Der Krieg gegen Libyen und die Rekolonialisierung Afrikas - Teil 1

Dies ist der erste von drei Teilen, in dem es um die Vorbereitungen zum und die Kräfte hinter dem Libyen-Krieg geht. Der zweite Teil behandelt die ökonomischen Interessen der westlichen Kriegsallianz in Libyen und der dritte die geostrategischen und wirtschaftlichen in der Region, sowie den Kriegsverlauf.

Eine erste, kürzere Version des ganzen Textes erschien in Heft 2/2011 der Zeitschrift „Hintergrund“ – www.hintergrund.de. Eine aktualisierte und schon etwas längere Fassung ist im Libyen-Reader des Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg enthalten (diesen gibt es hier als PDF, das aktuelle Flugblatt des Forums hier)
 
1. Der Weg in den Krieg In Kürze folgt:
  • Teil 2: Im Visier: libysches Öl und andere ökonomische Interessen
  • Teil 3: Rekolonialisierung – im Kampf um Afrikas Rohstoffe
Seit dem 19.März bombardiert eine neue „Koalition der Willigen“ Tag für Tag libysche Städte und Armeeeinheiten. Alle Vermittlungsvorschläge werden ignoriert. Die Kriegsallianz werde ihre Luftschläge wohl noch viele Wochen fortsetzen, tönte es vom Außenministertreffen der NATO in Berlin. Das Bündnis müsse Libyen weiter angreifen, bis der Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi verjagt sei, verkündeten am Tag darauf die drei Kriegsherren – US-Präsident Barack Obama, der britische Premier David Cameron und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy – in einem gemeinsamen Kriegsappell, den sie via Washington Post, Times und Le Figaro in die Welt schleuderten.

Der neue Krieg der NATO wird von einer großen Mehrheit der Staaten in der Welt abgelehnt. Die meisten glauben, dass er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt werde, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. Die gleichzeitige französische Intervention in der Elfenbeinküste und die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten zudem auf Ziele hin, die darüber hinausgehen: die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, um dessen Rohstoff-Ressourcen ein erbitterter Wettkampf stattfindet.

Der Diplomatie keine Chance

Bereits am Tag, nachdem sie sich mit der UN-Resolution 1973 zur militärischen Intervention in den libyschen Bürgerkrieg ermächtigt hatten, starteten die USA und die alten Kolonialmächte, Frankreich und Großbritannien, Luftangriffe auf Libyen. Der libyschen Regierung wurde sowenig Gelegenheit gegeben, auf den Beschluss des UN-Sicherheitsrates zu reagieren, wie den Staaten, die in Libyen vermitteln wollten. Der Besuch einer Delegation der Afrikanischen Union wurde durch den Beginn der Luftangriffe vereitelt, ihnen wurde der Flug nach Tripolis verwehrt.

Nach zweimal Irak, Jugoslawien, Somalia und Afghanistan begann somit der sechste Krieg von NATO-Staaten, seit US-Präsident George Bush sen. 1991 eine „Neue Weltordnung“ verkündete – ein Krieg alter Kolonialmächte, die ihre Politik nie grundsätzlich geändert haben, gegen ein einst kolonialisiertes Land.

Es gab seither zahlreiche Vermittlungsversuche. Während die libysche Regierung den Verhandlungsvorschlägen zustimmte, scheiterten sie an der starren Haltung der Kriegsallianz und dem von ihr gestützten Führungszirkel der Rebellen.

Die Angriffe überschritten von Anfang das – an sich schon sehr weit gefasste – Mandat des Sicherheitsrates bei weitem. Sie dienten zu keiner Zeit der Erzwingung eines Flugverbots. Kein Flugzeug der libyschen Luftwaffe war nach Verabschiedung der UN-Resolution in der Luft gewesen. Neben aller Art von militärischen Zielen wurden auch viele zivile Infrastruktureinrichtungen, wie z.B. Häfen oder Telefonanlagen bombardiert. In Tripolis wurde schon in den ersten Tagen eine Klinik getroffen. Mit Angriffsserien auf Bodentruppen der libyschen Armee versuchen die Kampfjets der NATO seither den Aufständischen den Weg nach Westen freizuschießen.

Es begann mit einer Lüge: keine Hinweise auf Massaker

Wie jeder Krieg der NATO begann auch dieser mit einer großen Lüge. Der Ruf nach einer Flugverbotszone über Libyen wurde damit begründet, Machthaber Muammar al-Gaddafi würde die Luftwaffe gegen friedliche Demonstranten einsetzen und die „eigene Bevölkerung abschlachten“. Doch selbst US-Verteidigungsminister Robert Gates gab an, dafür keine Beweise gesehen zu haben. Auch westliche Nachrichtenagenturen äußerten grundsätzliche Zweifel an den Berichten der Aufständischen über Luftschläge und Artillerieangriffe. „Morgens heißt es: Dieser und jener Ort ist dem Erdboden gleichgemacht“, so ein hochrangiger EU-Vertreter gegenüber DPA, „Mittags ist dann auf einmal alles in Ordnung.“ [1] Die Luftaufklärung des russischen Militärs registrierte zwar Luftangriffe auf Armeedepots, die von Rebellen erobert worden waren, schließt Angriffe auf Demonstranten jedoch aus.[2]

Auch die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke) zu, es lägen keine Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten vor und es gebe auch keine Belege dafür, dass die libysche Luftwaffe sich nicht an die Zusagen eines Waffenstillstands gehalten habe oder überhaupt flächendeckend und systematisch zur Bombardierung von Zivilisten eingesetzt wurde.[3]

Libysche Regierungstruppen hatten in den Tagen vor der Verabschiedung der UN-Resolution mehrere Städte zurückerobert. In keiner war es dabei zu Massakern gekommen und es gab keinen Grund anzunehmen, dass dies in Bengasi, der größten Stadt im Osten, anders sein sollte.[4]

Der ehemalige Direktor für Politikplanung im US-Außenministerium, Richard N. Haass, wies in einer Senatsanhörung ebenfalls die Behauptung zurück, die Militärintervention wäre notwendig gewesen, um Zivilisten vor einem Massaker durch Gaddafis Truppen zu schützen.

