Stuttgart 21 - Reduziertes Demokratieverständnis
Antwort auf einen Kommentar der lokalen Rhein-Neckar-Zeitung
Haben Sie mit Ihrer Mutmaßung, den „Initiatoren des Widerstands“ drohe die „Kampagne zu entgleiten“, nicht die Seiten verwechselt: Es waren doch eindeutig die Einsatzkräfte der Polizei, die mit Brachialgewalt den Konflikt eskalierten. Somit entgleiten dem Innenminister seine Brechstangenmethoden, wenn er sie mit Wasserwerfer, Knüppel und Reizgasen gegen Demonstranten vorgehen lässt, die sich zweifelfrei allein mit gewaltfreien Sitz-Blockaden und Menschenketten gegen die Eröffnung der ersten Baustelle im Schlosspark wehrten.
Offensichtlich sollen – auf Teufel komm raus – möglichst weit vor den nahenden Landtagswahlen Fakten geschaffen werden. Die Landesregierung weiß, dass die breite Ablehnung von „Stuttgart 21“ sie die Mehrheit kosten kann.
Mit Demokratie und Rechtsstaat hat das empörende Vorgehen sicherlich nichts zu tun. Es ist völliger Unfug, wenn die Befürworter sich angesichts des breiten Widerstands krampfhaft darauf berufen, dass das Prestigeprojekt doch parlamentarisch korrekt durch die „legitimierten Vertreter“ entschieden wurde.
Zum einen vergeht kaum eine Woche, ohne dass neue Details das Mammut-Projekt immer fragwürdiger machen. Sicher ist doch nur, dass es sehr, sehr teuer wird und dadurch Mittel an vielen anderen Ecken bei der Bahn fehlen werden. Der immer fragwürdiger werdende Nutzen hingegen steht dazu in keinem Verhältnis. Zudem werden die Risiken ignoriert und scheint die Planung, neuen Berichten zufolge, das reine Chaos zu sein.
Das Argument deutet zum anderen aber auch auf ein sehr reduziertes Demokratieverständnis hin. An sich bedeutet Demokratie doch, dass die Bevölkerung mitdiskutiert und entscheidet und nicht, dass sich eine alle vier Jahre gewählte Regierung, gestützt auf eine Mehrheit von Parteibürokraten im Parlament durchsetzt.
Wenn das Wahlvolk, also der Souverän, alle vier Jahre sein Kreuzchen machen darf, so kann er dabei nur sehr eingeschränkt über einzelne Themen, wie „Stuttgart 21“ mitbestimmen und orientiert sich ohnehin häufiger weltanschaulich als sachbezogen. Ein christlich-konservativer Wähler beispielsweise hat doch sowieso nur die Alternative CDU oder Wahlenthaltung.
Wenn dann auch noch – aus Sorge vor einem negativen Ergebnis – eine Volksabstimmung über ein umstrittenes Riesenprojekt verwehrt wird, bleibt als einziges Korrektiv der außerparlamentarische Protest – inklusive, wenn der anhaltende breite Protest von Zigtausenden ignoriert wird, dem gewaltfreien Widerstand. Zahlreiche unsinnige, überteuerte oder gefährliche Großprojekte blieben uns so erspart – allein durch den langen Atem engagierter Bürger/innen.
Ein gutes Beispiel ist der Widerstand gegen die nukleare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, der sogar einen Franz-Josef Strauß zur Einsicht bewegte, dass man gegen den entschiedenen Willen der Bevölkerung kein Projekt durchsetzen kann. An ihm könnten sich die Verantwortlichen in Stuttgart doch ein Beispiel nehmen, bevor sie als Brechstangen-Mappus und Knüppel-Rech in die Geschichte eingehen.
Mit freundlichen Grüßen,
Joachim Guilliard
Offensichtlich sollen – auf Teufel komm raus – möglichst weit vor den nahenden Landtagswahlen Fakten geschaffen werden. Die Landesregierung weiß, dass die breite Ablehnung von „Stuttgart 21“ sie die Mehrheit kosten kann.
Mit Demokratie und Rechtsstaat hat das empörende Vorgehen sicherlich nichts zu tun. Es ist völliger Unfug, wenn die Befürworter sich angesichts des breiten Widerstands krampfhaft darauf berufen, dass das Prestigeprojekt doch parlamentarisch korrekt durch die „legitimierten Vertreter“ entschieden wurde.
Zum einen vergeht kaum eine Woche, ohne dass neue Details das Mammut-Projekt immer fragwürdiger machen. Sicher ist doch nur, dass es sehr, sehr teuer wird und dadurch Mittel an vielen anderen Ecken bei der Bahn fehlen werden. Der immer fragwürdiger werdende Nutzen hingegen steht dazu in keinem Verhältnis. Zudem werden die Risiken ignoriert und scheint die Planung, neuen Berichten zufolge, das reine Chaos zu sein.
Das Argument deutet zum anderen aber auch auf ein sehr reduziertes Demokratieverständnis hin. An sich bedeutet Demokratie doch, dass die Bevölkerung mitdiskutiert und entscheidet und nicht, dass sich eine alle vier Jahre gewählte Regierung, gestützt auf eine Mehrheit von Parteibürokraten im Parlament durchsetzt.
Wenn das Wahlvolk, also der Souverän, alle vier Jahre sein Kreuzchen machen darf, so kann er dabei nur sehr eingeschränkt über einzelne Themen, wie „Stuttgart 21“ mitbestimmen und orientiert sich ohnehin häufiger weltanschaulich als sachbezogen. Ein christlich-konservativer Wähler beispielsweise hat doch sowieso nur die Alternative CDU oder Wahlenthaltung.
Wenn dann auch noch – aus Sorge vor einem negativen Ergebnis – eine Volksabstimmung über ein umstrittenes Riesenprojekt verwehrt wird, bleibt als einziges Korrektiv der außerparlamentarische Protest – inklusive, wenn der anhaltende breite Protest von Zigtausenden ignoriert wird, dem gewaltfreien Widerstand. Zahlreiche unsinnige, überteuerte oder gefährliche Großprojekte blieben uns so erspart – allein durch den langen Atem engagierter Bürger/innen.
Ein gutes Beispiel ist der Widerstand gegen die nukleare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, der sogar einen Franz-Josef Strauß zur Einsicht bewegte, dass man gegen den entschiedenen Willen der Bevölkerung kein Projekt durchsetzen kann. An ihm könnten sich die Verantwortlichen in Stuttgart doch ein Beispiel nehmen, bevor sie als Brechstangen-Mappus und Knüppel-Rech in die Geschichte eingehen.
Mit freundlichen Grüßen,
Joachim Guilliard
JGuilliard - Sonntag, 3. Oktober 2010
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