Libyen - Fathi Buzakhar: "Viele von uns sind der Ansicht, dass uns die Revolution verraten hat"

Im folgenden die Übersetzung eines Interviews mit einem Führer libyscher Amazigh (Eigename der Berber) der, sich dem Aufstand gegen die libysche Regierung angeschlossen hat, aus der baskischen Zeitung Argia.

Fathi Buzakhar: "Viele von uns sind der Ansicht, dass uns die Revolution verraten hat"
Karlos Zurutuza,
Argia 2011-12-18
http://www.argia.com/argia-astekaria/2303/fathi-buzakhar
Übersetzung aus dem Baskischen Silvie Strauß

Herr Buzakhar empfängt uns an einem Freitag in seinem Haus in Tripolis. Der Amazigh-Führer erzählt, dass er sich nur an Festtagen so elegant anzieht. Wir fragen ihn, ob das die traditionelle Kleidung der Amazigh ist. "Nein, das ist die Kleidung aller Libyer", erwidert er uns. Die Amazigh haben also nicht ihre eigene traditionelle Kleidung? "Doch, natürlich, die Sache ist die, dass alle Libyer Amazigh sind, auch wenn es viele noch nicht wissen."
Amazigh, tamazga, tamazight… diese Wörter wirken noch fremd auf uns.

Amazigh bedeutet "freier Mann" in unserer Sprache, imazighen im Plural. Wir sind die ursprünglichen Einwohner von Nordafrika. Wir sind auf das ganze Gebiet vom Atlantik bis Ägypten verteilt, auch wenn wir oft nur "kleine Flecken" auf der Karte von Afrika sind. Dieses Gebiet, das die Küste und die Wüste Sahara umfasst, nennen wir Tamazga und unsere Sprache tamazight (das ist die weibliche Form von amazigh). Wir haben nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch ein Alphabet, das tifinagh heißt. Heutzutage verwenden wir eine angepasste Version, aber die Tuareg benutzen immer noch das alte.

Die Tuareg sind auch Amazigh?

Ja, von ein paar wenigen Unterschieden im Vokabular abgesehen verstehen wir uns ohne Probleme. Außerdem ist unser altes Alphabet nur unter ihnen bis heute überliefert. Die Liebesbriefe, die die Tuareg in dem alten Alphabet geschrieben haben, sind bekannt. Sie sagen tamaschek zu ihrer Sprache, das ist nichts anderes als eine Variante des Wortes tamazight.
Ihr Amazigh habt euch in Libyen im vergangenen Februar zusammen gegen Gaddafi erhoben. Gab es keine Gaddafi-Anhänger unter euch?

Kaum. Zum einen war nie euch nur ein einziger Amazigh in Gaddafis Exekutive. Zum anderen können wir nicht vergessen, dass Gaddafi unser Volk nur unterdrückt hat in den vier Jahrzehnten, die er an der Macht war. Wir durften nicht unsere Sprache sprechen oder unsere Kinder Amazigh-Namen geben; keine Bücher herausbringen, unsere Religion praktizieren ...

Religion?

Ja, wir Amazigh in Libyen sind ursprünglich Ibaditen. Gaddafi hat, als er bemerkt hat, dass das ein weiteres Zeichen unserer Identität ist, alle unsere Imame verhaftet, exekutiert oder zur Flucht gezwungen. Die Kinder von Ibaditen mussten zwangsläufig auf sunnitische Schulen gehen.
Über die offene und moderate Einstellung hinaus hat der Ibadismus immer noch eine starke Verbindung zur Natur: vor dem jüngsten Gericht ist die Vergebung von zwei Welten notwendig; die Gottes einerseits und die aller Lebewesen andererseits. Für die Erlösung kann Gott vergeben, aber wenn zum Beispiel ein einziges Tier es nicht tut, schließen sich die Türen des Paradieses für dich. Der Einfluss der alten animistischen Religionen ist in unserer immer noch sehr deutlich.

Um zur Revolution zurückzukehren, seid ihr zufrieden mit dem erreichten Sieg?