„Mir sind keine Hinweise dafür bekannt, dass Zivilisten als solche, in größerem Umfang angegriffen werden sollten.“ Die USA haben jedoch dafür gesorgt, so Haass weiter, dass der Bürgerkrieg eskalierte und es sehr schwierig gemacht, die Kämpfe wieder zu stoppen. [5]

„Die Libyen-Krise hat gute Chancen als eine der größten Medienmanipulationen und Verletzungen des Völkerrechts unserer Zeit in die Geschichtsbücher Eingang zu finden “ vermutet zu Recht der algerische Politologe Djamel Labidi. Dazu zählt die Reduktion der UN-Resolution 1973 auf einen Blankoscheck für militärische Angriffe. Dabei verlangen sie im ersten, an sich wichtigsten, Artikel einen sofortigen Waffenstillstand und „einen Dialog über die für eine friedliche und dauerhafte Übereinkunft notwendigen Reformen.“ Genau das also, was die Kriegsallianz seither mit allen Mitteln verhindert. Der „wahre Inhalt der Resolution“ werde „von einer gigantischen Schwindelkampagne unterschlagen.“ Staatdessen soll Qaddhafi, so Labidi, „vollends zur Karikatur werden, einem gefährlichen Verrückten, der in jedem Fall ausgeschaltet werden muss.“ [5a]
Ziel ist, vom Nachdenken abzuhalten, über Qaddhafi, über die Gründe für die aktuelle Krise und die Komplexität des Problems ....

Die großen arabischen Satellitensender und Tageszeitungen, von Marokko bis an den Indischen Ozean, nehmen an diesem Schwindel teil, sei es weil sie die westlichen Standpunkte teilen, sei es weil sie in den verführerischen Taumel hineingesogen werden, so „Al-Jazeera“, dessen Heimat Qatar Teil der westlichen Koalition ist, aber auch „Al-Arabiya“ und andere. Wie die Schafe blöken sie mit einer Stimme, eine bisher ungewohnte Erscheinung.

Die Hauptstoßrichtung der Desinformationskampagne zielt darauf, nicht nur den wahren Inhalt der Resolution zu vertuschen, sondern auch die Tatsache, dass der größte Teil der Menschheit gegen eine Militärintervention ist.

[...]Auch soll die Desinformation die Intervention als alternativlos darstellen: „Sollen wir zulassen, dass die Zivilbevölkerung massakriert wird?“ Das ist das Leitmotiv, und nichts ist falscher. Präsident Chavez hat zu Beginn der Krise einen Verständigungsvorschlag vorgelegt, der von Qaddhafi selbst, der "Arabischen Liga" und auch der "Organisation für afrikanische Einheit" angenommen wurde.
Eine ganz entscheidende Manipulation war die Präsentationen der berüchtigten „Augenzeugen“ die nachweisen sollten, dass die libysche Regierung den geforderten Waffenstillstand nicht einhielt. Labidi schreicht:
Diese Aufgabe nahmen die arabischen Satellitensender in die Hand, allen voran Al-Jazeera. Dabei bedienten sie sich der berühmten „Augenzeugen“, möglicherweise ein bleibendes Merkmal dafür, wie man über diese Krise informiert oder aber desinformiert wird. Das Paradoxe dabei ist, dass in einer Zeit, in der Informationen über Live-Bilder vom Schauplatz des Geschehens selbst vermittelt werden, plötzlich "Zeugen" auftreten, die man manchmal nur hört, ohne sie zu sehen, und uns ihre Eindrücke berichten, aber ohne Bilder.

In der Nacht vom 17.3. auf den 18.3. sollte Al-Jazeera (und auch Al-Arabiya, aber zurückhaltender) ein regelrechtes Drama inszenieren, indem vermeintliche Augenzeugen bestätigten, dass die Waffenruhe nicht respektiert würde und Regierungstruppen „in die Vororte von Benghazi eingedrungen“ wären. Darauf interviewte Al-Jazeera US-Botschafterin Susan Rice, um ihr mit Nachdruck vorzuwerfen, dass nichts unternommen würde, Benghazi zu Hilfe zu eilen, „bevor es zu spät ist“. Minuten später sollte die US-Botschafterin, als habe sie auf nichts anderes gewartet, unter Berufung auf Al-Jazeera verkünden, dass Qaddhafi den Waffenstillstand nicht einhalte, und „France 24“ übernahm diese Nachricht wie eine offizielle Verlautbarung. Dabei wiederholten die Reporter von „France 24“ das Spiel mit den "Augenzeugen": Sie hatten keinerlei eigene Bilder, sie hatten selbst nichts gesehen, aber sie befanden sich „vor Ort“, wobei die Tatsache, „vor Ort“ zu sein, ausreichte, ihrer Aussage mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Der Druck nahm am darauffolgenden Samstagmorgen immer mehr zu, passend zum gleichzeitigen Gipfeltreffen in Paris, auf dem die Militärschläge beschlossen wurden.
Für viele gelten die Berichte Al-Jazeeras als Beleg, dass es sich beim Aufstand in Libyen, um eine „Revolution“ wie in den Nachbarländern handelt. Bisher stand der Sender auch für einen neuen kritischen Geist. „Mit der Libyen-Krise“ so Labidi, ist aus ihm ein arabischer Regierungssender geworden wie alle anderen auch, ein Propagandamittel: der Kanal von Qatar.“

