Jarmuk: Verquerte Solidarität und Werbung für eine Intervention

Zu den fortgesetzten Initiativen von „medico international“ und „Adopt a revolution“ für eine Fortführung des Aufstands in Syrien.

Mit dem Eindringen des Islamischen Staat im Irak und der Levante (ISIL oder nur noch kurz IS) rückte der, aus einem palästinensischen Flüchtlingslager entstandene Damaszener Stadtteil Jarmuk wieder in die Schlagzeilen. Die deutsche Lobby-Organisation für syrische Aufständische, „Adopt a revolution“ startet die Initiative „Save Yarmouk“. In Berlin gab es am 15. April eine Solidaritäts-Demonstration mit den dort eingeschlossenen Menschen.

Angesichts der katastrophalen Lage haben die Bewohner von Jarmuk sicherlich Hilfe dringend nötig. Wirklich geholfen wäre aber auch ihnen ‒ wie dem ganzen Land ‒ durch ein Ende der Kämpfe. Die Forderungen von „Adopt a revolution“ und der Berliner Demo zielen aber eher auf eine Ausweitung des Krieges durch eine offenes militärisches Eingreifen von außen.
 
Maßgeblicher Wortführer bei diesen Initiativen ist Martin Glasenapp, einer der führenden „Revolutions“-Paten. Obwohl nach fast 4 Jahren Krieg die tatsächlichen Konfliktlinien und -parteien in Syrien hinreichend bekannt sein dürften, bemüht sich der Beirat bei „Adopt“ und Syrien-Referent der Hilfsorganisation „medico international“ auch im Fall Jarmuk das Bild aufrecht zu erhalten, die Menschen in Syrien stünden zwischen zwei gleichermaßen finsteren Mächten – die „Dschihadisten“ von Al Nusra und ISIL sowie das „Regime“.

Glasenapp fand nach Veröffentlichung seines Jarmuk-Beitrags durch „medico“ (Auf mehr als einer Todesliste – Die Gräueltaten des IS im Palästinensercamp Jarmuk spielen dem syrischen Regime in die Hände, medico, 8.4.2015) reichlich Gelegenheit seine Sichtweise in den deutschen Medien zu verbreiten. U.A. führten Tagesschau und Deutschlandfunk ausführliche Interviews mit ihm, als Vertreter einer renommierten Hilfsorganisation, der den Anschein erweckt, über die Situation im Camp bestens informiert zu sein. An sich ist die dominierende Miliz im Lager, soweit auch Glasenapp, die Nusra-Front, die nun Teile dem ISIL überlassen musste. Dennoch macht er vor allem „das Regime“ für die Situation verantwortlich, da dieses zusammen mit“ regimeloyalen“ Palästinensern „den tödlichen Sperrgürtel“ geschaffen habe, „der Jarmuk in ein großes Gefängnis verwandelte.“

Er blendet dabei aus, dass die syrische Armee erst anrückte, nachdem die Al-Nusra Front im November 2012 zusammen mit anderen islamistischen Milizen, darunter auch die von Glasenapp geschätzte, den Muslimbrüdern und der Hamas nahestehenden Aknaf-Miliz, in das Lager eingedrungen waren und es militärisch unter ihre Kontrolle gebracht hatten. 90 Prozent der rund 200.000 palästinensischen Bewohner waren damals geflohen.
Selbstverständlich konnte die syrische Armee eine solche dschihadistische Bastion unweit des Zentrums von Damaskus nicht tolerieren. Sie versuchte zwar nicht selbst in das noch immer von Palästinensern verwaltete ehemalige Lager einzudringen, blockierte jedoch mit einem Sperrriegel das weitere Vordringen der islamistischen Milizen und feuerte auf Stellungen aus denen sie mit Mörsergranaten beschossen wurden.(s. Karin Leukefeld, Die Tragödie von Jarmuk, junge Welt, 15.04.2015)

