Nato-Staaten sind längst militärisch in Syrien aktiv - ein Überblick

(der Beitrag erschien mittlerweile gekürzt und redaktionall überarbeitet in der jungen Welt vom 9.3.2012, eine englische Übersetzung gibt es unter Covert operations in Syria - NATO member states have long been active in Syria)

Mit guter Resonanz kursieren zwei Aufrufe von Friedens- und Solidaritätsgruppen zu Syrien und Iran, die ein Ende der Kriegsdrohungen, Einmischung, Sanktionen etc. fordern (Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens! und „Hände weg von Iran und Syrien“) sowie der ebenfalls unterstützenswerte Aufruf der IPPNW „Gewalt in Syrien stoppen - Krieg verhindern!“ .
Alle Aufrufe verlangen auch ein Ende der militärischen Unterstützung bewaffneter oppositioneller Gruppen in Syrien durch NATO-Staaten. Eine solche Einmischung wurde daraufhin von Kritikern der Aufrufe vehement bestritten. Im Folgenden eine Auswahl verfügbarer Information, die belegen, dass zumindest einige NATO-Staaten auch in Syrien bereits aktiv militärisch mitmischen.
 
Wie meist in solchen Fällen, gibt es dafür kaum direkte Beweise. Schließlich geben sich die intervenierenden Mächte stets alle erdenkliche Mühe, keine handfesten Spuren zu hinterlassen. Aber es gibt eine Reihe gewichtiger Hinweise die eine direkte und auch militärische Unterstützung bewaffnete Oppositionsgruppen durch die USA, Frankreich und Großbritannien als ziemlich gesichert erscheinen lassen.

Eine völlig offene Unterstützung betreibt das NATO-Mitglied Türkei allein schon dadurch, dass sie die sogenannte „Freie syrische Armee“ (FSA) auf ihrem Territorium operieren lässt. Sehr aktiv sind auch die, im Golfkooperationsrat (GCC) zusammengeschlossen Feudalstaaten, vorneweg Katar, der aktuell aggressivste Verbündete der westlichen Mächte und Saudi Arabien, das schon lange klandestin islamistische Oppositionsgruppen in Syrien unterstützt.

1. heimliche Waffen-Lieferungen durch die NATO

Wie der Ex-CIA-Mann Philip Giraldi berichtet, fliegen nicht markierte NATO-Flugzeuge Waffen und Freiwillige aus Libyen zu türkischen Stützpunkten bei İskenderun. (NATO vs. Syria, The American Conservative, 19.12.2011)

Die südtürkische Hafenstadt İskenderun, die nahe der syrischen Grenze liegt, ist gleichzeitig auch die Basis der FSA. Die in Libyen eingesammelten Waffen sind sehr praktisch. Sie haben den Vorteil, dass sie nicht zu den Lieferanten zurückverfolgt werden können. Und die libysche Kämpfer bringen ihre frischen Erfahrungen mit, wie man neu rekrutierte Leute in den Kampf gegen ausgebildete Soldaten führt, die aufgrund äußeren Drucks nicht völlig frei zurückschlagen können. Laut Giraldi sind auch Ausbilder der französischen und britischen Spezialstreitkräfte vor Ort, um den syrischen Rebellen zu helfen, während die CIA und US-Spezialstreitkräfte die Aufständischen mit Kommunikationsausrüstung und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen versorgen, damit sie größeren Ansammlungen syrischer Soldaten aus dem Weg gehen können.

Giraldi gilt als glaubwürdig und wird von vielen Medien zitiert, u.a. auch von Jonathan Steele im Guardian (Most Syrians back President Assad, but you'd never know from western media, deutsche Übersetzung im Freitag Dramatisches Schweigen) und Die Welt (Homs wartet auf die Entscheidungsschlacht, 11.02.2012).

Auch der russische Außenminister Sergei Lawrow hat dem Westen schon mehrfach vorgeworfen, syrische Rebellen zu bewaffnen, siehe "Über die Türkei, den Irak und andere Länder werden Waffen nach Syrien geschmuggelt." – Moskau wirft Westen «Aufhetzung» in Syrien vor, dpa, 4.11.2011.

