Terror, Fluchtursachen und die Kriege des Westens - Rede auf dem Odenwälder Friedensmarsch

Abschlusskundgebung des Odenwälder Ostermarschs am 26.03.2016 auf dem Lindenplatz in Michelstadt. (Bericht in der Lokalzeitung Echo v. 29.03.2016)

Ein zentrales Thema der diesjährigen Ostermärsche ist der Umgang mit Flüchtlingen, das seit der drastischen Zunahme von Schutzsuchenden an Europas Grenzen ab Sommer letzten Jahres auch die politische Auseinandersetzung im Land beherrscht. Damit wollte ich an sich beginnen. Die Debatte wird aktuell nun durch die terroristischen Anschläge in Brüssel am Dienstag [22.3.] überschattet, die uns natürlich alle zu tiefst erschüttert haben. Beide Themen hängen jedoch eng zusammen.

Bei aller Betroffenheit darüber, dass sich diese Anschläge in Mitten Europas, in unserer unmittelbaren Nähe ereigneten, sollten wir nicht vergessen, dass die Hauptleidtragenden dieser Form von terroristischer Gewalt die Menschen im Nahen Osten und Afrika sind, in der Mehrheit Muslime, für die Bombenanschläge vielerorts fast zum Alltag gehören. Wir dürfen aber auch nicht die Menschen vergessen, die Opfer von Angriffen in Kriegen werden, an denen westl. Staaten direkt oder indirekt beteiligt sind. Es darf daher nicht bei „Ich bin Brüssel“ „Ich bin Paris“ bleiben, es muss auch „Ich bin Kabul, Tripolis, Aleppo, Gaza, Falludscha oder Bagdad“ heißen.
 
Terror und die Kriege des Westens

Wir dürfen die Deutung der Motive hinter den Anschlägen in Brüssel, wie zuvor in Paris nicht denen überlassen, die diese Form von Terror wie eine Plage behandeln, die einfach über uns hereinbrach und vor der wir uns nur schützen können, indem wir den Sicherheitsapparat noch weiter auf Kosten bürgerlicher Freiheiten, Schutz der Privatsphäre etc. ausweiten.
Wir müssen die Ursachen erkennen, um wirksam dagegen vorgehen zu können. Da helfen uns Floskeln wie „der Kampf der Terroristen richte sich gegen unsere Werte“, „gegen unsere Freiheit“ etc. nicht weiter. Die dschihadistischen Attentäter hassen uns nicht wegen „unserer westlichen Werte“, sondern, wie es kürzlich Robert Kennedy Jr., der Sohn des 1968 ermordeten gleichnamigen US-Justizminister und Präsidentschaftskandidaten ausdrückte, weil „wir“ diese Werte oder Ideale gegenüber der islamischen Welt jahrzehntelang verraten haben, indem der Westen als Eroberer und Ausbeuter in ihre Länder eindrang und indem er, um sich den Zugang zu ihren Ressourcen zu sichern, Regierungen stürzte, Diktatoren und mittelalterlich herrschende Feudalherren unterstützt, fanatische Gruppen bewaffnet und schließlich verheerende Kriege führte.

Auch wenn es sicher nicht alles erklärt, sind es ‒ wie viele Untersuchungen zeigen ‒ neben der elenden sozialen Situation in den heruntergekommenen Vorstädten Frankreichs, Belgiens und anderer europ. Städten, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei bis zu 40% liegt, vor allem die Kriege und Interventionen der USA und ihrer Verbündeten, die zur Radikalisierung vieler Jugendlichen führt. Es ist nicht der Islam, sondern es sind die Bilder der Kriege in Afghanistan und im Irak, die den Hass schüren ‒ die Bilder der Zerstörung Falludschas und anderer Städte, die Bilder aus den Foltergefängnissen Abu Ghraib und Guantanamo, die Kriege Israels gegen die Palästinenser, die Lynch-Morde per Killerdrohnen in Pakistan, im Jemen usw.. (s. z.B. auch Der Bunker von Al-Amiriya - 25. Jahrestag eines US-Kriegsverbrechen)

Das dschihadistische Zerrbild des Islams, das Al Qaida, Islamischer Staat und ähnliche Banden propagieren, ist für diesen Hass, das Ventil, eine passende Ideologie, die feste Orientierung und einfachen Antworten für ihre Probleme und ihre Wut liefert, es ist aber nicht der Grund.

