NATO-nah und parteiisch ‒ die andere Seite von Amnesty International

Kritik an Amnesty International, wie mein Artikel Syrien: Stimmungsmache vor Friedensverhandlungen ‒ Massenexekution-Vorwürfe von Amnesty International ohne belastbare Beweise, führt stets zu vielen Reaktionen, die von Unverständnis bis Empörung darüber reichen, eine so verdienstlose Organisation anzugreifen. Für viele steht ihre Glaubwürdigkeit und auch die ihrer Aktionen außerhalb jeglicher Diskussion, sie gilt im Westen als überparteiische, moralische Instanz schlechthin.

Sie ist aber längst keine Vereinigung von Idealisten mehr, sondern eine einflussreiche international agierenden Firma, die intensiv Öffentlichkeits- und Medienarbeit betreibt.  Man muss daher ihre Berichte genauso kritisch beurteilen, wie die anderer Organisationen und Medien. Und sie muss ihre jeweilige Arbeit, wie jede andere Organisation, daran messen lassen, ob sie die Kriterien einer glaubwürdigen Berichterstattung erfüllt – insbesondere in Kriegszeiten, wo die Wahrheit bekanntlich zuerst stirbt (bzw. meist schon zuvor beseitigt wurde).
 
Sicherlich sind die meisten Leute, die für AI arbeiten, aufrechte Idealisten leisten auf vielen Gebiet wertvolle Arbeit. Es wäre aber blauäugig zu glauben, eine so große und einflussreiche Organisation könnte sich frei von Einflüssen der westlichen Regierungen ‒ insbesondere der US-amerikanischen und der britischen ‒ halten.

Bei der Kritik an ihrem jüngsten Syrien-Bericht geht es auch nicht darum, Menschenrechtsverletzungen von Seiten der syrischen Armee, Polizei oder Geheimdienste generell in Abrede zu stellen. Ohne Recherchen vor Ort kann man einzelne Vorfälle natürlich weder bestätigen noch widerlegen. Man kann aber sehr wohl auf Fragwürdigkeiten, Widersprüchlichkeiten etc. hinweisen und dafür auch Belege anführen.

Parteiische Kampagnen gegen "Feindstaaten"

Und unabhängig davon wie viel Wahrheit in Vorwürfen, wie in denen gegen die syrische Regierung, liegen mag, muss man die sensationalistische Art und Weise zurückweisen, in der sie oft von AI wie auch von ihrem New Yorker Pendant "Humans Rights Watch" (HRW), gegen "Feindstaaten" präsentiert werden.
Zu Syrien gibt es eine ganze Serie von AI-Reports und -Pressemitteilungen, in denen durch eine Anhäufung vorgeworfener, oft überzogen dargestellen Gräuel-Taten, die Angegriffenen als absolut böse, grundlos brutal, sadistisch, geradezu "tollwütig" dargestellt werden. Indem damit auf eine derart emotional aufstachelnde Weise Kampagnen gestartet werden, übersteigen sie z.T. die Grenze zu Feindbild-Generierung und Krieg rechtfertigender Propaganda.
"Sowohl AI als auch HRW versichern stets, ihre Berichte seien unparteiisch, auf Fakten basierend, ausgewogen mit Aussagen beider Seiten und dass alle ihre Quellen sorgfältig überprüft und gegengecheckt werden", so die US-amerikanische Publizistin, Antikriegsaktivistin und Co-Direktorin des International Action Center, Sara Flounders. "Doch allein schon der Titel des jüngsten Syrien-Berichts mit den Begriffen 'Schlachthaus" und 'Auslöschung', entlarvt die Behauptung der Unparteilichkeit als Lüge."

Von der Voreingenommenheit von AI gegen Staaten, die im Westen als Gegner angesehen werden, und der Parteilichkeit zugunsten der Politik der NATO-Staaten kann sich jeder leicht selbst überzeugen, indem er den Umfang der Berichte über Länder wie Iran und Syrien mit denen über Israel, Saudi Arabien oder den USA vergleicht.

Diese Parteilichkeit wird auch seit langem von renommierten Persönlichkeiten kritisiert. Vor allem geriet AI immer wieder international in die Kritik, weil die Organisation in kritischen Momenten mit ihren Berichten, Munition für Kriegsbefürworter geliefert haben. (Eine gute Auswahl finden man hier: http://www.sourcewatch.org/index.php/Talk:Amnesty_International)

Kuwaitische "Brutkasten-Lüge"

Das berüchtigtste Beispiel dafür ist der AI-Report über die irakische Invasion in Kuwait, durch den auch die von der US-PR-Agentur Hill & Knowlton erfundene Geschichte von den irakischen Soldaten, die in kuwaitischen Krankenhäusern angeblich Babys aus den Brutkästen gerissen und auf den Boden geworfen hätten, weite Verbreitung fand und Glaubwürdigkeit erhielt.