Die libysche Revolte: teils Putsch teils bewaffneter Aufstand

 – keine Demokratiebewegung wie in anderen arabischen Ländern

Die Proteste in Libyen unterscheiden sich in vieler Hinsicht von denen in den anderen arabischen Ländern. In Tunesien und Ägypten war es eine überwiegend gewaltfreie  Oppositionsbewegung, die von Woche zu Woche wuchs und es war allein die beeindruckend große Zahl von Menschen, die in Massendemonstrationen der Brutalität der Regierungskräfte trotzten, die die Machthaber in Bedrängnis brachten. Die Zentren der Bewegung waren die Hauptstädte. In Libyen waren die Demonstrationen noch relativ klein und konzentrierten sich auf den Ostteil des Landes.

In den anderen arabischen Ländern war es der soziale Niedergang in Folge der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die materielle Not und die völlige Perspektivlosigkeit, die die Leute auf die Straße trieb. Im Vordergrund standen soziale Forderungen. In Libyen hingegen mit seinem relativen hohen Lebensstandard, leidet kaum einer materielle Not. Im Wesentlichen geht es hier um die Machtverteilung, um Rivalitäten zwischen Stämmen und zwischen dem Osten, der Kyrenaika und dem Westen. Demokratie und Menschenrechte sind bei den meisten Kräften höchstens Rhetorik – Gabriele Riedle, Redakteurin beim Magazin Geo, die zu Beginn der Proteste in Libyen war, berichtete, dabei niemand gesehen zu haben, dem es um Demokratie ging.[6]

Zweifelsohne gingen auch in Libyen junge Leute, Anwälte und Akademiker gewaltfrei mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr Demokratie auf die Straße, veröffentlichten Manifeste oder bildeten Arbeitsgruppen, die eine demokratische Verfassung ausarbeiten wollen. Sie waren aber nie besonders zahlreich und in dem Maß, wie die militärischen Auseinandersetzungen eskalierten, wurden sie von den bewaffneten Aufständischen, den abtrünnigen Regierungspolitikern und der gut organisierten Exil-Opposition an den Rand gedrängt. Mit Beginn der NATO-Intervention waren sie endgültig aus dem Spiel. Die fortschrittlichen Teile der Opposition sprachen sich klar gegen jegliche ausländische Intervention aus – sie hatten im „Übergangsrat“, der vom Westen als Repräsentanz der Rebellen anerkannt wird, jedoch nichts zu melden.

Selbst wenn die libysche Protestbewegung zu Beginn das fortschrittliche Potential hatte, das viele Linke in ihr sahen, so war dies nun passé. Die in New York ansässige Frauenrechtsorganisation MADRE brachte dies in ihrer Erklärung gegen die Militärintervention sehr gut auf den Punkt:

Wandelt man eine von den Bürgern selbst kontrollierte Volksbewegung in eine hierarisch organisierte, ausländische Militäroperation um, nimmt man den Leuten den Kampf aus den Händen. Dies garantiert, dass egal welches Regime auch immer folgen wird, es kein Produkt der Macht des Volkes, sondern der Macht der NATO sein wird, und dass das neue Regime vom Westen abhängig sein wird.

Tatsächlich ist Volksmacht nicht das, was die USA sehen wollen, vor allem nicht in den größten ölproduzierenden Ländern der Welt. Denn diese würde versuchen, sicherzustellen, dass Öleinnahmen dazu verwendet werden, Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung, nationale Infrastruktur und andere Notwendigkeiten zu finanzieren. In der Tat sind dies die Kernforderungen des arabischen Frühlings. Aber das, was die meisten Leute Demokratie nennen, bezeichnen die USA als extremen arabischen Nationalismus – und dieser wird nicht lange toleriert. [7]
Für die meisten Rebellen standen Demokratie und Menschenrechte jedoch von Anfang an nicht im Vordergrund, sondern politische und wirtschaftliche Interessen, regionale Machtverteilung und Stammesrivalitäten.

Schon am 18. Februar, am Tag nach den ersten Zusammenstößen am sogenannten „Tag des Zorns“, griffen auch diverse oppositionelle Kräfte zu massiver Gewalt. So wurden in Bengasi zwei Polizisten gelyncht (Xinhua 19.2.) und in der Großstadt al-Baida fünfzig als Söldner bezeichnete Schwarzafrikaner exekutiert (Guardian 18.2.). In mehreren Städten wurden Polizeistationen und Amtsstuben in Brand gesteckt. Bewaffnete Islamisten stürmten in Derna ein Armee-Depot und den daneben liegenden Hafen, nahmen eine größere Zahl von Soldaten und Zivilisten als Geiseln und drohten sie zu erschießen, falls die libysche Armee sich nicht aus der Stadt zurückziehe (AFP 21.2.). Wie hätten wohl andere Staaten auf eine solche massive Gewalt reagiert?