Am Tag des Anschlags in Istanbul am vergangenen Samstag bombardierten US-amerikanische Kampfjets die Universität von Mosul. Sie richteten sich laut Pentagon gegen Einrichtungen des IS, die sich dort befunden hätten. Das mag durchaus stimmen, getroffen wurde allerdings auch, wie eine irakischer Bekannte schrieb, die dort studierte, u.a. die Ingenieurs- und die Landwirtschafts-Fakultät, sowie Wohngebäude von Uni-Angestellten. (Siehe dazu Avi Asher-Schapiro, The US-led Coalition Bombed the University of Mosul for Being an Islamic State Headquarters, VICE News, 22.3.2016 und Charles Davis, Did the US Just Admit to Carrying Out War Crimes in Iraq?, teleSUR, 22.3.2016)
Gemäß der jordanischen Zeitung Al-Hadat wurden dabei 95 Studenten und Dozenten getötet und 155 verwundet. (s. Eintrag “March 19th 2016: Mosul, Nineveh province, Iraq” in Civilian deaths from Coalition airstrikes 2016, Airwars.org) Unter den Toten sind auch der Dekan der Computer-Wissenschaften und seine Frau. Laut Airwars.org, einer britischen Initiative, die die zivilen Opfer des Luftkriegs in Irak und Syrien zu dokumentieren versucht, waren die Angriffe, die am hellen Tag durchgeführt wurden, als der Campus in vollem Betrieb war, die bisher brutalsten im seit 18 Monaten andauernden US-Luftkrieg. Am Tag zuvor waren bereits durch ähnliche Angriffe bei Kirkuk 44 Zivilisten getötet worden. (s. “March 18th-19th 2016: Hawijah, Kirkuk province, Iraq” in Civilian deaths from Coalition airstrikes 2016, Airwars.org)

Auch wenn wir hier in unseren Medien nichts davon mitbekommen, gehen die Bilder dennoch um die Welt und kursieren vor allem in den arabischen Netzen ‒ verfolgt keineswegs nur von radikalen Kreisen, sondern auch von Leuten, wie meinem irakischen Bekannten, der über 30 engere Verwandte in Mosul hat.
Jeder solcher Angriff ist Werbung für die den IS und andere dschihadistische Gruppen ‒ Gruppen, das sollten wir uns immer vor Augen halten, die es vor dem Krieg im Irak und der „Regime Change“-Politik gegen Syrien, nicht gab.

Wir sollten daher die bittere Schlussfolgerung des katholisch-syrischen Erzbischofs Behnan Hindo nach den Bomben in Belgien ernstnehmen, wonach bei den Anschlägen in Brüssel und Paris „ unschuldige Bürger leider das ernten“ würden, „was mächtige Kreise in Europa in den vergangenen Jahren in Syrien und im Irak ausgesät haben“. (Syrischer Erzbischof: Westen hat Basis für Dschihadismus geschaffen, junge Welt, 24.03.2016)

Massenhafte Flucht und Vertreibung

om_michelstadt_2016_zugAuszubaden haben das natürlich vor allem die Leute vor Ort. Viele sind davor geflohen, in Syrien fast die halbe Bevölkerung.
Insgesamt sind weltweit heute sechzig Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zwei Drittel (38,2 Millionen) von ihnen leben als Binnenvertriebene zum großen Teil unter erbärmlichen Bedingungen in Lagern, ein Drittel, rund 20 Mio. flohen außer Landes. Nur ein kleiner Teil, knapp ein Siebtel, schaffte es bis an die europäischen Grenzen. Die anderen verbleiben in den benachbarten, meist ebenfalls bitterarmen Ländern des Südens (Weltweit fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht, UNHCR, 18.6.2015).

Es gibt viele Gründe warum Menschen fliehen, Hungersnöte und Umweltkatastrophen, aber auch der Wegfall der Existenzgrundlagen durch die Politik westlicher Konzerne und Regierungen im Zuge der neoliberalen Globalisierung (Landgrabbing von Agrarkonzernen, Überfischen traditioneller Fanggebiete durch europäische Fangflotten etc.) Die allermeisten von ihnen fliehen aber vor Krieg, gewaltsamen Konflikten und Verfolgung. 2015 waren dies über 40.000 pro Tag (Johannes M. Becker und Ulrike Krause, Flucht und ihre Ursachen, MiGAZIN / FlüchtlingsforschungsBlog, 19.08.2015).

