Wahrheit und Versöhnung für den Iran

Im Guardian erschien gestern eine Erklärung iranischer WissenschaftlerInnen und AntikriegsaktivInnen aus dem Umfeld von CASMII, der „Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran“. Um den Iran zu einen, empfehlen die UnterzeichnerInnen größere Freiheiten, ein Ende der äußeren Einmischung und eine Wahrheits- und Versöhnungskommission. (Truth and reconciliation for Iran -To unify Iran, we suggest greater freedoms, an end to outside interference and a truth and reconciliation commission, Open letter, Guardian, 31.7.2009)

Die recht ausführliche Erklärung ist im Unterschied zu den meisten anderen auf der Höhe der Zeit. Man merkt dem von CASMII-Gründer Prof. Abbas Edalat initiierten Statement an, dass es das Ergebnis intensiver Diskussionen ist, in denen versucht wurde, den Wunsch nach demokratischen Reformen im Iran in den Kontext der äußeren Bedrohung des Landes zu stellen.
 
Die Unterzeichner engagieren sich seit Jahren für die „Verteidigung der nationalen Rechte Irans“ und gegen die „allgegenwärtige Irreführung“ der westlichen Medien, die ungerechtfertigen Forderungen in der Frage des iranischen Atomprogramms, gegen die Sanktionen, militärische Drohungen usw.. Gleichzeitig traten sie jedoch, so betonen sie, auch stets für die individuellen Menschenrechte und die demokratische Rechte der Bevölkerung im Iran ein.

Sie sehen die „Hintergründe der aktuellen Situation“ zunächst „in der langjährigen aggressiven Politik der USA und ihrer Verbündeter“. Für sie war dies ein entscheidender Grund für das Scheitern des reformwilligen Präsidenten Mohammad Khatami, der in seiner Amtszeit (1997–2005) dem Westen weit entgegenkam, sowie für die Niederlage des Reformlagers in der Parlamentswahl 2003 und der Präsidentenwahl 2005.

Die Serie von Maßnahmen des Westens gegen das zivile Atomprogramm Irans, inklusive der illegitimen Sanktionen, die wiederholten impliziten und offenen Drohungen mit militärischen Angriffen durch die USA und Israel, die offenen und verdeckten, finanziell gut ausgestatteten Destabilisierung-Operationen und die Unterstützung terroristischer Kräfte, die die iranische Regierung stürzen wollen, schürten die Furcht von einer von außen angestoßenen „samtenen Revolution“. Diese Furcht wiederum diente, so heißt es, zur Rechtfertigen der Einschränkung ziviler und politischer Freiheiten, die der Zivilgesellschaft und NGOs einen Rückschlag versetzten. Davon seien wiederum vor allem die Mittelklasse, die gebildeten Schichten, Journalisten und Künstler betroffen.

Trotz einiger Restriktionen hätten die Wahlen in diesem Jahr in einer konstruktiven Atmosphäre stattgefunden und den Iran vielleicht zum demokratischsten unter den islamischen Ländern der Region gemacht.
Die Frage eines Wahlbetrugs wird in der Erklärung nicht erörtert. Den Verfassern genügt es festzuhalten, dass aus Sicht einer erheblichen Zahl von Iranern, die Wahlen nicht fair waren und es daher in der Folge zu massiven Demonstrationen für eine Annullierung der Wahlen kam.
Auch wenn die vielfältigen Probleme des Lands durch die äußere Bedrohung und Einmischung verstärkt wurden, würden Millionen von Iraner die Ursache letztlich in der Politik der Regierung sehen: in der mangelnden Transparenz und Kontrolle staatlicher Institutionen, in den Einschränkungen politischer Freiheiten etc.. Nach ihrer beispiellosen Beteiligung an den Wahlen verloren diese endgültig das Vertrauen in das System.

Für die Verfasser der Erklärung stehen sich aber nicht „Volk“ und „Regime“ gegenüber, wie viele Unterstützer der Protestbewegung behaupten. Sie sehen vielmehr einen tiefen Graben zwischen zwei großen Bevölkerungsgruppen: den Anhängern Ahmadinedschads, für die Irans nationale Souveränität die höchste Priorität habe und den Unterstützern der Reformkandidaten Karrubi und Mussawi, die vor allem mehr bürgerliche und politische Freiheiten fordern. Beide Lager umfassen Millionen Menschen und beide spielen eine zentrale Rolle für den Fortschritt des Irans.

Unter den Bedingungen der „wirtschaftlichen, militärischen und politischen Einkreisung“ und angesichts der Versuche, die Situation für eine „Regime-Change“-Politik auszunutzen, muss der Konflikt ihrer Ansicht nach durch eine Politik der „Aussöhnung“ entschärft werden.
Sie fordern daher zur Ruhe und zu geduldigen Verhandlungen auf, um vernünftige Kompromisse zu finden. Sie schlagen die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit vor, in der die politischen und gesellschaftlichen Hauptströmungen vertreten sind. Dazu müssten beide Seiten die feindselige Propaganda und die persönlichen Angriffe einstellen und stattdessen ein Klima der gegenseitigen Geduld und des Vertrauens aufbauen.

Die Autoren rufen schließlich die iranische Führung auf, alle inhaftierten Führer und Aktivisten der Opposition freizulassen, sowie die Freiheit der Presse wie alle anderen Bürgerrechte zu respektieren. Von den westlichen Regierungen verlangen sie, jede Art der Einmischung einzustellen und „alle illegitimen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Druckmaßnahmen zu beenden, die auf die innere Destabilisierung Irans abzielen.“

Die Führer der Oppositionsbewegung werden aufgerufen, „unzweideutig allen Sanktionen entgegenzutreten und alle Regime-Change-Operationen zu verurteilen“, „um die Ausnutzung der gegenwärtigen Krise durch die westliche Propaganda und opportunistische Gruppen zu verhindern“.

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