Die Auseinandersetzungen gingen auf diese Weise sehr schnell in einen Bürgerkrieg über. Bald häuften sich auch Berichte über brutale Angriffe aufständischer Kräfte auf schwarzafrikanische Fremdarbeiter. „Bekanntlich versucht Gaddafi wie kein anderer regionaler Führer das Image des arabischen Rassismus zu durchbrechen“, so Gunnar Heinsohn, Autor des „Lexikons der Völkermorde“ in der F.A.Z. Seine „Bemühungen um Schwarze“ komme diese jetzt allerdings teuer zu stehen. Eine Million afrikanischer Flüchtlinge und Tausende afrikanischer Wanderarbeiter sind nun in Gefahr, ermordet zu werden. [8] Als Vorwand für die Übergriffe dient meist der Verweis auf schwarze Söldner in den Reihen der Regierungstruppen. Opfer sind jedoch meist einfache Arbeiter und Flüchtlinge. Ein türkischer Bauarbeiter berichtete der britischen BBC, dass sie mit ansehen mussten, wie siebzig bis achtzig Arbeiter seiner Firma aus dem Tschad mit Baumscheren und Äxten niedergemetzelt wurden.

Auch der arabische TV-Sender Al Jazeera berichtet über rassistische Massaker der sogenannten „Freiheitskämpfer“ an schwarzafrikanischen Arbeitern:  „Dutzende von Arbeiter aus dem Afrika südlich der Sahara sind, so befürchtet man, getötet worden und Hunderte haben sich versteckt, weil wütende Regierungsgegner ‚schwarzafrikanische Söldner‘ jagen, wie Augenzeugen berichten.“

Julius Kiluu, ein 60 Jahre alter Bauleiter berichtete: „Wir wurden von Leuten aus dem Ort angegriffen. Sie beschuldigten uns, mordende Söldner zu sein. Aber in Wirklichkeit wollen sie einfach keine Schwarzen tolerieren. Unser Lager wurde niedergebrannt, unsere Firma und unsere Botschaft haben uns geholfen, zum Flughafen zu gelangen.“[9]

„Gegen die blutig ihre Macht Verteidigenden werden alle Register des internationalen Strafrechts gezogen“, so Heinsohn. „Doch weder im Resolutionstext noch in den Reden der amerikanischen Außenministerin Clinton oder des französischen Präsidenten Sarkozy gibt es Mahnungen und Gerichtsdrohungen an die Aufständischen. Ausdrücklich wird der Einsatz `von Söldnern durch die libysche Führung´ verurteilt. Doch womöglich unter solchem Vorwand erfolgte Völkermordakte bleiben unerwähnt“.[10]

 – Von langer Hand geplant

Schon die Schnelligkeit mit der sowohl der Aufstand eskalierte, als auch Frankreich, Großbritannien und die USA an der Seite der Rebellen intervenierten, legt nahe, dass die Vorbereitungen schon lange vor dem 17. Februar begannen. Auch andere Hinweise deuten daraufhin. So verabredeten beispielsweise Frankreich und Großbritannien im November letzten Jahres das gemeinsame Manöver „Südlicher Mistral“, bei dem die Luftwaffen beider Länder eine Diktatur in einem imaginären „Südland" bekämpfen sollten. Geplanter Beginn der Übung war der 21. März 2011. Sie ging jedoch offensichtlich in die „Operation Morgendämmerung“ über – dem am 19. März von französischen Kampfjets eingeleiteten Luftkrieg gegen Libyen.

Auch britische Spezialeinheiten standen schon lange zuvor in Bereitschaft. Bereits einen Monat vor Kriegsbeginn waren nach Informationen der britischen Zeitung Daily Mail 250 Elite-Soldaten in Libyen im Einsatz – d.h. gleich nach Beginn des Aufstands oder sogar schon davor.[11]

Vertreter der französischen Regierung hatten sich zudem bereits im Herbst letzten Jahres in Paris mit abtrünnigen libyschen Politikern getroffen, darunter u.a. Nouri Mesmari, der ehemalige Protokollchef und enge Vertraute Gaddafis. Offenbar nahmen die Franzosen in Bengasi auch Kontakt zu libyschen Offizieren, wie dem Luftwaffenoberst Abdallah Gehani auf, die mit Mesmari konspirierten und eine Revolte vorbereiteten. [12] Diese Dissidenten gehören seit Februar zur Führung der Rebellen in Bengasi. [13] 

Die libyschen Verbündeten der Westallianz

Vorbild Irak: die Nationale Front für die Rettung Libyens

Eine zentrale Rolle bei der Organisation des Aufstands spielt die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL). Diese wurde bereits 1982 mit israelischer und US-amerikanischer Unterstützung gegründet, um Gaddafi zu stürzen. Unter Führung des zur CIA übergelaufenen Kampfgefährten Gaddafis, Khalifa Haftar, legte sie sich 1988 mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) auch einen militärischen Arm zu. Die von den USA ausgerüstete kleine Untergrundarmee unterhielt in Virginia ein Trainings-Camp und führt seit den 1990er Jahren Aufstandsversuche und Terroraktionen in Libyen durch. 2005 gründete sie mit 6 kleineren Gruppen die Dachorganisation „Nationale Konferenz der Libyschen Opposition“ – Vorbild war hier offensichtlich die Irakische Nationalkonferenz von Ahmad Tschalabi „Irakischer National Kongress“ während die NFSL analog Iyad Allawis „Irakischer Nationaler Eintracht“ gestrickt wurde. Beide spielten eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Irakkrieges.

