabei gezielt auch "bemannte".

Nicht nur Washington stellte sich ‒ wie zu erwarten ‒ hinter die absurde Rechtfertigung dieser Aggression als "Selbstverteidigung", auch die deutsche Regierung sprach vom Recht Israels, sich gegen Angriffe zu verteidigen und klagte Teheran an, zu einer „gefährlichen Eskalation des syrischen Bürgerkriegs“ beizutragen. Das libanesische Außenministerium hingegen wandte sich an den UN-Sicherheitsrat, um das Recht Syriens zu bekräftigen, sich gegen die Aggressionen aus Israel zu verteidigen.

Israel unterstützt seid Beginn des Krieges in Syrien, wie auch die FAZ feststellte, den Al Qaida-Ableger Al Nusra Front und andere islamistische Milizen, die nördlich der Golan-Höhen operieren. Dem Applaus von dieser Seite konnte sich die israelische Führung auch für die neue Angriffe sicher sein. Saleh Al-Hamwi, 2012 Mitgründer der sich heute Tahrir al-Sham nennenden Nusra-Front, schrieb: "Wir begrüßen jeden israelischen Luft- oder Seeangriff auf das Regime und den Iran in Syrien und fordern die Israelis nachdrücklich auf, dies auch weiterhin zu tun."

Bisher hat Russland weder etwas gegen israelische noch gegen US-amerikanische Angriffe unternommen ‒ die russische Führung bleibt strikt bei ihrer Linie, ausschließlich dschihadistische Milizen zu bekämpfen und jeden militärischen Konflikt mit anderen Staaten zu vermeiden. Während sie auch von Friedensbewegten, die das russische Eingreifen in Syrien bisher verurteilten, angeklagt wird, den Luftraum über Afrin nicht mit ihren Kampfjets für die türkische Luft gesperrt zu haben, wurde Putin aus der Zurückhaltung gegen Israel seltsamer Weise noch nie ein Vorwurf gemacht.

Neben den dschihadistischen Banden im Innern, ist Syrien damit mit Angriffen von ausländischen Mächten an drei Fronten konfrontiert. Im Nordwesten durch die Türkei, im Osten durch die USA und ihre kurdischen Verbünden und im Süden durch Israel. Israel arbeitet dabei ebenfalls an der Aufspaltung Syriens, die im übrigen u.a. auch von Deutschland aktiv gefördert wird (Siehe dazu u.a. Karin Leukefeld, Syrien: Zusammenspiel ziviler und militärischer Hilfe, Lëtzebuerger Vollek/Luxemburg, 5.2.2018)

In so einer Situation kann die Linke und die Friedensbewegung nicht einfach nur gegen die türkische Aggression in Afrin protestieren und unkritisch Solidarität mit den PKK-nahen syrisch-kurdischen Organisationen üben.

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Siehe dazu u.a.

Syria - U.S. May Have Arranged "Self Defense" Attack On Syrian Government Forces, Moon of Alabama, 8.2.2018

Karin Leukefeld, Neue Stufe der Eskalation, Israel bombardiert erneut Ziele in Syrien. junge Welt, 12.02.2018,

Karin Leukefeld, Syrien: Zusammenspiel ziviler und militärischer Hilfe - Pläne zum »Rückbau« des Landes fördern die Spaltung in eine »konföderale Struktur«, Lëtzebuerger Vollek/Luxemburg, 5.2.2018

Rainer Rupp, Droht im Nahen Osten ein neuer, großer Krieg? RT, 13.02.2018

Israel carries out ‘large-scale attack’ in Syria after Israeli jet crashes under antiaircraft fire, Washington Post, 10.2.2018

Wiebke Diehl, Eskalation über dem Golan, Syrische Luftabwehr schießt israelischen Kampfjet ab. Angriffe des Nachbarn werden nicht mehr hingenommen, junge Welt, 10.02.2018

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