Frauen im Irak unter imperialistischer Belagerung
Ein Interview mit der irakischen Autorin Haifa Zangana
John Catalinotto vom New Yorker International Action Center, Redakteur von Workers World, der Zeitschrift der gleichnamigen Partei, sprach im nordspanischen Gijon mit der irakischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Haifa Zangana über die aktuelle Situation der Frauen im Irak und den irakischen Widerstand gegen die Besatzung. Beide waren zur Internationalen Konferenz zum irakischen Widerstand angereist, die vom 18. bis 20. Juni in Gijon stattfinden sollte. (siehe meinen ausführlichen Bericht über die Verhinderung der Konferenz)
Ergebnis des Gesprächs war ein fünfseitiges Interview: Women in Iraq under imperialist siege, Workers World, 11.7.2010
John Catalinotto vom New Yorker International Action Center, Redakteur von Workers World, der Zeitschrift der gleichnamigen Partei, sprach im nordspanischen Gijon mit der irakischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Haifa Zangana über die aktuelle Situation der Frauen im Irak und den irakischen Widerstand gegen die Besatzung. Beide waren zur Internationalen Konferenz zum irakischen Widerstand angereist, die vom 18. bis 20. Juni in Gijon stattfinden sollte. (siehe meinen ausführlichen Bericht über die Verhinderung der Konferenz)
Ergebnis des Gesprächs war ein fünfseitiges Interview: Women in Iraq under imperialist siege, Workers World, 11.7.2010
Zur einleitenden Frage nach der Rolle der Frauen in der früheren anti-kolonialen Bewegung im Irak berichtete Haifa Zangana u.a.:
Die USA habe den Widerstand gerne als sich gegen Iraker richtende Milizen dargstellt und ihnen die Morde von Todesschwadronen in die Schuhe geschoben. „Bürgerkrieg“ wurde so zu einem Begriff der „Information Operation“., d.h. der psychologischen Kriegführung.
Die irakischen Frauen zählten zu den freiesten ihres Geschlechts im Mittleren Osten. Sie blicken auf eine lange Geschichte politischen Engagements und sozialer Teilnahme seit dem 19. Jahrhundert zurück. Sie beteiligten sich am Kampf gegen die Kolonialherrschaft und im Kampf für nationale Einheit, soziale Gerechtigkeit und gesetzliche Gleichstellung während des gesamten 20. Jahrhunderts. In der Tat berichtete UNICEF 1993, dass „Frauen kaum irgendwo sonst in der arabischen Welt so viele Rechte und Unterstützung haben wie im Irak.“Obwohl sie eine Gegnerin des Baath-Regimes war, engagierte sich gegen die 1990 von UN-Sicherheitsrat verhängten brutalen Sanktionen gegen den Irak – die „Belagerung“, wie sie es nannten.
Ich war keine Ausnahme. Ich war Mitglied der „Irakischen Kommunisten Partei – Zentrale Führung“ und wurde 1972 inhaftiert [...] für meine Rolle im bewaffneten Kampf, während ich noch Studentin in der Pharmazie-Schule der Universität Bagdad war. [...]
Ich verließ den Irak 1974 um bei der PLO in Syrien und im Libanon zu arbeiten und ging zu Beginn des Bürgerkriegs im Libanon 1975 nach London.
Die Belagerung beinträchtige jeden Aspekt des irakischen Lebens, führte zu Tod, Krankheiten, raschen wirtschaftlichen Niedergang und nahezu ein Ende jeglicher menschlichen Entwicklung.Befragt, was aus der von George W. Bush versprochenen Demokratie und dem besseren Leben im Irak wurde, zog sie folgende Bilanz:
[...] Mitte der 1990er Jahre war eine halbe Million Kinder gestorben, ein Verbrechen, das von vielen als Völkermord angesehen wird.
[...] Das Leiden der irakischen Frauen weitete sich vom körperlichen zum psychologischen aus. 75% der irakischen Frauen litten an Depressionen, Schlaflosigkeit, Gewichtsverlust und Kopfschmerzen aufgrund des Schocks durch militärisches Bombardement, Tod ihrer Kinder, Angstzustände und Unsicherheit über die Zukunft (UNIFEM 2004).