Die NFSL war eine treibende Kraft hinter den Demonstrationen vom 17. Februar, zu der sie über Facebook und ähnliche Netzwerke mobilisierte. Haftar reiste unmittelbar nach Beginn des Aufstands nach Bengasi, um die militärische Führung zu übernehmen.

Die NFSL nutzte sofort ihre guten Kontakte zu den Medien und prägte so maßgeblich die Berichterstattung im Westen über die Auseinandersetzung. Ihr Generalsekretär Ibrahim Sahad zieht seither weiterhin von Washington aus die Fäden, während andere führende Mitglieder eine maßgebliche Rolle im sogenannten „Nationalen Übergangsrats“ spielen. Dieser Rat wird, ohne dass nach seiner Legitimation gefragt wird, vom Westen als Repräsentant der gesamten Opposition im Land angesehen und von Frankreich sogar als neue libysche Regierung anerkannt. [14]

 – Übergangsrat: wirtschaftsliberale Ex-Minister und Exil-Politker

Auch in den Medien wird häufig beklagt, dass unklar sei, wer die Leute sind, an deren Seite die NATO nun Krieg führe und welche politischen Ziele sie verfolgen. Für die breite Masse der Rebellen stimmt das sicherlich. Die Personen jedoch, die die Führung des Aufstandes übernommen haben und nach dem Willen der westlichen Kriegsallianz die Macht im Land übernehmen sollen, sind sehr gut bekannt. Es sind Exilpolitiker und ehemalige Regierungsmitglieder, die alle seit langem in engen Kontakt mit Washington, London und Paris stehen. [15]

An der Spitze steht, als Chef des „Exekutivrats“, Mahmoud Dschibril, der sich bis dahin in der libyschen Regierung als Leiter des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung um einen radikalen Privatisierungskurs bemüht hatte. Zuvor hatte er lange Zeit an US-amerikanischen Universitäten wirtschaftspolitische Planung gelehrt und war erst 2005 nach Libyen zurückgekehrt. Den von WikiLeaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen zufolge stand er auch als Regierungsmitglied in vertrautem Kontakt zur US-Regierung und drängte sie zu einem stärkeren wirtschaftlichem Engagement und kritisierte die Weltmacht dafür, dass sie im Nahen Osten ihre „Softpower“, d.h. ihre von McDonald's bis Hollywood reichenden wirtschaftlichen und kulturellen Trümpfe nicht stärker ausgespielt habe.[16]

Dschibril ist zusammen mit dem früheren libyschen Wirtschaftsminister Ali Al-Issawi vor allem für die enge Zusammenarbeit mit der Kriegsallianz zuständig. Al-Issawi verlor das für die Privatisierung zuständige Ressort im Streit um das Tempo der Reformen, die er, wie Dschibril, gerne radikaler gestaltet hätte. Ebenso eng verbunden mit Washington und ausgewiesen neoliberal ist der „Finanzminister“ in der Gegenregierung, Ali Tarhouni. Auch er lebte den größten Teil seines Lebens in den USA und lehrte noch bis März des Jahres an der University of Washington Wirtschaft und Finanzwesen. Er ist verheiratet mit einer Anwältin, die im US-Justizministerium arbeitet.

Erst Justizminister in Tripolis, jetzt Chef des »Übergangsrats« in Bengasi: Mustafa Abdul Dschalil (4. März 2011) – Foto: AP
Eine wichtige Rolle spielt als Chef, des unter der alten Flagge der Monarchie agierenden Übergangsrates, auch der ehemalige Justizminister Mustafa Mohammed Abdul Dschalil (auch al-Dschelail oder Jalil geschrieben). Er hat sein Amt am 21. Februar 2011 niedergelegt, stand vermutlich aber schon länger mit den Kreisen in Verbindung, die den Aufstand planten. [17]

Zum Militärchef avancierte,in Abstimmung mit der Westallianz, Abdulfattah Junis, bis dahin Innenminister und Kommandeur der libyschen Sondereinheiten. Er soll vor allem enge Verbindungen zur britischen Regierung haben. Als „Generalstabschef“ ist er nun zuständig für die Kontakte mit der Militärführung der westlichen Allianz.

Zum Kreis der Abtrünnigen gehört auch Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman al-Abbar, der kurz nach Junis zu den Rebellen überlief. Somit stehen nun die drei wichtigsten bisherigen Verantwortlichen für die staatliche Repression an der Spitze dessen, was im Westen als demokratische Opposition angesehen wird.

Die drei, die schon beruflich eng verbunden waren, traf die Entwicklung offenbar nicht unvorbereitet. Junis hat den Ausbruch der Unruhen vermutlich in seiner Funktion als Innenminister noch gefördert. Nach Angaben eines hochrangigen Polizisten hatten die Sicherheitskräfte bereits am 17. Februar den Befehl vom Hauptquartier in Tripolis erhalten, die Polizeistationen zu verlassen. „Wir wurden aufgefordert, unsere Uniformen auszuziehen und nach Hause zu gehen.“ [18]

Dschalil und Junis sind zudem beide Mitglieder des mächtigen Haribi-Stammesverbandes in Ostlibyen, der immer wieder im Clinch mit Gaddafi, der Zentralregierung und den Stämmen im Westen stand. Auch ein großer Teil der übrigen Mitglieder des Übergangsrates sind Angehörige eines der Haribi-Stämme.[19] Mit Ahmed al-Senussi ist zudem auch ein Angehöriger des einstigen Königshauses im Führungszirkel der Aufständischen vertreten. [20]

