Das Massaker von Hula – ein syrisches „Račak“?

NATO-Staaten nutzen Gräueltat für Schritte in Richtung militärische Intervention
(erscheint in der Juli-Ausgabe des „Berliner Anstoß“)

Am 26. Mai wurden in Al Hula, nahe Homs an einem Tag 108 Menschen auf grausame Weise getötet, über ein Drittel der Opfer waren Kinder. Die Bluttat ragt nicht nur wegen der besonderen Brutalität hervor, sie markiert auch eine erneute Wende im Konflikt. Nachdem die verbündeten aufständischen Kräfte zu Beginn des Jahres empfindliche Niederlagen erlitten hatten und aus ihren Hochburgen vertrieben wurden, hatten die NATO-Länder sich formal auf den Friedensplan des UN Sondergesandten Kofi Annans eingelassen, der erstmals auch von der Opposition die Einstellung der Gewalt forderte. Faktisch wurde dieser nun beerdigt.
 
Obwohl die UN-Beobachter, die den Ort später untersuchten, keine Aussagen über die Täter machen konnten und die Schilderungen über die Umstände zunächst sehr widersprüchlich waren, machten westliche Politiker und Medien sofort die syrische Regierung dafür verantwortlich. „Syrische Truppen töteten über 100 Menschen“ hieß es auf den Titelseiten der meisten Zeitungen. Eine Reihe europäischer Regierungen, darunter auch die deutsche fuhren, ohne eine Untersuchung abzuwarten, schärfstes diplomatisches Geschütz auf und wiesen die syrischen Botschafter aus.

Die ersten Angaben oppositioneller Quellen, die Toten seien Opfer des Beschusses von Panzern und schwerer Artillerie, hatten sich rasch als falsch erwiesen. Die meisten waren offensichtlich aus nächster Nähe ermordet worden. Die genauen Umstände lägen jedoch noch im Dunkel, so der Chef der Beobachtermission, der norwegische General Robert Mood, vor dem UN-Sicherheitsrat.
Westliche Politiker kümmerte dies wenig. Die Umstände spielten keine Rolle, meinte z.B. der britische UN-Botschafter Mark Grant zu Reportern. Entscheidend sei, es war eine Gräueltat und sie wurde von der syrischen Regierung begangen. Sein deutscher Kollege, Peter Witting, erklärte, General Mood habe doch bestätigt, dass es klare Beweise für den Einsatz schwerer Waffen, für Bombardierungen und sogar Panzerspuren in diesem Gebiet gäbe. Der Beweis dafür, dass die Regierung involviert war, sei daher erbracht und nichts läge im Dunkeln. (UN condemns Syria massacre - but questions remain on killings, The National (UAE), 28.5.2012)

Die Propaganda arbeitete dabei nach bewährtem Muster. Der Einsatz schwerer Waffen im fraglichen Gebiet ist unstrittig, Politiker und Medien im Westen blendeten jedoch wie immer aus, dass sich die syrische Armee dort an diesem Tag den – ebenfalls unstrittigen – stundenlangen Angriffen schwerbewaffneter sunnitischer Verbände auf ihre Stellungen erwehren mussten.
Im Schutz der Armee sollen regierungstreue Milizen, sogenannte Schabiha, aus der Nachbarschaft eingedrungen sein und die Morde auf Anweisung der Regierung begangen haben. [Diese Schabiha werden von der Opposition immer ins Spiel gebracht, wenn die Urheberschaft von Gewalttaten unklar ist.] Doch aus welchem Grund sollte die syrische Regierung ein solch sinnloses Verbrechen begehen und sich damit absehbar einer Intervention näher bringen? Erste Details über das Verbrechen sprachen ebenfalls gegen deren Urheberschaft. So deuten die Namen der Ermordeten darauf hin, dass die meisten Opfer regierungs-loyale, alawitische und schiitische Familien waren. Die Art vieler Morde, wie das Durchschneiden der Kehle, erinnerte stark an konfessionell motivierte Massaker im Irak.

Der britische Observer präsentierte jedoch einen syrischen Offizier, der das Massaker angeblich selbst aus nächster Nähe miterlebt habe und wisse, dass die Mörder aus den Reihen der Schabiha-Miliz stammen. Er sei danach direkt zu den Oppositionskräften übergelaufen. Auch zahlreiche deutsche Medien präsentierten diesen Zeugen ohne zu prüfen, ob dieser nicht schon viel früher die Seiten gewechselt hat. (Assad streitet Verantwortung für Hula-Massaker ab – Ein Überläufer aber erzählt, was er in Hula sah, Die Zeit, 3.6.2012)

Die Präsentation der Aussagen eines elfjährigen Jungen, der als einziger seiner Familie überlebte, zielte hingegen rein auf Emotionen. Obwohl dieser nichts über die Identität der Mörder sagen konnte, wird durch die Vermischung mit Aussagen oppositioneller Aktivisten der Eindruck vermittelt, seine Angaben würden die Täterschaft Assad-loyaler Alawiten aus den Nachbarorten bestätigten. Dabei wies seine Täterbeschreibung, „alle trugen lange Bärte und hatten den Kopf kahl geschoren“ vielmehr auf fanatische sunnitische Dschihadisten hin. (Er überlebte das Hula-Massaker, Die Welt 01.06.12)

