Der "Unterhosenbomber" und Obamas Krieg um "Greater Middle East"

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Barack ObamaDie meisten Araber hatten sich Barack Obamas “New Beginning”, von dem er in seiner gefeierten Rede an die islamische Welt am 4. Juni in Kairo sprach, sicherlich anders vorgestellt.

Seit Monaten werden sie in arabischen Medien mit den Bildern der Opfer von Angriffen konfrontiert, die das jemenitische Regime mit US-Unterstützung gegen oppositionelle Gruppen durchführt. Spätestens Mitte Dezember gab der frischgebackene Friedensnobelpreisträger auch für die eigene Luftwaffe „Feuer frei“: Am 17.12. Tag feuerten US-Kampflugzeuge Cruise Missiles auf mehrere Ziele im Jemen ab. (Obama Ordered U.S. Military Strike on Yemen Terrorists, ABC News, 18.12.2009)

Die Rechtfertigung dafür kam diesmal nachträglich: durch den versuchten Anschlag auf die Airbus-Maschine beim Anflug auf Detroit. Egal wie man diesen, erneut sehr merkwürdigen Vorfall einschätzt, für Washington hätte er kaum passender kommen können.
 

Viel Munition für US-Propaganda

Indem der Anschlagsversuch mit dem Jemen in Verbindung gebracht werden kann, kann Washington nun breite Akzeptanz für seine Eskalation des Krieges dort herstellen. Mit der Behauptung, in dem arabischen Land hätten ehemalige Häftlinge aus Guantánamo Führungspositionen bei „al-Qaeda“ übernommen, wird auch das Folterlager etwas rehabilitiert. Verständnis dafür, dass man die restlichen 91 jemenitischen Gefangenen nicht freilassen könne, auch wenn keine ausreichenden Beweise für ein Gerichtsverfahren gegen sie vorliegen, findet man nun selbst in liberalen Zeitungen wie der FR. Sogar den Amoklauf eines Militärpsychologen im Fort Hood, der die US-Nation so verstörte, kann man nun sehr schön mit al-Qaeda und Jemen assoziieren. Ein von den USA initiiertes Bombardement der jemenitischen Luftwaffe am 24.12.2009 galt dem islamischen Geistlichen Anwar al-Aulaqi, zu dem Major Nidal M. Hasan, der Attentäter von Fort Hood, einst Kontakt hatte. Gegen al-Aulaqi, der US-Bürger ist, liegt in den USA allerding keine Anklage vor. Während der Geistliche dem Mordversuch seiner Regierung entkam (irrtümlich wurde wohl das Haus eines anderen Aulaqi getroffen), kostete er 30 anderen Menschen das Leben.

Rache und Vergeltung, statt Aufklärung und Strafe

Die USA haben offensichtlich auch unter Obama nicht vor, rechtstaatliche Wege bei der Verfolgung potentieller Hintermänner von terroristischen Aktivitäten einzuschlagen, also Verdächtige nach sorgfältigen Ermittlungen festnehmen zu lassen und vor Gericht zu stellen. Der verhinderte Attentäter von Detroit habe zwar nur ein paar Hinweise gegeben, aber für sie sei der Jemen keine Unbekannte, so ein für die Abstimmung mit den Geheimdiensten zuständiger Regierungsbeamter. Sie hätten vermutlich die übrigen Puzzleteile bereits zusammen, um zuschlagen zu können. Und wenn nicht, wird die Rache einfach an Anderen geübt: „Die Leute, die wir wollen, sind die, die Abdulmutallab ins Flugzeug setzten. Aber bis wir sie kriegen können, gibt es andere hochwertige Ziele, die klarstellen, dass ein Angriff auf Amerika nicht ungestraft bleibt.“ (US plots retaliatory strikes against al-Qaida in Yemen over plane bomber, Guardian, 30.12.2009 )

Luftangriffe fordern viele Opfer

Wie bei ähnlichen Angriffen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, töteten auch die Cruise-Missiles-Angriffe im Jemen zahlreiche Zivilisten. Allein beim Angriff auf ein Dorf im Majala-Gebiet in der Südprovinz Abyan wurden einem Menschenrechtsaktivisten zufolge, der vor Ort war, 64 Menschen getötet, darunter 23 Kinder und 17 Frauen. Ein örtlicher Stammesführer sprach von 49 ermordeten Zivilisten.
Obama, der Angriffe in Pakistan und Jemen persönlich autorisieren muss, ist somit der erste Friedensnobelpreisträger, der seine Kriegsverbrechen noch während der Preisverleihung verübte.