Schließlich spielt im Hintergrund noch der frühere Chef der Zentralbank Farhat Omar Bengdara eine entscheidende Rolle. Auch er kommt aus Bengasi und war vermutlich in die Umsturzpläne eingeweiht. Der wirtschaftsliberale Banker, der wegen seines „Nebenjobs“ als Vizepräsident der italienischen Großbank UniCredit sehr oft in Mailand weilte, hatte sich zu Beginn des Aufstands ins Ausland abgesetzt. Wochenlang war unklar, wo er sich aufhält und auf welcher Seite er steht,[21] bis er sich am 8. März aus Istanbul bei der Financial Times meldete. Wie er dem Blatt später in einem Interview mitteilte, hatte er in dieser Zeit seine Position genutzt, um die Versuche seiner Regierung, libysche Kapitalanlagen aus Europa und den USA abzuziehen, solange zu blockieren, bis UN-Sanktionen deren Einfrieren ermöglichten. Dadurch, und weil er genaue Hinweise geben konnte, wo sich das libysche Kapital sind die Sanktionen so erfolgreich. 95 Prozent des gesamten libyschen Auslandsvermögen, insgesamt 130 Milliarden Dollar, konnten, so Bengdara, auf diese Weise festgesetzt werden. Diese Sanktionen würden Tripolis mehr treffen als alles andere. [22]

Als Vizepräsident von UniCredit, der zweitgrößten Bank Europas, hatte Bengdara sicherlich nicht nur zur italienischen Geschäftswelt enge Kontakte, sondern auch zu Berlusconis Regierung. Die Zusammenarbeit mit einer solchen Person, dürfte erheblich dazu beigetragen haben, die italienische Regierung zu überzeugen, trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Libyen an der Seite der Aufständischen in den Krieg zu ziehen.

Auch nach seinem Abgang von der Zentralbank behielt es seinen Posten bei UniCredt. Nun arbeitet er für die Bank an den Plänen zum Aufbau eines neuen Banksystems in der Rebellenhauptstadt Bengasi und nutzte seine Position für seine Bemühungen, das eingefrorene libysche Vermögen dem Rat der Aufständischen zukommen zu lassen (s.u.).[23]

 – Mudschaheddins als militärische Vorhut

Die militärisch erfahrensten Kämpfer sind jedoch ausgerechnet radikal-islamische Veteranen, die in Afghanistan und im Irak gegen US- und NATO-Truppen kämpften und als al-Qaeda-Anhänger gelten. Ein Teil von ihnen ist in der Libyschen Islamischen Kampfgruppe organisiert, die bereits in den 1990er Jahren Anschläge in Libyen durchführte. Ihre Hochburg ist die östlich von Bengasi liegende Stadt Derna. Nach Statistiken des US-amerikanischen Besatzungstruppen kam ein Fünftel der ausländischen Kämpfer in den al Qaeda-nahen Gruppen im Irak aus Libyen, die Hälfte davon aus der Kleinstadt Derna.[24]

Abdel Hakim al-Hasady einer ihrer Führer und mittlerweile hochrangiger Feldkommandant der Rebellen schlägt zwar versöhnliche Töne an und verkündete, sie würden die Amerikaner jetzt nur noch halb so sehr hassen, dennoch dürfte die Beteiligung dieser Mudschaheddin einer der Gründe sein, warum das Pentagon und die US-Militärs nur sehr ungern in diesen Krieg zogen und Waffenlieferungen an die Rebellen ablehnen. [25]

 – „Nationaler Übergangsrat“ ohne Legitimation

Der nach Beginn des Aufstands ins Leben gerufene Nationalen Übergangsrat wurde, so heißt es von Ad-hoc-Räten der „befreiten Städte“ im Osten im Schnellverfahren bestimmt. Für Tomas Avenarius, der für die Süddeutsche Zeitung aus Bengasi berichtete, ist er inzwischen eine „reine Honoratiorenveranstaltung“, [26] Lucio Caracciolo, Direktor der italienischen Zeitschrift für Geopolitik Limes ein obskures Gremium, das intern zwischen den verschiedenen politischen und militärischen Befehlshabern gespalten ist.[27] Wenn überhaupt, so repräsentiert der Rat nur Teile der Opposition im Osten und keineswegs, wie behauptet wird, die des gesamten Landes oder gar das „libysche Volk“.

Die namentlich bekannten Mitglieder des 31-köpfigen Rates kommen, so sie überhaupt in Libyen wohnen, aus vier Städten bzw. Regionen im Osten – Bengasi, Derna, al-Butnan und al-Quba. Die anderen, deren Namen sie zu ihrem Schutz geheim halten, sollen nach eigenen Angaben sieben weitere Städte repräsentieren –  drei im Osten und vier im äußersten Westen, nahe der tunesischen Grenze. Tripolis, Zentral und Südlibyen werden nicht mal genannt.[28]

Fraglich ist auch ob der Übergangsrat und die militärische Führung in Bengasi überhaupt Einfluss auf das Geschehen in den anderen, von Aufständischen kontrollierten Städten haben. Hier haben die lokalen Räte das Heft in der Hand. Die libysche Gesellschaft ist stark stammesbezogen und schon daher sehr widerspenstig gegen entfernte, zentrale Autoritäten. Auch das politische System der „Jamahiriya“, der „Herrschaft der Massen“ durch eine direkte Demokratie über die lokalen „Basisvolkskongress“ hat eher eine dezentrale Selbstverwaltung als eine echte nationale Administration gefördert, so der private texanische Informationsdienst Stratfor. „Ironischer weise war es dieses Erbe von Gaddafis Regime, das den einzelnen östlichen Städten half, rasch lokale Komitees zu bilden und die Verwaltung ihres jeweiligen Gebietes zu übernahmen. Aber es wird Schwierigkeiten schaffen, sollten sie versuchen, wirklich zusammenzukommen. Die Rhetorik ist weit entfernt von einer handfesten Demonstration der Einheit.“ [29]

