Libero: Wie Sarkozy den libyschen Aufstand steuerte - Updated

Der folgende Text wurde am 23. März in der rechten italienischen Tageszeitung "Libero" veröffentlicht. Er berichtet von frühen intensiven Kontakten zwischen libyschen Dissidenten und der französischen Regierung unter Nicolas Sarkozy, französischen Geheimdiensten und Militärs im Herbst letzten Jahres. Die Libyer sind zu diesem Zeitpunkt noch in führenden Positionen im Staat, stellen aber, dem Autor zufolge, die Verbindung zu den späteren Aufständischen im Ostteil Libyens her und bereiten - so die dann naheliegende Vermutung - die Revolte in Bengasi (mit) vor.

Der "Libero" ist allerdings eine problematische Quelle, da das Sensations-Blatt schon mehrfach bei Kampagnen gegen Berlusconi-Gegner mit gefälschten Informationen gearbeitet hat (mehr dazu bei Wikipedia). Die Story jedoch klingt durchaus plausibel, man wird aber schauen müssen, ob sie sich durch andere Quellen bestätigen lässt.

In Italien erstaunt diese Enthüllung allerdings wohl kaum jemand, hier kursiert der Spruch: "Frankreich bekommt das Öl, England die Militärbasis und Italien die Flüchtlinge."

Update: Ich habe Auszüge aus dem zitierten Maghreb Confidential zusammengestellt, die vieles bestätigen.
WSWS hat die Story auch aufgegriffen und bringt noch ein paar zusätzliche Informationen - u.a. aus Jeune Afrique - dazu.
 
 
Wie Sarkozy den libyschen Aufstand steuerte
von Franco Bechis, Libero v. 23.3.2011

Erste Etappe der Reise, 20. Oktober 2010, Tunis. Dort stieg, mit seiner gesamten Familie, Nouri Mesmari, Protokollchef am Hof des Colonel Muammar Gaddafi, von Bord eines Flugzeugs der Libyan Airlines. Er ist einer der großen Papageien des libyschen Regimes und schon immer an der Seite des Colonels.

Der Einzige - wohlverstanden - , der mit dem Außenminister Moussa Koussa einen direkten Zugang zur Residenz des Staatschefs hatte, ohne anklopfen zu müssen.

Der Einzige, der die Schwelle der Suite 204 des alten Offiziersklubs von Bengazi übertreten konnte, in welcher der libysche Colonel den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi während seines offiziellen Besuchs in Libyen mit allen Ehren empfangen hat.

Dieser Besuch Mesmaris in Tunis dauerte nur einige Stunden. Man weiß nicht, wen er in der Hauptstadt trifft, in der der Aufstand gegen Ben Ali unter der Asche schwelt. Aber von nun an ist sicher, dass Mesmari in dieser und den unmittelbar folgenden Stunden die Brücken zu dem baut, was Mitte Februar zur Rebellion in der Kyrenaika [der libyschen Ostprovinz, Anm. d. Übers.] werden sollte. Und er bereitet den Todesstoß gegen Gaddafi vor, indem er das Bündnis an zwei Fronten sucht und erhält: die erste ist die der tunesischen Dissidenz. Die zweite ist die Frankreichs unter Nicolas Sarkozy. Und beide Bündnisse gelingen ihm.

Davon zeugen die Dokumente der DGSE (Generaldirektion des [französischen] Auslands-Geheimdienstes) und eine Reihe aufsehenerregender Nachrichten, die in französischen diplomatischen Kreisen zirkulierten, ausgehend von einem für sie bestimmten Newsletter, dem „Maghreb Confidential“ (von dem eine zusammenfassende und kostenpflichtig zugängliche Version existiert).

Mesmari kommt am nächsten Tag, dem 21. Oktober, in Paris an. Er wird es nicht mehr verlassen. Er hat seine Reise in Libyen nicht verheimlicht, da er ja seine ganze Familie mitnahm. Er stellte das so dar, dass er sich in Paris einer medizinischen Behandlung und wahrscheinlich einer Operation unterziehen müsse. Aber er wird nicht mal die Spur eines Arztes sehen. Die, die er sehen wird, werden hingegen an sämtlichen Tagen Beamte der französischen Geheimdienste sein.

Treffen im Hotel Concorde Lafayette

Mit Sicherheit hat man Anfang November enge Mitarbeiter des französischen Präsidenten das Hotel Concorde Lafayette in Paris, in dem Mesmari wohnt, betreten sehen. Am 16. November befindet sich eine Reihe blauer Autos vor dem Hotel. Eine intensive und lange Zusammenkunft in der Suite von Mesmari. Zwei Tage später reist eine konzentrierte und seltsame Delegation nach Bengazi ab. Mit Beamten des Landwirtschaftsministeriums , Chefs von France Export Céréales und France Agrimer, Managern von Soufflet, Louis Dreyfus, Glencore, Cani Céréales, Cargill und Conagra. (Konzerne und Vereinigungen aus dem Rohstoff-, Landwirtschafts- und Nahrungsmittelsektor. Glencore besitzt eigene Kohleminen in Kolumbien und ist für die rücksichtslose Ausbeutung der dortigen Arbeiter und für seine Gewerkschaftsfeindlichkeit bekannt [siehe dazu die Infos von Public Ece Awads, Anm. d. Übers.]