10 Tage später wird Lawrow noch etwas deutlicher (Russia's Lavrov accuses West of arming Syrian opposition, dpa, 14.11.2011):
Westliche Stationen liefern rechtswidrig Waffen an die syrische Opposition um den Sturz von Präsident Baschar Al-Assad zu erzwingen, sagte Russlands oberster Diplomat. Niemand nimmt dazu Stellung und niemand gibt es zu, aber die Fakten sind unmöglich zu widerlegen: Waffen werden von der Türkei und Irak nach Syrien geschmuggelt, so der russische Außenminister Sergej Lawrow. Bewaffnete Extremisten nutzen friedliche Demonstrationen um Gewalt der syrischen Regierung zu provozieren, zitierte in die Nachrichtenagentur Interfax
Auch das israelische Militärinformationsportal DEBKAfile hat einiges dazu veröffentlicht, u.a. über geplante Lieferungen von Panzerabwehrwaffen. Die Texte sind aber nicht mehr frei zugänglich. U.a. zitiert jedoch Michael Chossudovsky Passagen daraus in: The Pentagon's "Salvador Option": The Deployment of Death Squads in Iraq and Syria, Global Research, 16.8.2011.
Bereits im August hieß es bei DEBKAfile, Syrische Sicherheitskräfte „stoßen nun auf heftigen Widerstand. Es erwarten sie Panzerfallen und befestigte Barrikaden, besetzt durch Protestierer mit schweren Maschinengewehr.“ – Nicht gerade das Bild friedlicher Demonstranten.
Das NATO-Hauptquartier in Brüssel und das türkische Oberkommando arbeiten inzwischen Pläne für ihre erste militärische Stufe in Syrien aus, die in der Ausrüstung der Rebellen mit Waffen für Kämpfe gegen Panzer und Hubschrauber besteht [...]. Statt das libysche Modell von Luftangriffen zu wiederholen, denken die NATO Strategen vielmehr daran, große Mengen von Panzer- und Luftabwehrraketen, Mörser und schwere Maschinengewehre in die Protestzentren fließen zu lassen, zum Zurückschlagen der gepanzerten Einheiten der Regierung. (NATO to give rebels anti-tank weapons, DEBKAfile, August 14, 2011)
Die Informationen von DebkaFile sind zwar, auf Grund seiner mutmaßlichen Nähe zu israelischen Geheimdiensten, immer mit Vorsicht zu genießen. Die Meldungen über Einsätze von NATO-Spezialeinheiten in Libyen, die das Portal ebenfalls sehr früh veröffentlichte, haben sich jedoch alle bestätigt.


2. Geheimdienste und Spezialeinheiten aus NATO-Staaten

Der britische Daily Star meldete Anfang des Jahres,
„Agenten des MI6 und der CIA sind schon in Syrien, um die Lage einzuschätzen. Spezialeinheiten sprechen auch mit regimekritischen syrischen Soldaten [Deserteur klingt wohl zu abwertend].“ ... ‚MI6 und CIA sind in Syrien um zu infiltrieren und die Wahrheit herauszufinden‘ sagte eine gut platzierte Quelle. ‚Wir haben SAS und SBS [britische Spezialeinheiten] nicht weit entfernt, die wissen wollen, was geschieht und ermitteln welche Ausrüstung die regimekritischen Soldaten benötigen.“ (Syria Will Be Bloodiest Yet, Daily Star Sunday, 1.1.2012)
Auf einer Seite der "Elite UK Forces" heißt es:
Jüngere Berichte stellten fest, dass britische und französische Spezialeinheiten aktiv, von einem türkischen Stützpunkt aus, Angehörige der FSA ausbilden. Einige Berichte weisen daraufhin, dass das Training auch an Orten in Libyen und Nordlibanon stattfindet. Britische MI6-Agenten und Angehörige der UKSF [britische Spezialkräfte] (SAS/SBS) haben den Berichten zufolge die Rebellen im Städtekampf ausgebildet sowie sie mit Waffen und Ausrüstung versorgt. Es wird angenommen, dass CIA-Agenten und US-Spezialeinheiten den Rebellen Kommunikations-Unterstützung bieten. (British Special Forces Training Syrian Rebels?, 05.01.2012)
Pepe Escobar von der Asia Times berichtet Ähnliches. Diplomaten in Brüssel haben ihm bestätigt, dass NATO- und GCC-Militärs in İskenderun, im Süden der Türkei, eine Kommandozentrale eingerichtet haben. İskenderun liegt nahe der syrischen Grenze und war einst der Hafen für Aleppo, die strategisch äußerst wichtige, zweitgrößte Stadt Syriens. Offiziell soll die Kommandozentrale dazu dienen einen "humanitären Korridor“ nach Syrien zu schaffen. Die französische satirische Wochenzeitung Le Canard Enchaine und die türkische Tageszeitung Milliyet berichten jedoch, dass Kommandos des französischen Geheimdienstes und der britischen MI6 bereits Kämpfer der FSA in Hatay im Süden der Türkei und in Tripoli, im Nordlibanon in Stadtguerillatechniken trainieren. Waffen – von Schrotflinten bis zu israelischen Maschinengewehren und RPGs [„Rocked Propelled Grenades“, Raketenwerfer] –seien in Massen nach Syrien geschmuggelt worden.
Es ist in Syrien kein Geheimnis, so Escobar, dass seit den Anfängen der Protestbewegung bewaffnete Banden von Salafisten [sunnitische Extremisten] bis zu simplen Kriminellen regelmäßige Soldaten, Polizei und sogar Zivilisten angegriffen haben. (Pepe Escobar, The shadow war in Syria, Asia Times, 2.12.2011

Laut den israelischen Quellen von DebkaFile wird in Brüssel und Ankara auch über eine Kampagne nachgedacht, Tausende von moslemischen Freiwilligen aus der moslemischen Welt anzuwerben, um neben den syrischen Rebellen zu kämpfen. Die türkische Armee würde diese Freiwilligen dann unterbringen, trainieren und ihre Passage nach Syrien sicherstellen. (zitiert nach Michael Chossudovsky The Pentagon's "Salvador Option": … a.a.O) Pläne also, die sehr an die Anwerbung von Mudschahedin durch die CIA für den Kampf gegen die Sowjettruppen in Afghanistan erinnern.