Im Westen hat es, mit Ausnahme von Misrata, nie sonderlich große Demonstrationen gegeben. Seit die Nato bombt, dürften auch viele Gegner Gaddafis wieder hinter ihrer Regierung stehen. „In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen“, so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, „die Gaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen.“ [30]

Freie Hand zum „Regime Change“

Mit der Sicherheitsrats-Resolution 1973 ermächtigten sich die NATO-Staaten nicht nur zur Durchsetzung eines Flugverbots für die libysche Armee, sondern auch zum Einsatz „aller notwendigen Mittel“, um „Zivilisten oder von Zivilisten bewohnte Gebiete“ vor Angriffen zu schützen. Die Kriegsallianz nutzt dies, wie zu erwarten, zur Rechtfertigung willkürlicher Angriffe auf alle libyschen Truppen, die in die Nähe der zu „Zivilisten“ erklärten Rebellen-Milizen kommen. Mit der UN-Charta und den sonstigen Bestimmungen des internationalen Rechts ist die Resolution, wie viele Völkerrechtler überzeugend darlegen, nicht vereinbar. [31]

Mit der Resolution überließ der Sicherheitsrat es völlig der Willkür einzelner Staaten und Militärbündnisse, wann, wo und wie sie zuschlagen wollen. Indem sie sich allein gegen die libysche Regierung richtet, zielt sie auf nichts anderes als einen „Regime Change“. Die Rebellen können weiter ungehindert angreifen, schlagen die Regierungstruppen jedoch zurück, so werden sie von NATO-Jets bombardiert.

Die Resolution ist zweifellos ein neuer Tiefpunkt der Vereinten Nationen. Sie ignoriert die allen Staaten völkerrechtlich garantierte Souveränität (u.a. UN-Charta Artikel 2 Abs. 4 und Abs. 7) und fordert zur Einmischung in einen internen Konflikt auf, ohne dass versucht wurde, dafür auch nur ansatzweise eine Begründung von völkerrechtlichem Belang anzugeben. [32] Von einer Gefahr für die internationale Sicherheit, die allein eine solche Resolution rechtfertigen würde, kann ganz offensichtlich keine Rede sein, genauso wenig davon, dass schon alle friedlichen, diplomatischen Mittel ausgeschöpft worden wären – die Initiativen Venezuelas und der Afrikanischen Union hat man im Westen schlicht ignoriert.

Russland und China ließen die NATO-Staaten wieder einmal gewähren und verzichteten auf ihr Veto. Auch Brasilien und Indien fehlte das Rückgrat, ihrer deutlichen Kritik an der Resolution auch ein klares „Nein“ folgen zu lassen. Die deutsche Regierung hat sich zusammen mit diesen vier der Stimme enthalten und sich damit von der militärischen Intervention distanziert. Sie stellte sich aber dennoch voll hinter die Kriegsziele der Verbündeten und versicherte rasch, alle notwendige nichtmilitärische Unterstützung zu gewähren. Sie zog zwar die Marine ab, ließ es aber zu, dass die Koordination der Militäroperationen von dem Regionalkommando der US-Streitkräfte AFRICOM in Möhringen bei Stuttgart aus durchgeführt wurde und stimmte auch der Übernahme des Kommandos durch die NATO zu.

Dennoch war die Enthaltung und das formelle Ausscheiden aus der Kriegsallianz eine überraschend kluge Entscheidung der schwarz-gelben Regierung. Da Deutschland auch am Irak-Krieg nicht aktiv teilnahm, ist die Exportnation nun die einzige westliche Macht, die kein arabisches Land bombardierte.

Kriegsallianz – fest an der Seite von Despoten

Die treibenden Kräfte in der Kriegsallianz gegen Libyen sind genau jene Kräfte, die zuvor lange danach trachteten, die Machthaber in Tunesien und Ägypten an der Macht zu halten. So hat die französische Regierung dem tunesischen Machthaber Ben Ali sogar praktische Unterstützung bei der Niederschlagung der tunesischen Opposition angeboten. Hinzu kommen die Feudalherren vom Golf, die auch bis zuletzt an Mubarak und Ben Ali festhielten und anschließend selbst die demokratische Opposition im eigenen Land mit brutaler Gewalt unterdrücken. Nur wenige Tage vor der Sicherheitsrats-Resolution zu Libyen marschierten die Truppen der Golfmonarchien in Bahrain ein, um die dortige Protestbewegung gewaltsam zu ersticken.