Es gibt also gute Gründe warum die Friedensbewegung dies zu einem zentralen Thema macht

Selbstverständlich fordern wir, dass Menschen, die bei uns Schutz suchen, auch aufgenommen werden. Die UNO-Flüchtlingskonventionen müssen von Deutschland wie auch den anderen Staaten der EU uneingeschränkt respektiert und das stark zerfledderte Grundrecht auf Asyl muss wieder hergestellt werden. Keinesfalls darf die Last der Unterbringung von Flüchtlingen ‒ unabhängig davon, woher sie kommen und warum sie flohen ‒ auf die armen Länder der Herkunftsregionen oder den Staaten an Europas Peripherie abgewälzt werden.
Wir sind daher, wie zahlreiche Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, empört über das Abkommen der EU mit der Türkei, durch das der südöstliche Zugang zur Europäischen Union abgeschottet werden soll. Wir halten es, wie das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen für untragbar, dass Schutzsuchende nun faktisch in Gefangenenlagern interniert werden ‒ um alsbald wieder in die Türkei zurückverfrachtet zu werden, zurück in die elenden Verhältnisse, dort, oder auch noch weiter in die Länder aus denen sie flohen, zurück in die Kriegsgebiete in Syrien, Irak oder Afghanistan (André Scheer, Abschiebung in den Krieg ‒ Amnesty International: Türkei transportiert abgefangene Flüchtlinge nach Afghanistan. Helfer verurteilen Pakt zwischen Brüssel und Ankara, junge Welt, 24.03.2016.

Und wir finden es skandalös, geradezu ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für Frieden in der Region einsetzen, wenn die Türkei als Gegenleistung dafür nicht nur Milliarden von Euros erhält, sondern auch Rückendeckung im Krieg gegen die eigene, kurdische Bevölkerung im Osten und freie Hand für die brutale Repression gegen alle, die für die Beendigung dieses Konflikts eintreten.
Auch diese inhumanen Maßnahmen werden die Flüchtlingsströme nicht stoppen, nicht solange die Ursachen anhalten. Statt Flüchtlingen sichere und menschenwürdige Reisemöglichkeiten in die Länder zu bieten, wo sie um Aufnahme bitten wollen, werden sie dadurch nur wieder auf längere und gefährlichere Routen gezwungen. Die Zahl derer die dabei sterben, wird wieder massiv steigen.

Es wird Zeit, dass in den EU-Staaten nicht länger über Obergrenzen für die Aufnahme debattiert wird, sondern, wie Mely Kiyak schrieb, über die Obergrenze für die Zahl der Toten, die wir bereit sind, für die Abschottung in Kauf zu nehmen

Mit der Forderung nach menschenwürdiger Aufnahme ist es natürlich nicht getan. Es muss auch viel für die Integration getan werden und ohne eine Erhöhung der Staatsausgaben wird das nicht gehen. Wenn man nicht noch mehr Menschen in die Arme von AFD, Pegida … treiben will, darf dies nicht auf Kosten der ärmeren Teile der Bevölkerung geschehen. Stattdessen muss – wie es im Aufruf zum Odenwälder Friedensmarsch heißt, allen – Flüchtlingen wie Harz IV-Empfängern ‒ ein gutes Leben ermöglicht werden.

An Geld fehlt es bekanntlich nicht im Land. Man müsste es nur wieder bei denen holen, bei denen es sich Jahr für stärker konzentriert, bei der wachsenden Zahl von Multimillionären und Milliardären.