Jemens Regierung hatte vermeldet, bei der Zerstörung eines „Trainingscamps“ seien 34 al-Qaida-Anhänger eliminiert worden. Provinzpolitiker und Anwohner bestreiten jedoch die Behauptung, es habe sich um ein “Al-Qaida”-Lager gehandelt, entschieden. Die Opfer seien normale Dorfbewohner gewesen, die bombardierten Anwesen würden nur 100 Meter von der Schnellstraße und 2 km von einer Kaserne der jemenitischen Armee entfernt liegen. Unter den Toten ist u.a. Mohammed Saleh al-Kazimi, den die CIA in ihrem Organigramm als al-Qaida-Führer der Provinz Ayban führte. Nach einigen Quellen war al-Kazimi ein ehemaliger saudischer Afghanistan-Kämpfer, laut Guardian jedoch Chef des örtlichen Ambor-Stammes. So oder so: offiziell lag auch gegen ihn nichts vor. Das jemenitische Regime hatte ihn zwar 2003 inhaftiert, ihn jedoch nach 2 Jahren freigelassen. Seither lebte er unbehelligt bei seiner Familie. Warum, fragte sich auch ein örtlicher Sicherheitsbeamter, hat ihn die Regierung, wenn sie ihn verdächtigte, dann nicht einfach wieder festgenommen? So wurden mit ihm auch seine Frau und seine drei Kinder und Dutzende andere ermordet.

Unabhängig davon, ob tatsächlich auch potentielle Attentäter unter den Getöteten waren: die USA und ihre Verbündeten liegen in Bezug auf Terroranschläge und -opfer bereits weit in Führung.

Starke Proteste der Opposition gegen die Massaker

Im Südjemen gab es zahlreiche Protestdemonstrationen gegen die Serie von Luftangriffen. Auch Führer der „Joint Meeting Parties (JMP), eine Koalition von sechs oppositionellen Parteien, verurteilten sie auf einer großen Demonstration mit 10.000 Teilnehmern in Taiz als abscheuliche Verbrechen. Die „Bewegung des Südens“, die eine Wiederabtrennung des bis 1990 selbständigen Südjemens vom Norden anstrebt, verkündete, die Überfälle seien nicht auf Al Qaida, sondern auf die rebellische Bevölkerung des Südens gerichtet. (Obama befahl amerikanische Luftschläge im Jemen, WSWS, 23.12.2009)

USA führen im Jemen einen verdeckten Krieg

Die vorweihnachtlichen Cruise-Missile-Attacken waren wohl nicht die ersten US-Angriffe im Jemen in 2009. Nach Informationen des britischen Guardian führen die USA dort seit über einem Jahr verdeckte Mordanschläge mit Drohnen durch, während die CIA Bodenoperationen unterstützt, bei denen evtl. auch US-Spezialeinheiten direkt involviert sind. Auch Vertreter der, von der jemenitischen Regierung militärisch bekämpften Houthi-Bewegung, behaupten, US-Kampfjets hätten seit August, dem Beginn der jüngsten Offensive gegen sie, 30 Angriffe auf Ziele in der Nordprovinz Saada geflogen .
In Mitten zweier nicht beendeter Kriege, so die New York Times haben die USA in aller Stille im Jemen eine dritte, größtenteils verdeckte "Front gegen al-Qaeda" eröffnet.

Ob der Jemen tatsächlich eine Basis für eine nennenswerte Zahl Kämpfer ist, die man organisatorisch oder ideologisch al-Qaeda zurechnen kann, ist zweifelhaft – selbst die jemenitische Regierung, die aus Eigeninteresse sicherlich übertreibt, spricht nur von 300. Sicher ist jedoch, dass der Jemen nun eine weitere Basis für US-amerikanische Todesschwadrone im Nahen und Mittleren Ost ist. Wie der britische Daily Telegraph am 13. Dezember berichtete, hat die US-Regierung „Spezialeinheiten“, die sogenannten „Green Baretts“ in das Landes geschickt. Diese Sonderheiten werden u.a. im Afghanistan und Irak eingesetzt, um sowohl eigenhändig in verdeckten Operationen gezielt Gegner "auszuschalten" als auch verbündete Kräfte in der Durchführung solcher Operationen auszubilden. (siehe z.B. Shane Bauer, Die schmutzige Brigade von Bagdad, Le Monde diplomatique, 10.7.2009)

Obamas setzt Bushs „Greater Middle East“-Projekt fort

Entgegen der offiziellen Begründung für das verstärkte Engagement, geht es dabei weniger um „al-Qaeda“, sondern um die Stabilisierung des angeschlagenen, äußerst repressiven, autoritären und korrupten, aber mit dem Westen verbündeten Regimes, das sich an allen Ecken oppositionellen Kräften gegenübersieht. Diese stimmen trotz aller Unterschiede in einem überein: in der Kritik im prowestlichen Kurses Sanaas.
Im Süden kämpfen separatistische Kräfte, die den Anschluss des pro-sowjetischen Südjemens an den kapitalistischen, von der Scharia geprägten Norden immer noch nicht akzeptiert haben und in den Nordprovinzen trotzen die Houthi den militärischen Offensiven der Zentralregierung und Saudi Arabiens.