Dass dabei auch die noch verbliebenen Zivilisten eingeschlossen wurden, ist tragisch, aber sicherlich nicht der Regierung anzulasten[, es sei denn, man verlangt von ihr eine kampflose Aufgabe der Hauptstadt]. Es ist allerdings nicht richtig, dass eine Flucht aus Jarmuk völlig unmöglich sei, wie Glasenapp auf allen Kanälen behauptete. Rund 8.000 der verbliebenen 18.000 konnten z.B. in den vergangenen Tagen in andere Stadtteile fliehen. (Karin Leukefeld, Umkämpftes Lager ‒ Palästinensische Einheiten versuchen, Jarmuk von den Truppen des „Islamischen Staats“ zu befreien, junge Welt; 18.04.2015) Auch die Hilfslieferungen vom UN-Flüchtlingswerk UNWRA, dem Syrischen Roten Halbmond (SARC) und dem Internationalen Roten Kreuz (ICRC), die ‒ wenn auch unzureichend ‒ seit über einem Jahr nach Jarmuk gelangen, unterschlägt er komplett.

Glasenapp schert sich offensichtlich auch nicht um die Meinung der Palästinenser vor Ort. Die meisten sind für ein gemeinsames Vorgehen mit der der syrischen Regierung. 14 palästinensische Organisationen haben Einheiten aufgestellt, die an der Seite syrischer Spezialtruppen gegen die Dschihadisten vorrücken. (Karin Leukefeld, Kampf um Befreiung ‒ Palästinenser in Damaskus unterstützen Armee beim Vorgehen gegen »Islamischen Staat«, junge Welt; 15.04.2015) Während der Vertreter der Fatah in Syrien, Abbas Zaki, erklärte, dass es sich beim Aufstand in Syrien um eine „Aggression von Agenten der NATO, des Mossad und des US-Geheimdienste“ handle, tritt Glasenapp faktisch für die Fortsetzung des Kampfs „moderater“ Aufständischer, wie die Hamas-nahe Aknaf, sowohl gegen ISIL als auch gegen die Regierung ein. Im Deutschlandfunk verlangt er dazu „eine internationale Staatengemeinschaft …, die tatsächlich ein Schweigen der Waffen erzwingt.“ Auch die Organisatoren der Demo in Berlin fordern ausländische Regierungen ‒ vermutlich die der NATO-Staaten ‒ auf, ein sofortiges Ende der Bombardierungen des Lagers „zu gewährleisten“, ohne zu sagen wie. In einem aktuellen Appel von „Adopt a Revolution“ wird dies mit „auch wenn dies eine 'Flugverbotszone' bedeutet“ ‒ d.h. im Klartext eine direkte militärische Intervention ‒ konkretisiert.

Die Hoffnung für Jarmuk und andere Orte kann sicher nicht im Wechsel der islamistischen Milizen liegen, die es kontrollieren, sondern nur in deren Vertreibung und Zerschlagung. Nach fast 4 Jahren Krieg, sollte es eigentlich jedem klar sein, dass ein Ende des Krieges nicht durch Unterstützung bestimmter Fraktionen der Aufständischen erreicht werden kann. Mittlerweile kann man auch Mainstream-Medien entnehmen, dass die im Westen betriebene Unterscheidung zwischen „moderaten“ und dschihadistischen Aufständischen vor Ort völlig verschwimmt und das Gros der von NATO-Staaten und Golfdespoten unterstützten Kämpfer sowie die ihnen gelieferten Waffen, am Ende bei den kampfstärksten und zahlungskräftigsten Milizen landen, d.h. bei der Nusra-Front und dem ISIL .

Der Krieg der diversen Milizen richtet sich nicht allein gegen das „Regime“ sondern die Mehrheit der gesamten Bevölkerung, die mehr denn je hinter der Regierung steht. Wer gegen das Wüten des ISIL in Jarmuk ist und Solidarität mit den angegriffenen syrisch-kurdischen Enklaven fordert, der muss auch solidarisch mit den anderen Bevölkerungsgruppen sein, deren Dörfer und Städte ebenfalls von ISIL, Al Nusra und anderen Terrorbanden angegriffen werden oder besetzt sind. Der sollte sich für den einzigen Weg einsetzen, das Land zu befrieden: das Ende der ausländischen Unterstützung für die aufständischen Gruppen.

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