Obamas Irak – Seltsame Hoffnungen

Ich war ziemlich irritiert, in Telepolis ein Plädoyer für eine Fortsetzung der Besatzung (und damit des Krieges) im Irak zu lesen.
Hauke Feickert, "Obamas Irak – Ein Jahr Hoffnung und zurück – Ein zerfallender Staat, Spannungen zwischen den ethno-relgiösen Gruppen, Radikalisierung der Parteien: Die USA werden gezwungen sein, im Irak auch militärisch präsent zu bleiben", Telepolis, 06.02.2010
 
Die Details sind dabei zu einem guten Teil völlig korrekt. Der Autor übersieht aber wesentliche Aspekte – insbesondere die dominierende, gewalttätige Rolle der Besatzungsmacht selbst und ihre strategisch-wirtschaftlichen Interessen – und geht von völlig falschen Prämissen aus.

Auf einen positiven Effekt einer fortgesetzten Präsenz US-amerikanischer Truppen kann man doch nur hoffen, wenn man glaubt, das Hauptziel der USA im Irak sei tatsächlich, das Land zu stabilisieren und in die Souveränität zu entlassen.
Doch seit wann soll dies denn der Fall sein? Seit Obama? Anzeichen dafür gibt es keine. Washington ist ganz offensichtlich nach wie vor bestrebt, sich dauerhafte die Kontrolle über den Irak zu sichern. Das zeigt überaus anschaulich die riesige Botschaft-Festung im Zentrum Bagdads. Auch Obama machte bisher keinerlei Anstalten, den riesigen Stab von über tausend Mitarbeitern – weit mehr als das britische Empire für das zehnmal so große Indien im Einsatz hatte – zu reduzieren. Dieser Stab aus Diplomaten, Geheimdienstleuten, Verwaltungs-, Wirtschafts- und sonstigen Experten soll offensichtlich auch in Zukunft das eigentliche Machtzentrum Iraks bilden, das mit Hilfe der zahlreichen Berater auf allen Ebenen der irakischen Regierung und Verwaltung, alle wesentlichen Entscheidungen im Irak beeinflusst.
Wie sollten zudem die USA, d.h. die weithin verhasste Besatzungsmacht, innerirakisch eine schlichtende Rolle spielen können?

Und wie soll eine Stabilisierung des Iraks und eine Beendigung der Gewalt über die Verankerung des von den USA eingerichteten politischen Systems möglich sein, d.h. über die Unterstützung der neuen, völlig korrupten und sektiererischen Strukturen, und einer Polizei und Armee, die zum guten Teil nur Milizen der Regierungsparteien sind? Solange die USA – und auch die EU-Staaten –diese Kräfte, die sich nur durch repressive Gewalt an der Macht halten können, stützen und aufrüsten, wird es sicherlich keine Ruhe im Land geben.
Daran werden auch die Wahlen nichts ändern. Sie finden immer noch unter Besatzungsbedingungen statt, unter weitgehender Kontrolle der Besatzer und der Regierungsparteien. Maßgebliche Teile der Opposition sind von vorneherein ausgeschlossen, weil sie ins Exil flüchten mußten, im Gefängnissen sitzen oder ermordet wurden.

Die US-Truppen spielen auch keine neutrale Rolle. Die Bewohner der Städte und Stadtteile, die Ziel der unzähligen Militäroperationen, Razzien oder Massenverhaftungsaktionen waren oder sind, dürften kaum die Einschätzung des Telepolis-Autors teilen, die "amerikanische Kriegsstrategie" ziele darauf ab, "die Zivilbevölkerung zu schützen".
Der Rückgang der Gewalt nach der Eskalation 2006/2007 ist im wesentlichen auch nicht auf die „Surge“ zurückzuführen. Sie hatte sogar die meiste Zeit den gegenteiligen Effekt. Entscheidend waren vielmehr andere Faktoren, vor allem das Bündnis mit sunnitischen Stammesmilizen und die Waffenruhe, die der prominente Kleriker Muqtada Al-Sadr seiner Miliz, der Mehdi-Armee, verordnete. Hinzu kam das natürliche Abebben des Terrors schiitischer Milizen und sunnitischer Extremisten, nachdem sie ihre Vertreibungsaktionen – vor allem in Bagdad – erfolgreich abgeschlossen hatten. (mehr dazu in meinen beiden jW-Artikel "Tödliche Woge" und Doppelte Besatzung - Kurswechsel sunnitischer Nationalisten stellt Widerstand vor Probleme)