Das damalige Vorstandsmitglied von AI USA, der Völkerrechtsexperte Prof. Francis Boyle, der den Report gelesen und für schlampig, ungenau und überzogen befunden hatte, hatte vergeblich versucht, ihn nochmal überprüfen zu lassen. Da es auch später, als die Lüge entlarvt worden war, zu keiner Untersuchung darüber kam, wie die frei erfundene Propaganda-Story durch AI derart aufgewertet werden konnte, dass sie US-Abgeordneten - nach eigenen Angaben - zur Kriegszustimmung bewegten, stellte Boyle eigene Nachforschungen an und kam zum Schluss, dass an maßgeblicher Stelle ein britischer Geheimagent saß. Ein Vorstandskollege, der sich ebenfalls mit der Angelegenheit befasste, kam zu demselben Schluss. (siehe Prof. Francis Boyle, Interview with Dennis Bernstein, CovertAction Quarterly Number 73 Summer 2002 )

Nach Ansicht von Boyle, der desillusioniert aus dem AI-Vorstand ausschied, die Aktivitäten von AI aber weiter verfolgte, ist
"Amnesty International nicht in erster Linie an Menschenrechten, sondern an Publicity interessiert. An zweiter Stelle steht Geld, an dritter die Werbung weiterer Mitglieder, an vierter interne Grabenkämpfe und dann erst an Menschenrechten, an echten Menschenrechtsproblemen. Man kann sich sicher sein: wenn es um die Menschenrechtssituation in einem Land geht, das sich in Gegnerschaft zu den USA oder Großbritannien befindet, so bekommt man eine Menge Aufmerksamkeit, Ressourcen, Arbeitskräfte, Öffentlichkeit, sie können reinstecken was sie wollen. Geht es aber um Menschenrechtsverletzungen durch die USA, Großbritannien oder Israel, dann ist es wie das Ziehen von Zähnen, um sie dazu zu bringen etwas in der Situation zu unternehmen."
Werbung für eine Intervention in Libyen

Auch im Vorfeld des NATO-Krieges gegen Libyen war Amnesty an vorderster Front der zahlreichen Menschenrechtsgruppen, die sich für eine Intervention gegen die libysche Regierung unter Muammar al-Ghaddafi einsetzten. So verurteilte AI am 23.3. 2011, d.h. wenige Tage nach Ausbruch der Unruhen, in einer Presserklärung die "halbherzigen Reaktion" und verlangte von der "internationalen Gemeinschaft" (gemeint ist letztlich damit vor allem der Westen)  statt "bloßer Worte, unmittelbare, konkrete Aktionen".  Der UN-Sicherheitsrat sollte als "absolutes Minimum" sofort ein Waffenembargo verhängen und die Auslandsguthaben Ghaddafis und seiner Getreuen einfrieren. AI untermauerte seinen sehr emotionalen Appell mit angeblichen Einsatz afrikanischer Söldner und der Absicht Ghaddafis alle die gegen ihn sind umzubringen und "Libyen Haus nach Haus" von ihnen zu säubern.

Amnesty widerlegte einige der wesentlichen Vorwürfe gegen die libysche Führung, wie den "Einsatz afrikanischer Söldner", selbst. Mittlerweile sind auch alle anderen vom Tisch, auch die angeblichen Ausrottungspläne Gaddafis. So hatte dieser zwar bewaffnete (!) Aufständische gewarnt „es werde kein Pardon“ für die geben, die den Soldaten „mit der Waffe in der Hand“ entgegentreten, gleichzeitig jedoch allen eine Amnestie versprochen, die die Waffen niederlegen. (Prof. Reinhard Merkel, Die Intervention der NATO in Libyen, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, 10/2011). Und tatsächlich hatte es im Februar und März 2011 in keiner der zahlreichen, von Regierungskräften zurückeroberten Städte Rachaktionen an Regierungsgegnern gegeben. (s. The Top Ten Myths in the War Against Libya, Maximilian Forte, CounterPunch, 31.8.2011 und meine Beitrag Folgen "humanitärer Interventionen" ‒ das Beispiel Libyen)

AI-Vertreter verteidigten sich später, sie hätten doch hier keineswegs zu einer militärischen Intervention aufgerufen. Das mag tatsächlich nicht ihre Absicht gewesen sein. Zum einen schließen aber "unmittelbare konkrete Aktionen" militärische nicht aus und zum anderen hat der, der für ein Eingreifen wirbt, keinerlei Kontrolle darüber, zu welchen Mitteln die Staaten greifen, die üblicherweise in solchen Fällen tatsächlich intervenieren, d.h. die USA, Großbritannien, Frankreich und eine Reihe weiterer NATO-Staaten. Wer so voreilig (oder bereitwillig) mit seinem großen Renommee Stimmung für eine Intervention macht, Kriegsvorwände liefert und zum Aufbau von Feindbildern beiträgt, macht sich auch mitverantwortlich für einen darauf folgenden Kriege und dessen Folgen.