Die militärische Invasion 2003 und die Besatzung des Iraks brachte der Bevölkerung des Irak nichts außer dem Verlust menschlichen Lebens, Zerstörung und schrumpfende Hoffnungen in die Demokratie. Sieben Jahre lang sind die Iraker nun einer kollektiven Bestrafung im israelischen Stil unterworfen.Gefragt nach den Wurzeln des Widerstands, erläutert sie, dass dieser nicht nur aus ideologischen, religiösen und patriotischer Überzeugungen entstand, sondern auch als Reaktion auf die brutale Maßnahmen der Besatzer und ihrer Administration ist.
Sie [die Besatzer J.G.] werden oft als Förderer der Terroristen angesehen. Wenn daher das U.S.-irakische Marionettenregime Fortschritte bei der Sicherheit macht, heißt dies Hausdurchsuchungen vor dem Morgengrauen, willkürliche Festnahmen, Entführungen, Töten durch Söldner, die Sicherheitspersonal genannt werden und Autobomben in Menschenmengen auf Marktplätzen. Weiterhin gibt es täglich Explosionen in Bagdad, Salah ad Din, Nadschaf, Anbar und Ninive. Furcht vor dem Tod – geplant oder zufällig – durchdringt die Gesellschaft bis zum Grad ihrer Lähmung.
Dem oft beschriebenen „Erfolg der Surge“ [Surge=Woge, Bezeichnung der US-Truppenerhöhung und Kriegseskalation 2007 J.G.] war eine bedeutende Bevölkerungsverschiebung und ethnische Säuberungen vorausgegangen. Einst gemischte Stadtviertel wurden zu homogenisierten, sunnitischen oder schiitischen Enklaven. [...]
Die Surge hat zudem Bagdad mit Barrieren, Checkpoints und Mauern wie mit Narben durchzogen. Es gibt nun allein in Bagdad 1400 Kontrollposten und über 50, durch Betonmauern getrennte Gebiete. Jede Mauer hat einen Eingangs- und einen Ausgang-Checkpoint, die aus den einst eng miteinander verbundenen Gemeinschaften Ghettos und abgesperrte Wohnviertel („gated communities“) machen.
Diese Mauern werden innerhalb der Grünen Zone „Sicherheitsmauern“ genannt. Für die meisten Iraker sind es jedoch die „Besatzungsmauern“, die Vergleiche zur Apartheidmauer wecken, die von den Israelis gebaut wird, um die Palästinenser entlang der Westbank zu trennen.
Der Bau von Trennungsmauern und die Zerstörung von Brücken bedeutet, dass fast kein religiös/ethnisch gemischtes Gebiet mehr existiert und die Politik des Teile und Herrsche sich durchgesetzt hat. Mauern haben einen immensen Einfluss auf das tägliche Leben der Iraker, sie schreddern die soziale Zusammensetzung Bagdads und reißen den Irak auseinander.
[...]
Irakische Frauen haben alles verloren, was sie vor der Invasion als Aktivistinnen erreicht hatten und sie sind zu Tausenden unter den 650.000 [bis Juni 2006 laut Lance-Studie] plus den seit Mitte 2006 hinzugekommenen Opfern. Bis Mitte 2007 – als bis zu 50.000 Menschen jeden Monat ihrer Heimat den Rücken kehrten – hatte jeder achte Iraker sein Haus verlassen und wurde zum Flüchtling.
UNHCR [der Hoher Flüchtlingskommissar der UNO] sagte, dass der Exodus die größte langfristige Bevölkerungsbewegung seit der Vertreibung der Palästinenser nach der Gründung Israels 1948 war. Der irakische Rote Halbmond schätzt, dass Zweidrittel der Vertriebenen Frauen und Kindern sind, häufig in von Frauen geführten Haushalten.
[...] Die gewaltsame Vertreibung von zwei Millionen Irakern innerhalb des Landes und weitere zwei Millionen zu den Nachbarländern war begleitet von brutalen Grausamkeiten, verübt von Todesschwadronen und Milizen. Sie fielen zusammen mit der Suche der Besatzer nach einem alternativen Weg zur Aufrechterhaltung der US-Herrschaft nach ihrem Scheitern bei der Unterwerfung des Landes. Die neue Strategie basiert darauf, die Bevölkerung in handhabbare Segmente aufzuteilen, die man in Griff bekommen und verwalten kann.