Auf keinen Fall. Leider hält das neue libysche Regime an den Diskursen und Haltungen von vorher fest, am arabischen Islamismus nämlich. Gaddafi hat das auch getan. Im neuen Verfassungsentwurf, der am 6. August unterschrieben wurde, wird unsere Präsenz in Libyen nirgendwo erwähnt, genauso wenig wie unsere Sprache. Sie sagen uns, dass wir warten sollen, es sei jetzt nicht der "passende Moment". Als Libyen seine Unabhängigkeit erlangte,1951, mussten wir uns das Gleiche anhören. Auf der anderen Seite sagen einige, dass unsere Sprache nicht offiziell sein kann, weil wir "eine Minderheit" sind. Haben wir dafür gekämpft in diesem Krieg? Sind wir dafür gestorben? Inzwischen sind viele von uns der Anischt, dass die Revolution uns verraten hat.
So hart wie aussagekräftig, dieser letzte Satz.

Das Problem ist alt. Die arabische Sprache sowie Ideologie haben sich von Jahrhundert zu Jahrhundert mit dem Islam zusammen verbreitet und die Situation, in der wir uns heute befinden, ist die direkte Folge davon. So sehen sich alle, die Arabisch sprechen, als Araber. Natürlich gibt es Araber in Libyen, wie auch Türken, Tschader ... aber sie sind nur die Minderheit. Wir sind in Nordafrika und nicht im Nahen Osten. Libyen ist kein arabisches Land. Wir sprechen nicht von den libyschen Arabern, sondern von den Arabischsprechern. Diese sind, auch wenn sie die Mehrheit sind, nichts als Amazigh, die ihre Sprache verloren haben.

Also sind alle Libyer Amazigh?

Auch die Marokkaner, Algerier, Tunesier ... wie gesagt, die meisten in Nordafrika sind Amazigh, die Arabisch sprechen.

Unzählige Amzigh-Gruppen sind in den letzten Monaten in Libyen aufgetaucht, die meisten mit dem Ziel, eure Sprache und Kultur zu schützen. Habt ihr die Abischt, eine politische Partei zu bilden?

Wir werden uns an der Politik beteiligen, immer Religion oder Nazionalismus beseite lassend. Wir wollen keine Partei von uns Amazigh gründen, sondern eine Koalition, die für alle von uns Libyern offen ist. Wir können nicht den arabischen Nationalismus kritisieren und gleichzeitig den gleichen Fehler wiederholen.

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Auf dem endlosen Weg zur Normalität

Fathi Buzakhars Hoffnungslosigkeit ist verständlich. Die Amazigh, oder Tamazight-Sprecher, machen 10% der libyschen Bevölkerung aus - in Libyen leben sechs Millionen Menschen. Die einzige Gegend, in der sie in der Mehrheit sind, die Nafusa-Bergkette, wurde im Libyenkrieg ein unverzichtbarer Schlüssel zum Sieg der Rebellen, denn von dort aus lenkten sie den Angriff, mit dem sie Tripolis unterwarfen.

Seit dem Beginn des Kriegs im Februar, haben die libyschen Amazigh, unter anderem, ihre Sprachrechte verkündet. Aber in dem im August verabschiedeten Verfassungsentwurf wird ihr Volk nicht einmal erwähnt. Darauf hin rief der Libysche Amazigh-Kongress im vergangenen September zu einer riesigen Demonstration auf, in der Abischt, die Aufmerksamkeit der neuen Regierung auf sich zu lenken. Obwohl sich auf dem Platz der Märtyrer in Tripolis Zehntausende Menschen versammelten, zeigte die Regierung keinerlei Bereitschaft, sich ihnen anzunähern.
Am 27. November gingen die libyschen Amazigh wieder auf die Straße, um die Missachtung ihrer Forderungen zu verurteilen. Anscheinend gibt es keinen Amazigh in den höheren Ämtern der neuen Regierung, und die Ausgrenzung haben sie in den letzten Wochen auf Kundgebungen verurteilt. Momentan hat der Gemeinderat von Zuuara - der einzige demokratisch gewählte - die Beziehungen zum Nationalen Übergangsrat abgebrochen und möglicherweise haben die anderen 27 Amazigh-Orte bereits das Gleiche getan, wenn dieses Interview erscheint. Offenbar müssen die libyschen Amazigh länger als erwartet warten, bis ihre Rechte anerkannt werden.

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