Nordenglischer Frühling - Antikriegsaktivist Galloway düpiert Labour in Nachwahlen zum Parlament

(erschien leicht gekürzt und reaktionell überarbeitet in Ossietzky 10/2012)

Die Nachricht schlug in London ein wie eine Bombe: „George Galloway is back“. Die britischen Medien waren perplex. Der streitbare linke Glasgower, der 2003 wegen seiner Aufforderung an britische Soldaten, den Einsatz im Irak zu verweigern aus der Labour-Partei flog, hatte bei Nachwahlen überraschend seiner ehemaligen Partei ein als sicher geglaubtes Mandat abgenommen – und das mit einer sensationell hohen Mehrheit.
 
Er erhielt im Wahlkreis Bradford West im Norden Englands als Kandidat der 2004 gegründeten Antikriegspartei „Respect“ 18.341 Stimmen (56%). Die Labour-Partei, die seit über 40 Jahren den Sitz gewann, verlor über 10.000 Stimmen und kam nur noch auf 8.201 (25%). Auch die Konservativen sackten um knapp 10.000 Stimmen auf 2,746 (8,4%) ein, die aktuell mitregierenden Liberalen Demokraten, die sonst oft bei Nachwahlen die Proteststimmen einsammelten, landeten unter 5%.

Galloways Stimmengewinne sind damit die höchsten in der jüngeren britischen Geschichte und werden nur vom Sieg eines Liberalen bei Nachwahlen 1983 übertroffen.
Es war auch das erste Mal seit 1973, dass ein Kandidat einer kleineren Partei eine Nachwahl gewann. Normalerweise ging der Sitz bei einem Wechsel an die Liberalen oder an die der beiden großen Parteien, die gerade in der Opposition war – das macht die Niederlage für Labour noch schmerzlicher. (George Galloway and Bradford West: how does it compare to every by-election since 1979?, Guardian 30.3.2012)

Galloway saß bereits von 1987 bis 2010 im britischen Unterhaus, bis 2003 für die Labour-Partei. Nach dem Rauswurf wegen seiner aktiven Gegnerschaft zum Irakkrieg vertrat er bis 2010 die von ihm 2004 mitgegründete Partei Respect. 2005 hatte er dazu Labour den Wahlkreis „Bethnal Green & Bow“ im Osten Londons abgenommen. Bei den Wahlen 2010 war er jedoch gescheitert.

Den staatstragenden britischen Parteien und Medien ist er seit langem ein Dorn im Auge. Entsprechend wütend waren die Attacken des britischen „Kommentariats“, so Patrick Cockburn im Independent. Das Wirtschaftsblatt The Economist nannte ihn „einen Hassgegner des britischen Establishments“ der seinen Sitz hauptsächlich seiner marktschreierisch herausgestellten Opposition gegen den Afghanistankrieg verdanke. Doch was könnte für britische Politiker relevanter sein, fragt Cockburn, angesichts von 407 in diesem sinnlosen Krieg gefallener Soldaten. (Patrick Cockburn, Galloway won for some very good reasons, Independent, 8.4.2012)
Galloway war in den 90er Jahren bereits entschiedener Gegner der Kriege gegen Irak und Jugoslawien. Er war einer der wenigen britischen Politiker die zum Ärger der anderen, die Hunderttausende von Opfer die das Irak-Embargo forderte, zum Thema machte. Als führendes Mitglied der landesweiten „Stop the War Coalition“ engagierte er sich gegen den Afghanistankrieg, den zweiten US-geführten Überfall auf den Irak und letztes Jahr gegen den NATO-Krieg gegen Libyen. (mehr dazu z.B. bei Wikipedia)
Aktuell ist er ein scharfer Kritiker der aggressiven westlichen Interventions-Politik gegen Syrien und Iran. Bekannt ist er zudem durch sein Engagement für die Rechte der Palästinenser, u.a. durch den großen Hilfskonvoy Viva Palestina, den er im Frühjahr 2009 mitorganisierte (www.vivapalestina.org) bei dem mit120 Fahrzeugen Hilfsgüter im Wert von über einer Million Pfund in den Gaza-Streifen gebracht wurden.
Für Ärger beim Establishment sorgen auch Galloways wöchentliche Fernsehsendungen im iranischen Nachrichtensender Press TV. In The Real Dealinterviewte er u.a. auch einmal (im Unterschied zum ZDF auf faire Art) den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad (Press TV 15.8.2010) und in der 45minütigen Talkshow Comment, können Zuschauer zu aktuellen Ereignissen Stellung nehmen. *)