Nach Aussagen zweier UN-Diplomaten gab es einen Deal zwischen den USA und Saudi Arabien: Im Gegenzug für das entscheidende, formelle Votum der Arabischen Liga für eine Flugverbotszone erhielten die Golfmonarchien freie Hand für den Einmarsch in Bahrain. Die Saudis setzten die entsprechende Resolution bei einem Treffen der Arabischen Liga durch, bei dem nur 11 der 22 Mitglieder anwesend waren. 2 stimmten dagegen, sechs der Ja-Stimmen kamen von den Golfstaaten. [33]

Die NATO-Mächte, die mit ihren Bomben auf Libyens Städte angeblich die Zivilbevölkerung schützen wollen, unterstützten 2006 den Krieg Israels gegen den Libanon und verhinderten Anfang 2009 ein Einschreiten der UNO gegen die mörderischen Angriffe Israels auf den Gazastreifen. SPD und Grüne fordern vehement ein militärisches Eingreifen zum Schutz der libyschen Bevölkerung, lassen aber zu, dass NATO-Truppen am Hindukusch Woche für Woche Dutzende Menschen töten. Zur selben Zeit, als die UN-Resolution 1973 verabschiedet wurde, brachte ein US-amerikanischer Drohnenangriff auf eine Stammesversammlung in Pakistan über 40 Menschen den Tod.

Eine solche Allianz führt mit Sicherheit keinen Krieg zur Unterstützung einer demokratischen Revolution. Es handelt sich viel eher um eine Konterrevolution – durch Rückendeckung für die arabischen Verbündeten bei der Niederschlagung der Proteste zu Hause und den Versuch, in Libyen jenen Kräften zur Macht zu verhelfen, mit denen eine ähnliche gedeihliche Zusammenarbeit möglich wird.

In Libyen sei „der „Grad der Unterdrückung“ nicht „durchdringender und schwerer“ als in anderen autoritär regierten Ländern, schreibt der international bekannte Völkerrechtler und UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Palästina, Richard Falk. „Andere Gesichtspunkte geben eine bessere Erklärung:  Zugriff auf und die Preisgestaltung beim Öl, Rüstungsexporte, Sicherheit von Israel und der Bezug zur neoliberalen Weltwirtschaft.“



[2] Rainer Rupp, Treibende Kräfte –  Ein russischer Fernsehsender belegt: Die »Berichterstattung« westlicher Medien über den Bürgerkrieg in Libyen ist zum großen Teil Kriegspropaganda, junge Welt; 09.03.2011

[3] Kamil Majchrzak, Kriegslügen und die Erosion des Völkerrechts, Telepolis, 29.04.2011

[4] Lühr Henkens chronologische Dokumentation der Medienberichte bis zur UN-Resolution belegt dies eindrücklich (Lühr Henken: Das libysche Öl und die NATO. Humanität als Vorwand – Krieg als Mittel, AG Friedensforschung Kassel, 3.4.2011)

[5] Richard N. Haass  Erklärung vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senat beim „Hearing on Perspectives on the Crisis in Libya“, 6.4.2011, siehe auch Chris Marsden, US Senate discusses sending troops to Libya, WSWS, 9.4.2011

[5a] Djamel Labidi, "Morgendämmerung der Odyssee" oder "Trojanisches Pferd"?
Le Quotidien d’Oran, 24.3.2011 / dt. INAMO, Heft Nr. 65/Frühjahr 2011

[6] "Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie", Interview mit Gabriele Riedle, Redakteurin des Magazin Geo, Berliner Zeitung, 21.02.2011

[8] Gunnar Heinsohn, Da schweigt Gaddafi – Wer sind die Aufständischen, F.A.Z. 22.3.2011. Siehe auch African migrants targeted in Libya, Al Jazeera, 28.02.2011 und Wolfgang Weber, Libysche Rebellen massakrieren Schwarzafrikaner, WSWS, 31.3.2011

[9] African migrants targeted in Libya, Al Jazeera, 28.02.2011, zitiert nach Wolfgang Weber, Libysche Rebellen massakrieren Schwarzafrikaner, WSWS, 31.3.2011

[10] Gunnar Heinsohn, Da schweigt Gaddafi – Wer sind die Aufständischen, F.A.Z. 22.3.2011

[13] Jaya Ramachandran (IPS), Sturz Ghaddafis von langer Hand geplant, jW, 18.04.2011

[15] Tomas Avenarius, Rebellen ohne Regierung, SZ, 28.03.2011

[16] Andreas Buro und Clemens Ronnefeldt a.a.O.

[17] Knut Mellenthin, Offen und kooperativ – Die »Revolutionäre«, denen der Westen vertraut, jW, 01.04.2011, Prof. Peter Dale Scott, Who are the Libyan Freedom Fighters and Their Patrons? The Asia-Pacific Journal Vol 9, Issue 13 No 3, 28.3.2011.

[18] Amira El Ahl, Sie feiern schon ihr neues Libyen, Welt am Sonntag, 27.2.2011

[21] Libyens undurchschaubarer Schatzmeister, Basler Zeitung, 9.3.2011

[22] Libyan cash may be hidden in desert, Financial Times,

[25] Ex-Mujahedeen Help Lead Libyan Rebels, Wall Street Jounal, 2.4.2011

[26] Tomas Avenarius, Rebellen ohne Regierung, SZ, 28.03.2011

[27] »Übergangsrat ist ein obskures Gremium«, Ein Gespräch mit Lucio Caracciolo, junge Welt, 2.5.2011

[28] Siehe Homepage des Transitional National Council: http://ntclibya.org/english/council-members/

[30] Johan Galtung, Libya: The War Is On, TRANSCEND Media Service, 28 3.2011

[31] siehe insbesondere Reinhard Merkel, Der libysche Aufstand gegen Gaddafi ist illegitim, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.3.2011

[32] Richard Falk, Kicking the intervention habit – Should talks of intervention in Libya turn into action, it would be illegal, immoral and hypocritical, Aljazeera, 13.2.2011

[33] Pepe Escobar, Exposed: The US-Saudi Libya deal, Asia Times, 2.4.2011

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