Sanaa wirbt seit langem, mit der Warnung um militärische Unterstützung, dass es ohne diese Hilfe keine Rettung vor den „terroristischen Gruppen“ mehr gebe. Entgegen den Vorwürfen der Regierung, haben die oppositionellen Gruppen aber mit Sicherheit nichts mit „al-Qaeda“ oder Ähnlichem zu tun. Die Houthi sind als Zaiditen (oder „Fünfer-Schiiten“) sogar erklärte Feinde radikaler sunnitischer, salafistischer oder wahabitischer Gruppen, die gerne unter der Bezeichnung „al-Qaeda“ zusammengefasst werden. Sie wehren sich gegen ihre Benachteiligung im Land und die Vernachlässigung ihrer Region (siehe auch jW-Interview mit ihrem Sprecher Mohammed Abdulsalam). Sie haben, wie auch die International Crisis Group bestätigt, ihre militärischen Aktivitäten bisher stets eingestellt, sobald die Regierung ihre Angriffe und Repressionsmaßnahmen gegen sie beendeten. (Der ICG-Bericht Yemen: Defusing the Saada Time Bomb, vom 27.5.2009 bringt auch etwas geschichtlichen Hintergrund über die innereren Konflikte.)

Ein Blick auf die Karte zeigt die große strategische Bedeutung des Landes. Es liegt am Eingang des Roten Meeres, d.h. an einer der wichtigsten und sensibelsten Schiffahrtsrouten der Welt. Gegenüber liegen Somalia sowie Eritrea, das ebenfalls bereits im Visier der US-Militärstrategen ist (Knut Mellenthin, Ein dritter Krieg?, jW 29.12.2009) Washington will mit allen Mitteln verhindern, dass sich hier starke politische Kräfte etablieren, die sich dem westlichen Einfluss widersetzen. Und natürlich will man auch am Golf von Aden mit eigenen militärischen Kräften präsent sein. Obama setzt damit das „Greater Middle East“-Projekt seines Vorgängers fort, die gesamte Region von Ägypten bis Pakistan dauerhaft unter US-amerikanische Kontrolle zu bekommen.

Die USA intervenieren im Jemen allerdings nicht alleine, die britische Regierung will ebenfalls im Jemen verstärkt militärisch mitmischen. (Knut Mellenthin, Dritte Front der NATO, jW 04.01.2010). Auch Deutschland ist bereits involviert: Berlin unterstützt, wie German-Foreign-Policy berichtet, das Regime bereits beim Ausbau der Küstenwache, trainiert die Polizei und hat eine „Beratergruppe“ der Bundeswehr zu den jemenitischen Streitkräften abkommandiert.

Nach dem Attentatsversuch vom 26.12. wird sich in den USA und Europa wenig Protest gegen eine Eskalation des Krieges im Jemen regen und auch nicht gegen die enge Zusammenarbeit mit dem jemenitischen Regime. Während Kritik am Iran tagelang die Titelseiten füllen kann, sucht man kritische Berichte über das autoritäre Regime im Jemen, das oppositionelle Kräfte im Land mit der Luftwaffe und Bodentruppen bekämpft, vergeblich. Dabei hat vor kurzem auch die UN-Kommission gegen Folter in ihrem neuen Länderbericht zum Jemen schwere Vorwürfe erhoben. Willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und extralegale Hinrichtungen – sogar von Minderjährigen – sind demnach alltäglich.

Nachtrag: „Die 30 Milliarden Unterhose“

Durch die völlig überzogenen Reaktionen und haarstäubenden Pläne war die Aktion des 23-jährigen Nigerianer, Umar Farouk Abdulmutallab letztlich äußerst erfolgreich, so der Nahostexperte Mark LeVine in einem sarkastischen, sehr lesenswerten Kommentar. „Überleg mal: ein zorniger junger Mann mit rund 80 Gramm explosivem Material für 2000 US-Dollar und eine speziell geschneiderte Unterhose unterbrach vollständig das US-Luftfahrtsystem. Die Kosten dafür, einen ähnliche Aktion künftig auszuschließen, wird zig Milliarden kosten.“ (The $30bn pair of underpants, Al Jazeera, 3.1.2010)


Guarding against similar attacks could cost tens of billions of dollars
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