Aufrüstung und „Mobilmachung“ gen Osten

Eine andere Quelle dafür wäre der stark wachsende Rüstungsetat. Dieser soll, wie die Bundesregierung am Mittwoch beschloss, bis 2020 von 34 Mrd. auf 39 Mrd. Euro steigen. Bis 2030 sollen insgesamt 130 Milliarden Euro in Neuanschaffung von Kriegsgerät gesteckt werden, das bedeutet eine Verdopplung der bisherigen Rüstungsinvestitionen. Diese Aufrüstung hat mit Landesverteidigung nichts zu tun (siehe Jürgen Wagner, „Karten klar auf den Tisch“ - Von der Leyens Rüstungsoffensive zugunsten deutscher Weltmachtambitionen, IMI, 29.1.2016). Sie soll dazu dienen die Bundeswehr noch tauglicher für den Einsatz in aller Welt zu machen, gemäß der neuen Leitschnur, dass Deutschland seine gewachsene Macht auch in mehr „Verantwortung“ umsetzen soll, d.h. stärker und direkter als bisher, im Verbund mit den NATO-Verbündeten intervenieren und in Kriegen, wie beispielsweise Libyen zukünftig, vorne mit dabei sein soll.
Diese Aufrüstung ist auch verbunden mit dem Aufbau einer Drohkulisse gegen Russland im Osten. Statt nach dem Kalten Krieg ein kollektives Sicherheitssystem in Europa aufzubauen, das auch die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigt und auf Kooperation, statt auf Konfrontation aufbaut, haben die NATO-Staaten ihren gigantischen Militärapparat ständig weiter Richtung Russland vorgeschoben. Das ist ein wesentlicher Faktor für die Krise und den Krieg in der Ukraine. Mit dem Bau eines „Raketenschildes“ und dem Ausbau einer „Schnellen Eingreiftruppe“ von bis zu 40.000 Soldaten weitet die NATO ihr Drohpotential auf gefährliche Weise weiter aus. Eine 5000 Mann starke „Speerspitze“ ist bereits innerhalb von 48 Stunden in Osteuropa einsatzbereit. Nicht nur die USA haben bereits ihre modernsten Kampfflugzeuge in die Nachbarstaaten Russland verlegt, auch die Bundeswehr entsandte ein Luftwaffen- Geschwader an die russische Grenze.

Wir wenden uns entschieden gegen diese hochgefährliche Wiederbelebung des Kalten Krieges und wir fordern statt erneuter Aufrüstung die dafür vorgesehenen Milliarden für eine spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse aller auszugeben ‒ u.a. durch Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens.

Ein guter Teil des Geldes für Flüchtlinge sollte auch von denen kommen, die unmittelbar an den Konflikten verdienen, die die Flüchtlingszahlen so stark anschwellen ließen: die großen Rüstungsfirmen. „Die internationale Konfliktlage veranlasst viele Staaten, wieder mehr für ihre Streitkräfte auszugeben“, so begründete der Chef von Rheinmetall, Armin Papperger am Donnerstag letzter Woche die massive Gewinnsteigerung im Rüstungsbereich um 160 Millionen (Rheinmetall-Umsatz erstmals über fünf Milliarden Euro, Pressemitteilung der Rheinmetall AG, 17.03.2016). [Gewinn vor Steuern und Zinsen des ganzen Konzerns stieg im Wesentlichen wegen des Wachstums der Rüstungsgeschäfte um 181% auf 287 Millionen Euro].
Ich finde, eine Sondersteuer auf Rüstungsproduktion und Abgaben auf Rüstungsexporte wäre daher ‒ solange sie noch anhalten ‒ absolut angemessen.

Fluchtursachen

Wenn in der EU von Flüchtlingskrise geredet wird, so ist damit nur das Problem gemeint, den der starke Zustrom von Schutzsuchenden in unseren reichen Ländern verursacht. Die eigentlichen Flüchtlingskrisen, die katastrophalen Verhältnisse, die die Menschen in die Flucht trieben fallen dabei weitgehend untern Tisch. Aus unserer Sicht muss aber der Kampf zur Beseitigung dieser Fluchtursachen allererste Priorität haben. Natürlich redet auch unsere Regierung immer wieder von Fluchtursachen, tatsächlich konzentriert sie sich aber hauptsächlich auf Flüchtlingsabwehr.

Dabei ist die Politik Deutschlands und seiner Verbündeten, voran die USA, Großbritannien und Frankreich, hauptverantwortlich für einen großen Teil der Flüchtlinge. Es waren vor allem die Kriege gegen Afghanistan, Irak und Libyen und die Eskalation in Syrien, die die Zahl der Flüchtlinge von 38 im Jahr 2000 auf 60 Millionen anwachsen ließ.