Dies ergaben schließlich auch die Untersuchungen des FAZ-Journalisten Rainer Hermann, des russischen Journalisten Marat Musin, der sich am 25. und 26. Mai in Hula aufgehalten hatte und teilweise Augenzeuge wurde und des in Damaskus lebenden niederländische Arabisten Martin Janssen.
(Abermals Massaker in Syrien - Neue Erkenntnisse zu Getöteten von Hula, FAZ, 7.6.2012 und Syrien Eine Auslöschung, FAZ, 13.06.2012 sowie The Houla Massacre: Opposition Terrorists "Killed Families Loyal to the Government", ANNA News / Global Research, 1.6.2012)

Übereinstimmend berichten sie, dass am 25. Mai über 700 Bewaffnete der berüchtigten Al-Faruq Brigade drei Kontrollposten der Armee rund um Taldou, einem der größten Orte von Hula, angegriffen haben. Die Soldaten lieferten sich mit den Angreifern stundenlange blutige Gefechte, bei denen zwei Dutzend Soldaten und auch eine große Zahl „Rebellen“ getötet wurden. Eine der Armeestellungen wurde überrannt, Kämpfer drangen nach Taldou ein und begannen mit dem Gemetzel. Gezielt wurden die Großfamilie Sajjid und zwei Zweige der Abdarrazzaq ausgelöscht, vermutlich weil sie vom sunnitischen zum schiitischen Islam konvertierten bzw. sich geweigert hatten, sich der Opposition anzuschließen. Auch die in Taldou lebenden Verwandten des regierungstreuen Parlamentsabgeordneten Abdalmuti Mashlab waren unter den Ermordeten – insgesamt 35 Erwachsene und 49 Kinder.

Wie Nonnen des nahegelegenen Jakobskloster berichteten, wurden ihre Leichen und die von getöteten Soldaten vor der Moschee gestapelt und am folgenden Tag vor den Kameras rebellenfreundlicher internationaler Fernseh-Sender den UN-Beobachtern als angebliche Opfer der syrischen Armee präsentiert.
Dies weckt Erinnerungen an das angebliche Massaker von Racak in der serbischen Provinz Kosovo im Januar 1999, das propagandistisch den Weg in den NATO-Krieg gegen Jugoslawien ebnete. Dort hatte die kosovo-albanische Separatistentruppe UCK ihre im Gefecht gefallenen Kämpfer eingesammelt und mediengerecht zur Schau gestellt (siehe u.a. Ralph Hartmann (Botschafter a.D.), „Der Racak-Schwindel“, Ossietzky 10/2005). [Der Unterricht, den sich syrische Oppositionelle im heutigen EU-Protektorat Kosovo von alten UCK-Kämpfern holten, machte sich rasch bezahlt.]

Wie damals wollen sich die maßgeblichen Kreise in den NATO-Staaten auch das Massaker von Hula nicht als Interventionsgrund nehmen lassen. Obwohl die Richtigstellungen ihren Weg sogar in die renommierte FAZ fanden, wurden sie von den meisten Medien einfach ignoriert. (Die britische Initative Media Lens ging dem nach 'Shades Of Grey'- Rethinking The Houla Massacre, MediaLens, 13.6.2012)
Andere versuchten sie durch diffamierende Angriffe auf einige der Quellen insgesamt zu diskreditieren. So wurde die Oberin des Jakobskloster, Agnès-Maryam, für unglaubwürdig erklärt, weil sie dem Portal des als Verschwörungstheoretiker geltenden Thierry Meyssan, ein Interview gegeben hatte. Unabhängig davon, wie belanglos solche Angriffe sind, Hermann und Kollegen hatten ihre Berichte auch auf zahlreiche andere Zeugen gestützt, zum Teil aus den Reihen der Opposition. Deren Namen wurde aus nur zu berechtigter Angst vor Rache nicht veröffentlicht.

Unter Ausnutzung des Massakers wird die Aggression gegen Syrien weiter vorangetrieben. Assad habe jegliche Legitimation verloren, tönte es unisono von Westerwelle bis hin zum treuen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, der sich nun mit dem US-Politiker Jeffrey Feltman auch einen langjährigen Strippenzieher gegen Syrien an die Seite holte. Offen wird seither in den Hauptstädten der EU wieder über eine Militärintervention diskutiert. Die in- und ausländischen „Rebellen“ wurden seit Inkraftsetzung des Waffenstillstands massiv mit schweren Waffen aufgerüstet – finanziert von den arabischen Golfmonarchen und koordiniert, wie die Washington Post berichtete, von den USA. Sie nutzten die, der syrischen Armee auferlegte Zurückhaltung zu starken Gebietsgewinnen. Nach der Bluttat von Hula erklärten die lose unter dem Label „Freie Syrische Armee“ (FSA) verbundenen Freischärler auch offen die Nichteinhaltung der Waffenruhe. Die UN-Beobachter mussten nun ihre Arbeit aufgrund der Eskalation der Kämpfer vorerst einstellen. Die NATO-Staaten setzen im Moment zwar noch auf die Ausweitung des Krieges im Innern, basteln aber auch mit Nachdruck an der Option einer direkten Militärintervention. Die USA haben, wie US-Medien berichten, die Vorbereitungen für einen Luftkrieg gegen Syrien abgeschlossen. Britische, französische und türkische Spezialeinheiten bereiten sich laut des britischen Daily Star auf die Einrichtung von Brückenköpfen ins syrische Territorium hinein vor, die sie als „sichere Häfen“ für Flüchtlinge deklarieren wollen. Sie könnten dort, wo FSA-Milizen schon größere Gebiete kontrollieren zu „befreiten“ Korridoren verbunden werden. Deren „Schutz“ könnte zum Einstieg in den Krieg werden (Syrien: Frieden unerwünscht – NATO eskaliert Contra-Krieg).

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