Individuelle Menschenrechtsverletzungen Vorrang vor Krieg

Dass Krieg das schlimmste Menschenrechtsvergehen ist, das es gibt, mit den fürchterlichsten Konsequenzen für die Menschen, deren Menschenrechte man schützen will, sollte einer Menschenrechtsorganisation nicht erst in Libyen klar geworden sein. Nicht umsonst ist die Erhaltung des Friedens oberste Ziel der UN-Charta und der internationalen Menschenrechtsnormen. Dies scheint Amnesty International allerdings, wie auch andere Menschenrechtsgruppen, häufig zu übersehen.

Jean Bricmont führt in seinem lesenswerten Buch "Humanitärer Imperialismus" als Beispiel dafür die Positionen von AI und HRW zu Beginn der US-Invasion im Irak an, die an alle "Kriegsteilnehmer" gleichermaßen appellierten, die Regeln des Krieges zu respektieren, ohne zwischen Agressor und Opfer zu unterscheiden. Beide verloren kein Wort über die Illegalität des Überfalls selbst, obwohl, gemäß der Rechtsprechung des Nürnberger Tribunals, das Verbrechen der Aggression als das schwerste Kriegsverbrechen überhaupt zu gelten hat, weil es alle anderen Verbrechen in sich beeinhaltet. Wie Bricmont treffend feststellt, verhielten sich die beiden Organisationen, "wie jemand, der Vergewaltigern die Verwendung von Kondomen empfiehlt." (s. Daniel Kovalik, Amnesty International and the Human Rights Industry, CounterPunch 8.11.2012)

Diese Form der "Neutralität", die nicht zwischen Angreifer und Verteidiger unterscheidet, zieht sich durch alle Verlautbarungen von AI zu westlichen Militärinterventionen, auch - nach Beginn des Nato-Bombardements auf den wehrlosen Wüstenstaat - zum Libyen-Krieg.

Kundgebungen für syrische Oppositionsgruppen


Amnesty International "Solidarity Rally" auf dem Trafalgar Square, London, 11.2.2012
Die ehemalige grün-weiß-schwarze Nationalflagge mit roten Sternen wird von oppositionellen Gruppen verwendet, so die sog. "
Freien Syrischen Armee", ein Sammelbegriff unter dem zahlreiche regierungsfeindliche Milizen operieren und die Nationale Koalition.
Wie parteiisch Amnesty teilweise agiert, kann man auch an den Syrien-Kundgebungen erkennen, die AI organisierte oder mitorganisierte. Neben Amnesty-Plakaten sieht man stets zahlreiche Flaggen der syrischen Opposition, sowie auch Poster, die "Flugverbotszonen" fordern oder die Präsidenten Putin und Assad mit Hitler gleichsetzen.

Bei der 'Rally for Aleppo' vom 22.10.2016, während der Teddys niedergelegt wurden, die tote Kinder in Aleppo symbolisieren sollten, erweckten AI und Mitorganisatoren den Eindruck, in Aleppo werde eine belagerte Zivilbevölkerung angegriffen. Für die Opfer der Kämpfe in Aleppo wurden allein die syrische und russische Regierung verantwortlich gemacht. Keine Rede davon, dass die dominierenden Milizen, die die umkämpften Stadtteile besetzt hielten und terrorisierten, Al Qaida nahe Gruppen, wie Al Nusra Front und Ahrar al Sham waren und diese sich nur mit Hilfe des steten Nachschubs aus der Türkei halten konnten. Statt ein Ende der Kämpfe durch Einstellung der Unterstützung für diese dschihdadistische Banden durch die Türkei, die Golfmonarchen und ettlicher NATO-Staaten zu fordern, demonstrierte AI zu ihrer Verteidigung. 