Anfang Februar meldete DEBKAfile dann, die ersten ausländischen Truppen hätten in Syrien mit der unmittelbaren Unterstützung von Rebellenmilizen begonnen. (First foreign troops in Syria back Homs rebels, DEBKAfile 8.2.2012)
Laut Debkafiles exklusiven Militär und Nachrichtenquellen operieren britische und katarische Spezialeinheiten in der syrischen Stadt Homs, nur 162 Kilometer von Damaskus under cover zusammen mit Rebellen-Truppen. Die ausländischen Truppen greifen nicht direkt in die Kämpfe mit den syrischen Streitkräften ein, die verschiedene Teile von Syriens dritter größter Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern bombardieren. Sie sind taktische Berater, kümmern sich um die Kommunikationskanäle der Rebellen und geben deren Forderung nach Waffen, Munition, Kämpfer und logistische Hilfe an die ausländischen Unterstützer, hauptsächlich in der Türkei, weiter.
Diese Website ist die Erste, die von der Präsenz ausländischer militärischer Kräfte in irgendeiner der im syrischen Aufstand umkämpften Gebiete berichtet. Unsere Quellen berichten, dass die zwei ausländischen Kontingente vier Operations-Zentren eingerichtet haben, – im nördlichen Bezirk von Homs, Khaldiya, in Bab Amro im Osten, in Bab Derib und Rastan im Norden. In jedem dieser Bezirke wohnen über ein Viertelmillion Menschen.
Die Präsenz der britischen und katarischen Truppen sei vom türkischem Premierminister Tayyip Erdogan für einen neuen Plan aufgegriffen worden, den er am 7. Februar dem Parlament in Ankara vorstellte. Nachdem die britisch-katarischen Kontingente einen ersten ausländischen Fuß in die syrische Tür stellten, wolle er eine, „türkisch-arabische Truppe“ unter deren Schutz „durch diese Tür nach Homs entsenden“. Anschließend sollen sie dann zu anderen Brennpunkten ziehen.
Es sei schwer zu sagen meinen die Analysten von Debkafile, ob der jüngste Plan des türkischen Führers praktikabler als seine früheren Interventionspläne. Im Moment bemüht er sich noch um die Unterstützung der USA und der arabischen Feudalherrscher.

Bericht der Beobachtermission

Der russische Außeminister Lawrow bezieht sich auch auf den Bericht der Beobachtermission der Arabischen Liga, der zwar keine Angaben über die Herkunft von Waffen oder Staaten enthält, die bewaffnete Gruppen unterstützen, dafür ausführlich die Gewalt schildert die von diesen ausgeht – nicht nur gegen Sicherheitskräfte, sondern auch gegen Zivilisten.
So unvollkommen diese Beobachtermission auch war, so liefert der Bericht Informationen von 140 Leuten aus einem guten Dutzend Ländern, die einen Monat lang intensiv recherchiert haben. Da deren Regierungen mehrheitlich gegen Assad sind stützt er eher die Opposition als die Regierung, liefert aber dennoch das objektivste Bild, das man im Moment bekommen kann. War die Mission zunächst von der syrischen Opposition begeistert begrüßt worden, so wurde sie bald darauf, als klar wurde, dass sie ihre Aufgabe ernst nahm, von der Exil-Opposition wie auch dem GCC heftig bekämpft.
Den Report, deren Veröffentlichung die Golfmonarchen zu verhindern suchten, findet man hier: Report of the Arab League Observers Mission to Syria (pdf)

Siehe auch: Karin Leukefeld, Unerwünschte Informationen: Arabische Liga und Vereinte Nationen ignorieren Bericht der Beobachtermission, junge Welt, 15.2.2012

Analysen zur westlichen Strategie gegen Syrien

Sehr interessant in diesem Zusammenhang, auch wenn hier keine Details genannt werden, ist die STRATFOR-Analyse: The Syria Crisis: Assessing Foreign Intervention, v. 15.12.2011 sowie der sehr informativer Beitrag von Aisling Byrne vom Conflicts Forum in Beirut, die u.a. US-Papiere des Brookings-Institutes ("Towards a Post-Assad Syria", "Which Path to Persia?") analysiert, die wie eine Blaupause für die aktuelle Politik aussehen. (A mistaken case for Syrian regime change, Asia Times, 5.1.2011)

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