Vertreter der etablierten Parteien bemühen sich nun sehr, den Erfolg Galloways als lokalen Ausrutscher hinzustellen, der ohne jede politische Bedeutung für das übrige Land ist. Sie versuchen den großen Stimmengewinn des Schotten vor allem mit dem hohen Anteil von Asiaten und Muslimen in der Stadt zu begründen, in der 42% der Bevölkerung aus Pakistan, Indien oder Bangladesch stammen. „Weil bekanntlich der beste Weg, die Stimmen von Muslimen zu ergattern, ist, einen schottischen Katholiken gegen einen Muslim von Labour aufzustellen“ spottete Mark Steel im Independent (Galloway and Aung San Suu Kyi – so alike). Auch Respect-Sprecher weisen daraufhin, dass Labour schließlich nicht zufällig einen pakistanischen Moslem aufgestellt hat.

Tatsächlich war es offensichtlich sein radikaler Antikriegskurs, seine scharfe Kritik an der unsozialen Sparpolitik, sein Eintreten für sozial oder durch ihre Herkunft Benachteiligte, die Galloway für Wähler aus allen Bevölkerungsgruppen attraktiv machte. Seine langjährige kompromisslose, nicht opportunistische Haltung und seine herzhaften Attacken auf die politischen Führer des Landes, kamen vor allem bei vielen jungen Leuten gut an, die wiederum auch auf moderne Weise für ihn via Facebook etc. warben. Darunter waren zweifelsohne auch viele junge Muslimen und Musliminnen, die sich zudem in ihrem Umfeld für ihn engagierten (s. z.B. im Guardian: How women won it for George Galloway) [[Da könnte sich also die Linkspartei durchaus was abgucken.]]

„Eine verfaulte Kombination aus Selbstgefälligkeit, Inkompetenz, Opportunismus und die Herrschaft einer Clique walteten über den Niedergang Bradfords“, so begründete Galloway im Guardian die Umbruchstimmung. Bereits während Labours dreizehn Regierungsjahren war die Stadt völlig heruntergekommen, die Kürzungspolitik der neuen Regierung verschärft die Situation weiter. Die städtischen Schulen rangieren am Ende der landesweiten Skala. Bei der Zahl der Arbeitslosen dafür liegt Bradford weit vorne auf Platz zwölf. Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht und ist nun doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.

Durch ihre Stimmen für den als aufrechten Kämpfer für Gerechtigkeit und Solidarität wahrgenommen Galloway, konnten die Bradforder ihren Zorn auf die leeren Versprechungen der etablierten Parteien und ihren asozialen Kurs zum Ausdruck bringen, so die Wochenzeitung „Socialist“. Während der Kandidat der „Labour“-Partei, Imran Hussain, der den Afghanistankrieg immer noch verteidigt, sich vor öffentlichen Diskussionen mit anderen Kandidaten drückte, drängten sich mehr als 1000 Leute in eine Halle, um dabei zu sein wie Galloway über einen nötigen Wechsel für Bradford sprach.

Seine Wahl entspringe der gleichen allgemeinen Unzufriedenheit mit der Politik der etablierten Parteien, die zum Aufruhr im Sommer führten so Galloway im Guardian. Mit leichter Ironie bezeichnete er daher seine Wahlkampagne auch als "Nordenglischer Frühling", auf den T-Shirts seiner Anhänger stand "Bradford Spring." (www.votegeorgegalloway.com/)

*) Über Satellit kann man PressTV in Großbritannien seit Januar nicht mehr empfangen, da die britische Rundfunkaufsicht die Ausstrahlung des von der staatlichen iranischen Rundfunkgesellschaft IRIB betriebenen Programms sperrte. Die Bayerische Landesmedienanstalt BLM untersagte vor kurzem die Ausstrahlung von PressTV auch in Deutschland (siehe auch Deutschland verbietet Press TV)

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