Die USA versuchen ihr Versagen zu rechtfertigen, indem sie angeben, die Einführung der Demokratie nach der Befreiung habe tiefe Konflikte offen gelegt, die durch die vorangegangene Diktatur verdeckt gewesen seien. Die nie gekannten Formen der Gewalt werden Sektierertum zugeschrieben. Den Opfer die Schuld zuschieben wurde so zur weithin akzeptierten Rechtfertigung für den Verbleib fremder Truppen im Irak auf unbestimmte Zeit.
Die USA habe den Widerstand gerne als sich gegen Iraker richtende Milizen dargstellt und ihnen die Morde von Todesschwadronen in die Schuhe geschoben. „Bürgerkrieg“ wurde so zu einem Begriff der „Information Operation“., d.h. der psychologischen Kriegführung.
Der zeitliche Verlauf des bewaffneten Widerstands zeigt eine rasch steigende Zahl von täglichen Angriffen Hand in Hand mit der [Stärke der] Präsenz der US-Truppen. Der Irak-Index der Brooking Institution zeigt einen Anstieg von 50 Angriffen pro Tag in der ersten Hälfte von 2005 auf ungefähr 170 Mitte 2007. Die wichtigsten Kategorien von Angriffen, die im Zusammenhang mit US-Verlusten aufgelistet wurden, sind IEDs [selbstgefertigte Minen], Raketenangriffe [Panzerfaust, Flugabwehrraketen etc.], Autobomben, Granaten und Attacken gegen Hubschrauber.
Die USA antworteten durch Eskalation ihrer verdeckten Operationen mit denen sie konfessionelle und Stammeskonflikte anfachten, als Mittel um den Widersand zu schwächen. Dann kamen Änderungen in der US-Politik, beginnend mit dem Abschluss von 200 lokalen Waffenstillstandsabkommen, die in den Awakening Groups [lokale Stammesmilizen] mündeten, mit Rückzugsankündigungen und geheimen Annäherungen an einige Widerstandsgruppen.
Die Zahl der Angriffe begann zurückzugehen als die US-Armee ihren Einsatz von Raketenangriffen mit unbemannten Predator-Drohnen ausweitete und die US-Truppen in den Kasernen blieben. Wenn sie auf Streife gingen, wurden sie vom irakischen Militär gut beschützt. Dadurch nahmen die Verluste im irakischen Militär zu.
Die Brookingszahlen gehen runter auf durchschnittlich 40 Angriffe pro Tag 2008 und auf 15 pro Tag 2009. Danach steigen sie wieder mit mehr Attacken in Bagdad, Mosul und Diyala.
[...]
Auch wenn sie rückläufig sind, zeigen die Zahlen, dass der Irakkrieg noch andauert. Besatzung ruft naturgemäß Widerstand hervor, ein Prinzip, das durch internationales Recht wie auch moralische Pflicht anerkannt ist. Die konfessionell-ethnische Politik ändert an dieser grundlegenden Tatsache nichts.
Im Bemühen, die Fraktionen des Widerstands zu einigen, wählten 13 irakische Widerstandsgruppen Dr. Harith al-Dari, den Generalsekretär der Vereinigung der Schriftgelehrten im Irak (AMSI) zu ihrem politischen Vertreter für zukünftige Verhandlungen mit der Besatzungsmacht.
Befragt nach den Plänen des Widerstands antwortete al-Dari in einem Interview mit der tunesischen Zeitung Al-Shuruq im Juni 2009: Unser Plan ist uns der Besatzung weiterhin mit allen legitimen Mitteln zu widersetzen ... bis wir unser Land befreit haben. Der Widerstand entstand um den Irak zu befreien, die irakische Einheit und Integrität als Heimatland wie als Volk zu sichern, um die Identität des Irak, seine Bodenschätze und seine Grenzen zu schützen, die die Besatzungsmacht verschleuderte und Gefahren aussetzte. Irak gehört all seinen Bürgern, Bestandteilen und Konfessionen.
JGuilliard - Sonntag, 8. August 2010
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