Den Papieren nach handelt es sich um eine Wirtschaftsexpedition mit dem Ziel, in Bengazi umfangreiche libysche Aufträge zu erhalten. Aber in der Gruppe befinden sich auch als Geschäftsleute verkleidete französische Militärs.

In Bengazi werden sie einen Oberst der libyschen Luftwaffe treffen, der ihnen von Mesmari benannt wurde: Abdallah Gehani. Er ist über jeden Verdacht erhaben, aber der Ex-Protokollchef Gaddafis hat aufgedeckt, dass er bereit war, zu desertieren, und dass er auch gute Kontakte mit der tunesischen Dissidenz hat.

Die Operation wird unter großer Geheimhaltung durchgeführt, aber irgendetwas davon dringt bis zu den Männern vor, die Gaddafi am nächsten sind. Der Colonel wird misstrauisch. Am 28. November unterzeichnet er einen internationalen Haftbefehl gegen Mesmari. Der Haftbefehl geht auch in Frankreich ein, über protokollarische Kanäle. Die Franzosen sind beunruhigt und beschließen, dem Haftbefehl formal nachzukommen.

Vier Tage später, am 2. Dezember, lässt man diese Nachricht direkt von Paris aus durchsickern. Man nennt keinen Namen, macht aber klar, dass die französische Polizei einen der wichtigsten Mitarbeiter Gaddafis festgenommen hat. Libyen findet zunächst seine Ruhe wieder, erfährt dann aber, dass sich Mesmari in Wirklichkeit unter Hausarrest in der Suite des Concorde Lafayette aufhält. Und der Staatschef beginnt nervös zu werden.

Die Wut des Staatschefs

Als die Nachricht eintrifft, dass Mesmari Frankreich ganz offiziell um politisches Asyl gebeten hat, bricht Gaddafis Wut aus. Er lässt sogar dem Außenminister, Moussa Koussa, der der Verantwortlichkeit für den Abfall Mesmaris beschuldigt wird, den Pass abnehmen. Danach versucht er, seine Leute mit Nachrichten für den Verräter nach Paris zu schicken: „Komm zurück, dir wird vergeben werden“. Am 16. Dezember versucht das Abdallah Mansour, der Chef des libyschen Fernsehens. Die Franzosen nehmen ihn am Eingang zum Hotel fest. Am 23. Dezember kommen andere Libyer in Paris an. Es handelt sich um Farj Charrant, Fathi Boukhris und All Ounes Mansouri.

Wir werden sie vor allem nach dem 17. Februar kennen lernen: denn es sind genau sie, zusammen mit Al Hadji, die die Revolte in Bengazi gegen die Milizen des Colonel anführen werden.

Den dreien wird von der Franzosen erlaubt, mit Mesmari in einem eleganten Restaurant an den Champs Elysée zu Abend zu essen. Mit anwesend sind dabei auch Beamte des Elysée-Palasts und einige Leiter der französischen Geheimdienste. Zwischen Weihnachten und Neujahr erscheint im „Maghreb Confidential“ die Nachricht, dass sich Bengazi in Aufruhr befindet (zu diesem Zeitpunkt weiß das noch niemand), und außerdem einige Indiskretionen über gewisse logistische und militärische Hilfen, die - direkt aus Frankreich kommend - in der zweitgrößten libyschen Stadt eingetroffen seien. Von da an ist klar, dass Mesmari ein Werkzeug in den Händen Sarkozys geworden ist, um Gaddafi in Libyen zu stürzen. Die „Vertraulichen Nachrichten aus dem Maghreb“ beginnen, die Inhalte seiner Zusammenarbeit durchsickern zu lassen.

Mesmari wird der „libysche Wikileak“ genannt, weil er eines nach dem anderen die Geheimnisse der militärischen Verteidigung des Colonel enthüllt und alle Details der diplomatischen und finanziellen Bündnisse des Regimes mitteilt, wobei er sogar die vorhandenen Uneinigkeiten und die vor Ort existierenden Kräfte beschreibt. Mitte Januar hatte Frankreich alle Schlüssel in Händen, um den Sturz Gaddafis zu versuchen. Aber es gibt ein Leck. Am 22. Januar verhaftet der Chef der Geheimdienste der Kyrenaika, General Aoudh Saaiti, ein Getreuer des Colonel, den Luftwaffenoberst Gehani, der seit dem 18. November geheimer Referent der Franzosen ist.

Am 24. Januar wird er in ein Gefängnis in Tripolis gebracht, unter der Anklage, ein soziales Netzwerk in der Kyrenaika geschaffen zu haben, welches Loblieder auf die tunesischen Proteste gegen Ben Ali angestimmt habe. Aber es ist zu spät: Gehani hat die Revolte in Bengazi schon vorbereitet, zusammen mit den Franzosen.

Originaltext: Sarkozy manovra la rivolta libica, Libero v. 23.3.2011

Französische Übersetzung bei Bella Ciao und bei France-Irak-Actualite

* Franco Bechis ist stellvertretender Chefredakteur des "Libero", eine rechtsgerichtete, Berlusconi-freundliche italienische Tageszeitung.


Übersetzung aus dem Französischen: Heinz Eckel

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