„Wir werden aktuell Zeugen eines Paradigmenwechsels,“ so UN-Flüchtlingskommissar António Guterres bei der Vorstellung des Jahresüberblick für 2014 im Juni letzten Jahres, der den treffenden Titel „World at War“, „Welt im Krieg“ trägt. „Wir geraten in eine Epoche“ so Guterres weiter, „in der das Ausmaß der globalen Flucht und Vertreibung […] alles davor Gewesene in den Schatten stellt“ und: Es sei „erschreckend zu beobachten, dass jene straflos bleiben, die Konflikte auslösen“. Gleichzeitig scheine „die internationale Gemeinschaft unfähig zur Zusammenarbeit, um Kriege zu beenden sowie Frieden zu schaffen und sichern.“ (Pressemitteilung des UNHCR zum Report von 2014 „World at War“, 8.6.2015 (dt. Übersetzung: Weltweit knapp 60 Millionen Menschen auf der Flucht ‒ UNHCR-Bericht warnt vor gefährlichen neuen Entwicklungen)

Vor wenigen Tagen jährte sich der Irakkrieg zum 13. Mal. In 10 Jahren Krieg und Besatzung im Irak wurden weit über eine Million Iraker getötet und mehr als vier Millionen vertrieben ( siehe „Body Count“ ‒ Opferzahlen nach 10 Jahren "Krieg gegen den Terror", IPPNW, aktualisierte Auflage, September 2015). Das einst weit entwickelte Land wurde verwüstet, die Wirtschaft ruiniert und die Gesellschaft tief gespalten.
Von kaum jemand registriert verstrich vor kurzem auch der 5. Jahrestag des Krieges gegen Libyen. Mit diesem Krieg im Frühjahr und Sommer 2011 zerschlug das von Frankreich, Großbritannien und den USA geführte Kriegsbündnis den Staat mit dem bis dahin höchsten Lebensstandard in Nordafrika. Nun regieren Willkür und Gewalt der rivalisierenden siegreichen Milizen (s. Libyen - Fortgesetzter Staatszerfall, junge Welt, 26.09.2013).
In Syrien hat der von außen angefachte und angetriebene Krieg islamistischer Milizen den letzten säkularen arabischen Staat ‒ in dem bis dahin eine Vielzahl von Religionen und Völkern friedlich zusammenlebte ‒ schon fast in ähnliche Abgründe gestürzt. Über 250.000 Tote und mehr als 11 Millionen Flüchtlinge sind bisher die Folge.
In keinem der Länder konnte die dabei entfachten Konflikte bisher beendet werden, stattdessen breiten sich die Kriegsschauplätze vom Mittleren Osten bis Afrika immer mehr aus, angeheizt u.a. auch durch deutschen Waffen, die skrupellos in Krisengebiete und an Länder wie Saudi Arabien geliefert werden, das den Überfall auf Jemen anführt.

Neue Bundeswehreinsätze und der „Ring of Fire“

Trotz der desaströsen Folgen bisheriger militärischer Interventionen der Nato-Staaten nickte der Bundestag einen neuen Bundeswehreinsatz ab. 1200 deutsche Soldaten, sechs Tornados und ein Tankflugzeug beteiligen sich nun an den Luftangriffen einer US-geführten Allianz in Syrien. Da es dafür weder die Zustimmung der syrischen Regierung noch ein UN-Mandat gibt, stellen sie im Grunde nach internationalem Recht eine völkerrechtswidrige Aggression dar.

Parallel dazu werden auch 650 Soldaten nach Mali entsandt, in einen veritablen Kampfeinsatz, der vermutlich bald ‒ wie die französischen Operationen, die er letztlich unterstützen soll, auf Nachbarstaaten ausgeweitet wird. Schließlich wurden auch noch die Kampftruppen in Afghanistan, die eigentlich 2014 abgezogen werden sollten, massiv aufgestockt und wird ein Einsatz in Libyen ins Auge gefasst.