Die Besatzungstruppen standen auch nicht plötzlich unvermittelt zwischen den Fronten eines "Bürgerkriegs zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen". Sie hatten vielmehr einen maßgeblichen Anteil an der Eskalation sektiererischer Gewalt. Nicht nur, weil sie von Anfang an das neue Regime entlang ethnisch-religiöser Kriterien aufbauten, sie waren auch direkt involviert – durch die Unterstützung und Tolerierung der Milizen ihrer Verbündeten und den Aktionen ihrer eigenen Todesschwadrone.

Die USA setzen auf Maliki und die Kurden und müssen hier tatsächlich häufig schlichten. Sie führen aber nach wie vor Krieg gegen die Kräfte, die in fundamentaler Opposition zur Besatzung und deren Regierung stehen, und das richtet sich nur in geringem Maße gegen al-Qaeda-nahe Gruppen. So oder so trifft es überwiegend die Zivilbevölkerung.
Nicht ohne Grund will daher die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Besatzungstruppen so rasch wie möglich loswerden.

Im Text heißt es: "Nach dem Abzug der US-Armee aus den Städten ist es den irakischen Sicherheitskräften nicht gelungen, eine Serie von Anschlägen gegen staatliche Einrichtungen abzuwehren." Die US-Armee hat solche Anschläge in den Jahren zuvor aber auch nicht unterbinden können.

Ob in diesem Jahr tatsächlich über die Hälfte der Truppen abgezogen wird, ist mehr als zweifelhaft. Bisher ist nicht viel passiert und alles andere sind Versprechungen. Dass Obama diese nun monatlich wiederholt, hat wenig zu bedeuten. Er wird natürlich den Teufel tun, in einer Zeit, wo er die Zahl der Truppen in Afghanistan verdreifacht, eine Diskussion über den weiteren Verbleib im Irak zu riskieren. Die führenden US-Generäle haben aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den Abzugstermin Dez. 2011 nicht für verbindlich halten.

Selbstverständlich würde Obama die Truppenzahl gerne deutlich verringern. Solange aber die verbündeten Kräfte nicht fest im Sattel sitzen, wird der Spielraum nicht sehr groß sein. Man kann dazu natürlich auch sagen, die USA wären gezwungen, im Irak weiter militärisch präsent zu sein - um die Kontrolle zu behalten und wirtschaftliche Vorhaben, wie das neue Ölgesetzes doch noch durchzusetzen. (siehe Irak – ein Jahr unter Obama)

Die Sorge, vor einem erneuten Anstieg gewaltsamer Auseinandersetzungen teile ich, (wenn auch nicht zwischen "den Sunniten", "Schiiten" und "Kurden"). Aber die weitere Präsenz von US-Truppen verlängert nur den Krieg. Wenn sie bleiben und die Iraker sich um die Hoffnung betrogen sehen, die Besatzer mit politischen Mitteln loszuwerden, wird es ohnehin wieder mächtig krachen und der militärische Widerstand, der im Moment auf niedrigem Niveau köchelt, ordentlich Zulauf bekommen.

Viele Iraker sind aber überzeugt, dass ein Abzug Chancen für eine Verständigung der wichtigsten irakischen Kräfte eröffnen wird. Da die jetzt regierenden Kräfte sich nicht lange halten könnten, wären sie gezwungen, sich mit den oppositionellen Kräften zu verständigen. Ohne US-Unterstützung könnten nicht mal die Kurden, obwohl im Moment die stärkste militärische Kraft, wie bisher an ihren Maximalforderungen festhalten. Vorschläge für Übergangszenarien gibt es jedenfalls schon lange. Niemand glaubt an einen einfachen Weg und in Brennpunkten wie Kirkuk wird es ohne neutrale Friedenstruppen nicht gehen.

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