Der sechste US-/Nato-Krieg hat begonnen

Bevor auch nur die Idee einer neuen diplomatischen Initiative zur Beendigung des Bürgerkriegs in Libyen entstehen konnte, begannen Frankreich, die USA und Großbritannien schon mit Raketen- und Bombenangriffe auf Libyen. Der libysche Ruf nach Waffenstillstandsbeobachtern war von ihnen zuvor verächtlich abgelehnt worden.
Die Angriffe zielten auf Luftabwehrstellungen des Landes, da diese i.d.R. in den zu schützenden Städten stehen sind Opfer unter der Bevölkerung unvermeidlich. Getroffen wurden u.a. Ziele in Tripoli, Zuara, Misurata, Bengasi und Sirte. Nach libyschen Angaben wurden 48 Menschen dabei getötet und 150 verwundet. (AP-Bilder davon bei Cubadebate)

Nach zweimal Irak, Jugoslawien, Somalia und Afghanistan begann somit der sechste Krieg der Nato-Staaten seit Beginn der von George Bush sen. erklärten „Neuen Weltordnung“. Fidel Castro hatte bereits vor 4 Wochen davor gewarnt. Traditionsbewusst wurde der Kriegsbeginn fast punktgenau auf den Jahrestag des zweiten Irakkriegs und den Krieg gegen Jugoslawien gelegt. (Rüdiger Göbel, NATO eröffnet neue Front, jW 19.03.2011)
 
Die aggressivsten Wölfe zu Beschützern bestimmt

Will man diesen Krieg einordnen, genügt ein Rückblick auf die Woche: Am Montag fielen Truppen der Feudalstaaten am Persischen Golf in Bahrain ein, um die dortige Despotie vor dem Sturz durch die Protestbewegung zu schützen. Mehrere friedliche Demonstranten wurden in der Folge getötet. Im Jemen wurden am Freitag 46 Demonstranten von Regierungskräften erschossen. Die USA ermordeten am selben Tag über 40 Menschen in Pakistan durch einen Drohnenangriff auf eine Stammesversammlung.

Am selben Tag gab der UN-Sicherheitsrat den USA und den Golfstaaten sowie Großbritannien, Frankreich und anderen willigen Nato-Staaten grünes Licht in Libyen auf Seiten der dortigen, mit schweren Waffen kämpfenden Aufständischen, militärisch einzugreifen, d.h. mit dem Segen der UNO erklärten sich die aggressivsten Wölfe zu den Beschützern der libyschen „Herde“.

Freie Hand zum "Regime Change"

Mit der Resolution 1973 ermächtigen sie sich – unter eklatanter Missachtung der UN-Charta – nicht nur zu Durchsetzung eines Flugverbots für die libysche Armee, sondern auch zum Einsatz „aller notwendigen Mittel“ .um „Zivilisten oder von Zivilisten bewohnte Gebiete“ vor Angriffen zu schützen, d.h. letztlich zu willkürlichen Angriffen auf alle libysche Truppen auf dem Boden wenn diese auch nur in die Nähte bewohnter Gebiete oder den offenbar als Zivilisten betrachteten bewaffneten Aufständischen kommen.

Mit der Resolution überlässt der Sicherheitsrat es völlig der Willkür einzelner Staaten und Militärbündnisse, wann, wo und wie sie zuschlagen wollen. Indem sie sich allein gegen die libysche Regierung richtet, zielt sie auf nichts anderes als einen „Regime Change“. Die Rebellen können weiter ungehindert angreifen (einer ihrer Kampfjets wurde versehentlich von ihnen selbst abgeschossen), schlagen die Regierungstruppen aber zurück, so können sie von Nato-Jets bombardiert werden.

Neuer Tiefpunkt der UNO

Die Resolution ist zweifellos ein neuer Tiefpunkt der Vereinten Nationen. Sie ignoriert die allen Staaten völkerrechtlich garantierte Souveränität (u.a. UN-Charta Artikel 2 Abs. 4 und Abs. 7) und fordert eindeutig zur Einmischung in einen internen Konflikt – d.h. zur Aggression – auf, ohne dass versucht wurde, dafür auch nur ansatzweise eine Begründung von völkerrechtlichem Belang anzugeben, noch nicht mal ein so fadenscheiniges Feigenblatt wie die Massenvernichtungswaffen im Irak. Von einer Gefahr für die internationale Sicherheit, die allein eine solche Resolution rechtfertigen würde, kann ganz offensichtlich keine Rede sein, genauso wenig davon, dass schon alle friedlichen, diplomatischen Mittel ausgeschöpft worden wäre – die Initiativen Venezuelas und der Afrikanischen Union hat man im Westen schlicht ignoriert. (siehe dazu auch: Richard Falk, Kicking the intervention habit – Should talks of intervention in Libya turn into action, it would be illegal, immoral and hypocritical, Aljazeera, 13.2.2011)

Russland und China ließen die Nato-Staaten mal wieder gewähren. Vermutlich können die beiden Vetomächte mit lukrativen Gegenleistungen rechnen. Auch Brasilien und Indien fehlte das Rückgrat, dagegen zu stimmen, obwohl ihre Vertreter deutliche Kritik äußerten.
Indiens Vertreter monierte, dass bisher noch nicht einmal der Bericht des Sondergesandten der UNO vorliegt und "die heutige Entscheidung auf sehr wenig klaren Informationen beruht"
Die Vertreterin Brasiliens stellte fest, dass die Resolution über eine bloße Flugverbotszone hinausgehe und äußerte Zweifel, dass die angegebenen Ziele mit militärischen Mitteln erreicht werden können. Ihr Land befürchte, dass sie im Gegenteil den Konflikt vor Ort verschärfen werden und „mehr Schaden als Gutes für genau die Bevölkerung bringen“ werde, „die wir schützen wollen."
Überraschenderweise hat sich auch Deutschland der Stimme enthalten. Auch wenn die SPD und Grüne, getreu ihrem 1998 gewählten neuen Motto „Nie wieder Krieg ohne uns“ darüber entrüsten, angesichts der Mehrheitsverhältnisse war die Enthaltung kein
Siehe auch die Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag und anderer Friedensgruppen dazu.