Nähe zur britischen und US-amerikanischen Regierung

Zumindest in den ersten Jahren ihres Bestehens arbeitete AI direkt mit der britischen Regierung zusammen. Und von Anfang an war die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in gegnerischen Staaten wesentlich ausgeprägter, als die in den eigenen. Als 1966 ein Bericht über Folter in einem britischen Lager in jemenitischen Hafenstadt Aden von AI unterdrückte wurde, bezichtigte sogar der Gründer von AI, der Brite Peter Benenson, der selbst gute Kontakte zur Regierung unterhielt, eine ganze Reihe führender Mitstreiter, Agenten britischer Geheimdienste zu sein und forderte das AI-Hauptquartier in einen neutralen Staat zu verlegen. (Kirsten Sellars, Peter Benenson and Amnesty International, in David P Forsythe, Encyclopedia of Human Rights, Band 1, 8.8.2011)

Montreal, Canada. 15.12.2016. Rund 100 syrische Oppositionelle und Vertreter von Amnesty International protestieren vor dem russischen Konsulat gegen die russischen Luftangriffe auf Stellungen in Ost-Aleppo © Cristian Mijea/Alamy Live News

 

Geheimagenten sind aber gar nicht nötig. Die personelle Verflechtungen zwischen Regierungen und AI reichen völlig aus. So wurde 2012 mit Suzanne Nossel ausgerechnet eine Frau Geschäftsführerin von AI USA, die zuvor als stellvertretende Referatsleiterin im Außenministerium eine führende Rolle bei der Einführung „bahnbrechender Menschenrechts- Resolutionen“ gegen den Iran, Syrien und Libyen spielte und den Begriff „Smart Power“ für das Zusammenwirken von militärischer und „weicher“ Macht in der US-Außenpolitik prägte, die Hillary Clinton als bestimmendes Merkmal ihrer Außenpolitik bezeichnet. (Mehr dazu, inkl. Quellen in meinem Beitrag " Fassbomben" in Syrien: parteiische Berichte, einseitige Vorwürfe und Doppelmoral").

Während die US-Friedensbewegung gegen den Afghanistan-Krieg demonstrierte führe AI unter Nossel eine große Kampagne durch, in der die NATO unter dem Motto “NATO: Keep the Progress Going!” aufgefordert wurde, den Krieg fortzusetzen.

AI-Plakat in Chicago während der dortigen NATO-Konferenz im Mai 2012

 
Laut Selbstdarstellung hat AI aus den Verwicklungen in den 1960er Jahren gelernt und beharrt heute auf vollständige politische Unabhängigkeit. Die Organisation finanziere sich deshalb ausschließlich über Spenden, Beiträge und Vermächtnisse. Staatliche und öffentliche Zuwendungen lehne sie ab. Tatsächlich hat sie in den letzten Jahren durchaus Gelder von der britischen Regierung Regierung (über den "Fonds für Regierungsführung und Nachvollziehbarkeit" und der EU-Kommission (über das "Europäische Amt für Zusammenarbeit") erhalten. Auch einige Stiftungen, die AI mitfinanzieren, sind nicht weniger problematisch. Insbesondere George Soros "Open Society Foundations" ist für die Finanzierung von Regime Change-Bewegungen bekannt. (siehe Meinung – Syrien: Offene Gesellschaft, kluge Macht und die Begnadigung, domiholblog, 24.12.2015).

AI hat unbestreitbar verdienstvolle Arbeit geleistet und leistet sie vielerorts weiterhin. So wies vor kurzem das Irak-Team von AI unter Donatella Rovera verdienstvoller Weise auf die hohe Zahl ziviler Opfer durch die Luftangriffe der US-geführten Luftkriegsallianz in Mossul hin. In diesem Report wird auch die "ernsthafte Frage über die Rechtmäßigkeit der Angriffe" aufgeworfen, sowie der US-Allianz "eine flagrante Verletzung des internationalen humanitären Rechts" vorgeworfen ‒ eine "Rally for Mosul" oder Kundgebungen zur "Rettung der Kinder von Mossul" sind jedoch nicht zu erwarten.
Es gibt auf alle Fälle gute Gründe auch die Berichte von AI sehr kritisch zu lesen und wie bei jeder Quelle, die politischen Interessen und Einflussnahmen zu berücksichtigen, die eventuell im Spiel sind – ganz besonders wenn es sich um Staaten außerhalb des westlichen Lagers handelt.

Mehr zu Amnesty International allgemein:

Daniel Kovalik, , Amnesty International and the Human Rights Industry, CounterPunch
8.11.2012

sowie zu AI und Syrien:

Franklin Lamb, , Amnesty International’s Flawed Syrian Hospitals “Investigation”,
CounterPunch, 1.11.2011
Sara Flounders, War, lies and NGOs: Amnesty International’s Report on Syria, 26.2.2017

Rick Sterling, , Amnesty International Stokes Syrian War, Consortiumnews, 11.2,2017

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