Es gelte einen „Ring of Fire“ zu bekämpfen, der sich von Afghanistan über Jemen, Syrien und den Irak bis nach Afrika erstreckt, heißt es dazu in Berlin. Doch die meisten Feuer wurden durch Kriege und Interventionen des Westens entfacht. Weitere Interventionen werden sie nicht löschen und auch den Terror nicht beenden ‒ im Gegenteil: Sie werden sie weiter anfeuern und für ihre Ausbreitung sorgen, indem sie noch mehr Länder ins Chaos stürzen und zerstören.

Die Kriege und Interventionen des Westens fördern zudem die radikalen, islamistischen Organisationen, gegen die sich offiziell der „Krieg gegen den Terror“ richtet. Der Vorläufer des „Islamischen Staat“ (IS) entstand bekanntlich als Al-Qaida-Ableger im besetzten Irak, der vor dem Krieg frei von solchen Gotteskriegern war. Zur heutigen Stärke gelangte die Terrorbande durch den Krieg gegen Libyen und die Unterstützung von islamistischen Regimegegnern in Syrien, vor allem durch die Türkei, Katar und Saudi Arabien aber auch ‒ wie durchgesickerte Geheimdienstdokumente belegen ‒ durch die USA und andere NATO-Staaten, denen der IS, wie auch die Al Nusra Front, lange Zeit als kampfstarke Truppe gegen die Assad-Regierung gelegen war.

Die Friedensbewegung hat, gestützt auf Analysen von Konfliktforscher und Nahostexperten, von Anfang an, seit September 2001 davor gewarnt, dass der Terrorismus, genauer terroristische Gruppen, nicht mit Krieg besiegt werden kann. Die Entwicklung hat dies auf drastische und traurige Weise bestätigt. Nach Afghanistan, Pakistan, Irak und Somalia wird dieser Krieg gegen den Terror mittlerweile in über einem Dutzend Länder geführt. Der Erfolg ist durchschlagend. Sprach man damals von hunderten oder vielleicht auch tausend international operierenden, gewaltbereiten Gotteskrieger, so sind es heute Zehntausende.

Bomben werden den IS nicht stoppen und auch nicht die anderen Terror-Banden, die als Nachfolger bereit stehen. Nötig ist eine politische Lösung der Konflikte in Syrien, wie auch im Irak. Hier gibt der Waffenstillstand in Syrien und die Friedensverhandlungen Grund für etwas Hoffnung. Positiv ist, dass endlich mit der Assad-Regierung verhandelt wird, ohne die es keine Lösung geben kann. Es dürfen auf der anderen Seite aber nicht nur die vom Westen und den Saudis gesponserten, überwiegend islamistische Kräfte vertreten sein, darunter sogar Hardcore-Dschihadisten, die eng mit Al-Nusra verbündet sind, sondern alle relevanten syrischen Kräfte, insbesondere die syrischen Kurden.

Und dringend nötig ist weiterhin, die Unterstützung für den IS und die anderen islamistischen Milizen endlich einzustellen. Die NATO-Staaten müssen ihre Bündnispartner, die Türkei und die arabischen Musterdemokraten vom Golf endlich zwingen, die Kanäle über die sich versorgen, über die sie Öl exportieren und Waffen importieren, dicht zu machen.

Wir fordern:
  • von der Bundesregierung, den Bundeswehreinsatz in Syrien, sowie auch die Einsätze in Afghanistan, Mali und anderswo zu beenden.
  • von der Bundesregierung und der EU eine Politik zur Deeskalation in der Ukraine und zum Abbau der Spannungen mit Russland
  • von allen Nato-Staaten, Schluss mit Krieg und Intervention in andere Länder! Die Kriegsallianz muss endlich aufgelöst werden
  • wir fordern alle Rüstungsexporte in Spannungsgebiete einzustellen und Kampfeinsätze von Drohnen zu ächten
  • wir fordern von den Medien statt Werbung für den Krieg eine sachgerechtere und ob-jektivere Berichterstattung
Update: In der jungen Welt v. 31.3.2016 erschien ein Interview mit der oben erwähnten Irakerin aus Mosul:
»Das ist ein Kriegsverbrechen«
US-Flugzeuge bombardierten die Universität von Mossul. Mindestens 90 Menschen wurden dabei getötet. Ein Gespräch mit Dr. Souad Naij Al-Azzawi - Interview: Karin Leukefeld


OdenwälderFriedesmarsch2016

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