Aufstand in Ägypten - der Palästina-Faktor - Updated
Die Berichterstattung über den Aufstand in Ägypten ist hierzulande, wie die ägyptische Politikwissenschaftlerin Salua Nour zu Recht beklagt, äußerst oberflächlich. Ein Faktor wird gar nicht beachtet: auch hier spielt die Besatzung Palästinas eine wesentliche Rolle.
Uri Avnery schreibt dazu:
Uri Avnery schreibt dazu:
"Der Aufstand in Ägypten wurde durch wirtschaftliche Faktoren bestimmt: die wachsenden Lebenskosten, die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit der gebildeten jungen Leute. Aber lassen wir kein Missverständnis aufkommen: die zu Grunde liegenden Ursachen liegen viel tiefer. Sie können mit einem Wort zusammengefasst werden: Palästina."
Was jeder junge Araber von Marokko bis Oman täglich sah, war, dass seine Führer sich demütigten, indem sie die palästinensischen Brüder im Stich ließen, um Gunst und Geld von Amerika zu erhalten. Sie kollaborierten mit der israelischen Besatzung und katzbuckelten vor den neuen Kolonialherren. Dies war für junge Leute zu tiefst demütigend, die mit den Errungenschaften der arabischen Kultur vergangener Zeiten und dem Ruhm früherer Kalifen aufgewachsen sind.Auch de Politikwissenschaftlerin Salua Nour antwortet auf die Frage, welche Faktoren zum Aufstand beitrugen:
Nirgendwo war der Ehrverlust offensichtlicher als in Ägypten, das offen mit der israelischen Führung kollaboriert, in dem es die schändliche Blockade über den Gazastreifen verhängt und so 1,5 Millionen Araber der Unterernährung und Schlimmerem preisgibt. Es war niemals nur eine israelische Blockade, sondern eine israelisch-ägyptische, die mit 1,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschmiert wurde.
(Uri Avnery, Eine Villa im Dschungel, Gush Shalom, 5.2.2011)
...Der ägyptische Journaliste und Blogger Hossam al-Hamalawy sagte in einem Interview über die Ursachen des Widerstands:
Zweitens: die Außenpolitik, die Präsident Hosni Mubarak und sein Vorgänger Anwar El Sadat betrieben haben. Beide haben die Ideale und das Selbstwertgefühl des ägyptischen Volkes verkauft. Statt auf eine gerechte Lösung der Palästina-Frage hinzuarbeiten, hat sich Ägypten der Erhaltung des Status quo im Nahen Osten verschrieben. Als Gegenleistung dafür hat der Westen den Machterhalt des bestehenden Regimes abgesichert. Seit drei Jahrzehnten klaffen der Wille des Volkes und der der Diktatur immer weiter auseinander – und jetzt ist der Punkt erreicht, an dem sich der Unmut des Volkes in Gestalt eines Aufstandes Luft macht. (»Westmedien informieren nicht aus Sicht Betroffener«Ägypten-Berichterstattung ist oberflächlich statt analytisch. Ein Gespräch mit Salua Nour, junge Welt, 05.02.2011)
Revolutionen fallen nicht vom Himmel. Die Revolution in Tunesien gestern hat nicht automatisch heute eine in Ägypten ausgelöst. Wir können diese Proteste nicht von den Streiks der vergangenen vier Jahre in Ägypten trennen oder von internationalen Ereignissen wie der Al-Aksa-Intifada und dem Einmarsch der USA in den Irak. Der Ausbruch der Al-Aksa-Intifada war deswegen wichtig, weil in den 80er und 90er Jahren öffentliche Aktivitäten von der Regierung unterbunden wurden als Teil des Kampfes gegen islamistische Aufstände. Sie konnten nur an den Universitäten oder in den Parteizentralen weitergeführt werden. Aber als die Intifada im Jahr 2000 ausbrach und al-Dschasira anfing, Bilder davon auszustrahlen, hat das die Jugend inspiriert auf die Straße zu gehen, genauso wie wir heute von Tunesien inspiriert wurden.
[...]
Wie ist hier die Beziehung zwischen regionalen und lokalen Ereignissen?
Sie müssen verstehen, dass Regionales hier Lokales bedeutet. Im Jahr 2000 begannen die Proteste nicht als Proteste gegen das Regime, sondern gegen Israel und zur Unterstützung der Palästinenser. Das Gleiche geschah bei dem Einmarsch der USA in den Irak drei Jahre später. Aber wenn du erst mal auf die Straße gehst und mit der Gewalt des Regimes konfrontiert bist, fängt du an, Fragen zu stellen: Warum schickt Mubarak Truppen, um Demonstranten zu bekämpfen anstatt Israel? Warum exportiert er Zement, den Israel für den Siedlungsbau benutzt, statt den Palästinensern zu helfen? Warum springt die Polizei so brutal mit uns um, wenn wir nur versuchen, unsere Solidarität mit den Palästinensern friedlich zum Ausdruck zu bringen? Und so haben sich regionale Fragen wie Israel und Irak zu lokalen Fragen entwickelt. Und innerhalb weniger Augenblicke begannen dieselben Demonstranten, die propalästinensische Parolen riefen, Sprechchöre gegen Mubarak anzustimmen. Der spezifische innere Wendepunkt in Bezug auf die Proteste war 2004, als sich die Unzufriedenheit gegen die Verhältnisse im eigenen Land zu richten begann. (Revolutionen fallen nicht vom Himmel, Interview von Hossam al-Hamalawy durch Mark LeVine, Marx21.de, 31.01.11)
JGuilliard - Sonntag, 6. Februar 2011
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