Sirte - das neue Falludscha - Updated


Deserted: The denuded buildings of Sirte will have to be demolished after they were pounded with heavy artillery for weeks
Während die westlichen Medien über die achtwöchige Bombardierung und Belagerung der libyschen Küstenstadt Sirte kaum eine Zeile berichteten und wenn, dann nur als Bemühen fortschrittlicher Rebellen die letzten Schlupfwinkel von Gaddafi-Anhängern auszuräuchern, erinnerte das Schicksal der Stadt, in der sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung gegen die NATO und deren Bodentruppen tapfer verteidigte, viele kritische Beobachter zunehmend an das der irakischen Großstadt Falludscha, die 2004 bei zwei Großangriffen US-amerikanischer Truppen weitgehend zerstört wurde.

Sirte, Oktober 2011 (Last stand in Sirte: Extraordinary pictures show Libyan city shelled to smithereens, Daily Mail, 14.10.2011)
 

Auch Sirte, das bis August noch ca. 130.000 Einwohner hatte, ist nun weitgehend zerstört, der Großteil der Bevölkerung ist geflohen. (Gaddafi home town largely destroyed, Washington Post, 15.10.2011). Auf die Geburtsstadt von Revolutionsführer Gaddafi konzentrierte sich ein guter Teil der 2000 Luftangriffe, die die NATO nach dem Fall von Tripolis mit nahezu unveränderter Intensität weiter flog.

Der britische Telegraph sieht wenig Chancen, dass die Schäden an den vielen modernen Einrichtungen, wie der Universität und Krankenhäuser wieder repariert werden können. Auch viele Häuser werden auf Dauer unbewohnbar beiben. "Die zertrümmerten Überreste der Wohnblocks und die Trümmer der einst komfortablen Häuser erinnern mehr an die düstersten Szenen von Grosny am Ende des blutigen russischen Tschetschien-Krieges." (Ruined Sirte becomes a killing ground as Gaddafi loyalists face destruction, but mete out death of their own, Telegraph, 15.10.2011)

Die Bewohner von Sirte gelten als Gaddafi-Anhänger. Daher sehen die Angreifer "offensichtlich keinen Grund zur Zurückhaltung" so die Washington Post. Rebellen-Milizen riegelten die Stadt ab und beschossen mutmaßliche Stellungen ihrer Verteidiger mit Mörsern. Bei ihren Vorstößen kamen NATO-Kampfhubschrauber zu Hilfe. In den eroberten Vierteln kam es zu ausgedehnten Plünderungen und Brandschatzungen. Es wird von ganzen LKW-Kolonnen berichtet, die die geraubten Güter abtransportierten. (Siehe u.a. Patrick O’Connor, Die Zerstörung von Sirte, WSWS, 20.10.2011 und Chris Marsden, Sirte destroyed by NTC-NATO offensive in Libya, WSWS, 18.10.2011)

Es ist unklar, wie viele Bewohner fliehen konnten. Ein großer Teil blieb jedoch zwischen NATO-Bomben und Mörserangriffen der Rebellenmilizen gefangen - abgeschnitten von der Versorgung von außen, ohne Trinkwasser und Strom, ohne ausreichende medizinische Hilfe und in großer Angst vor Racheakten der Rebellen, wie in der Kleinstadt Tawargha. Die Milizen des benachbarten Misrata fielen nach dem Rückzug der Regierungstruppen mit brutaler Gewalt über die als Gaddafi-Anhänger geltenden, überwiegend schwarzen Bewohner hergefallen, vertrieben sie vollständig, plünderten und zerstörten ihre Häuser. Die "Misrata Brigade" bezeichnete sich selbst auch als „Brigade zur Beseitigung von Sklaven und Schwarzhäuten“. Sie ist auch führend bei den Angriffen auf Sirte. (Gaddafi's ghost town after the loyalists retreat, Telegraph, 11.9.2011)

Waterlogged: Libyan rebel fighters fire at pro-Gaddafi forces as the battle for Sirte enters its final stages
Über die Zahl der Toten, Verwundeten und nicht behandelbare Schwerkranke gibt es keine Angaben, sie müssen jedoch in die Tausende gehen. Moussa Ibrahim, Sprecher der weggebombten Regierung, schätzte bereits am 19. September die Zahl der durch NATO-Angriffe getöteten Einwohner auf 2.000. ((Civilian cost of NATO victory in Libya, RT Russia Today, 20.10.2011. Siehe auch Dramatische Zustände in Sirte, jW 10.10.2011)

Das neue Falludscha

Was das neue, auch von westlichen Linksliberalen und Menschenrechts-Aktivisten gepriesene Völkerrechtskonzept der "Schutzverantwortung" (R2P - Responsibility to protect) betrifft, so sollten sich alle Zweifler die Erläuterung von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen anhören: "Die NATO und ihre Partner haben das historische Mandat der Vereinten Nationen, die Bevölkerung Libyens zu schützen, erfolgreich erfüllt." Pepe Escobar rät jedem, der wissen will, wie dieser Schutz funktioniert, "in einen Geländewagen zu steigen und nach Sirte zu fahren - dem neuen Falludscha." (How the West won Libya, Asia Times, 21.10.2011)

Der Oberkommandeur der NATO-Luftangriffe, US-General Ralph Jodice erklärte der New York Times in orwellscher Manier, die sich in Sirte verteidigenden Gaddafi-loyale Kräfte würden weiterhin "eine anhaltende und heftige Gefahr" für die libysche Zivilbevölkerung darstellen. Sie "zeigen nach wie vor den Willen zum Kampf, wodurch sie weiterhin die in der Stadt verbliebenen Zivilisten gefährden. (NATO Commander Says Resilience of Qaddafi Loyalists Is Surprising, NYT, 10.10.2011

Nur wenige westliche Medien störten sich an den absurden Rechtfertigungen der Kriegsallianz, Zivilisten zu schützen, in dem man sie bombardiert, oder verwiesen gar darauf, dass das UN-Mandat auf das sich die NATO beruft, verlangt, jegliche Gewalt gegen Zivilisten zu unterbinden, auch die der Aufständischen.
"Was Gaddafi Bengasi niemals antat - und es gibt keine Indizien, dass er es getan hätte," so Escobar am Tag zuvor, "tut der TNC [Übergangsrat] Sirte, Gaddafis Heimatstadt, an. Genauso wie die mörderische US-Offensive in Falludscha Ende 2004 im irakischen, sunnitischen Dreieck, wird Sirte zerstört um 'es zu retten'." (The US power grab in Africa, Asia Times, 21.10.2011)

Wären Gaddafi-treue Truppen auch nur annähernd mit solcher Brutalität vorgegangen, wären die Medien wochenlang voller Bilder und Berichten gewesen und alle hätten laut "Völkermord" geschrien.

Gemäß britischen Medien ging es bei den Angriffen auf Sirte darum, den "Kopf der Schlange abzuschlagen". Es gibt für westliche Politiker und Medien also wertvolles und unwürdiges Leben, so John Pilger auf der Antikriegsdemonstration am 8.10.2011 in London. Auch ihn erinnert das, was in Sirte geschah, an Falludscha, über dessen Verwüstung er in einem Dokumentarfilm berichtet. Wie die Libyer, die die Souveränität ihres Landes verteidigen, so stellten auch die widerspenstigen Bewohner Falludschas "unwürdiges Opfer" dar.

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