Die Afrikanische Union hat die Militärintervention gegen Libyen verurteilt. Der mauretanische Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz erklärte im Namen der Staatenorganisation, die Lage in Libyen erfordere dringende Maßnahmen für eine afrikanische Lösung der schweren Krise. „Diese Lösung muss unserem Respekt für die Einheit und territoriale Integrität Libyen sowie der Ablehnung jeder ausländischen Militärintervention, gleich welcher Art, entsprechen“, so der Staatschef. Die Afrikaner waren dem Pariser Gipfeltreffen der Aggressoren ferngeblieben, obwohl sie eingeladen waren. (Reuters, 20.3.2011 , dt. redglobe.de )

Genaue Interventionspläne unklar

Mit ihrer Luftwaffe können die USA, GB und Frankreich es den Aufständischen vermutlich ermöglichen, die vollständige Kontrolle über den Ostteil Libyens, die Cyrenaica zu erringen, wo sich praktischer Weise auch die meisten libyschen Ölquellen befinden. Die Eroberung des übrigen Landes, dürfte ohne Bodentruppen kaum zu schaffen sein. Praktisch würde dies somit – zumindest vorläufig – auf eine Teilung des Landes hinauslaufen. Darüber wie die genauen Pläne der Aggressoren für die Durchsetzung eines „Regime Changes“ aussehen, bzw. ob es solche überhaupt schon gibt, rätseln auch Think Tanks und Analysedienste wie Stratfor.

Die Schnelligkeit, mit der die drei Nato-Staaten den Krieg begannen, legt den Verdacht nahe, dass die Angriffspläne schon lange zuvor ausgearbeitet und unter den drei imperialistischen Mächten abgestimmt worden waren. Die Protestbewegung bot dann die günstige Gelegenheit.
Möglich ist jedoch auch, dass das militärische Eingreifen eine Antwort auf das arabische Erwachen ist, das nicht nur die Diktatoren und absoluten Monarchen gefährdet sondern auch die gesamte, für den Westen so vorteilhafte Ordnung im arabischen Raum. In diesem Fall müssten sie improvisieren, was die ablehnende Haltung der Militärs und des Pentagons erklären würde.
Eile zur Aufnahme von Kampfhandlungen war schließlich geboten gewesen, da es wohl nur noch eine Frage von Tagen gewesen wäre, bis die libyschen Truppen das gesamte Land wieder unter Kontrolle gehabt hätte.

Seltsame Kriegsallianzen

Die Ereignisse in Libyen unterscheiden sich in vieler Hinsicht von den Protestbewegungen in den anderen arabischen Ländern. In letzteren war es eine zivile Oppositionsbewegung die von Woche zu Woche wuchs und es war die schiere Menge der Leute, die der Brutalität der Regierungskräfte trotzen, die die Machthaber in Bedrängnis brachten. Auch in Libyen gingen junge Leute mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr Demokratie auf die Straße. Sie bilden jedoch eher die Kulisse als dass sie nennenswerten Einfluss auf die Ereignisse nehmen konnten. Fast von Beginn an, dominierten bewaffnete Rebellen.

Über deren politischen Ziele – außer dem Sturz Gaddafis natürlich – weiß man wenig. Demokratie scheint bei ihnen nicht im Vordergrund zu stehen. Man weiß auch nicht, wie groß ihre Unterstützung in der libyschen Bevölkerung ist. Im Westen sprach man dennoch gleich vom ganzen "Volk".

Während der zivile Teil der Protestbewegung, der den Bewegungen in anderen arabischen Ländern gleicht, recht einhellig äußere Einmischung ablehnt, schrien die im sog. „Libyschen Nationalrat“ vereinten Gaddafi-Gegnern – die in westlichen Medien überwiegend als Repräsentanten der libyschen Opposition, wenn nicht „des Volkes“ präsentiert werden –von Anfang lautstark nach militärischer Unterstützung der Nato.

Nur letztere fanden einmal wieder im Westen Gehör und es stellte sich ein befremdlich breites Spektrum hinter diese Kräfte, das von den Despoten am Golf über die EU, bis zu den Grünen und einigen Abgeordneten der Linkspartei reicht. Auch die Internetkampagnen-Gruppe Avaaz rief über ihren riesigen Verteiler zur militärischen Intervention auf.

Die energischsten Unterstützer sind genau die Kräfte, die zuvor noch lange danach trachteten, die Machthaber in Tunesien und Ägypten an der Macht zu halten. So hat die französische Regierung, die Ben Ali und Mubarak sogar praktische Unterstützung bei der Niederschlagung der Opposition anbot, als erste den „Libyschen Nationalrat“ als neue legitime Vertretung Libyens anerkannt. Der Schmalspur-Napoleon Sarkozy ließ auch die französische Luftwaffe heute als erstes an ihrer Seite in den Bürgerkrieg eingreifen.
Genauso engagiert forderten auch die Potentaten der Feudalstaaten am Golf, die ebenfalls bis zu letzt zu Mubarak und Ben Ali hielten und zu Hause selbst ebenfalls gewaltsam die demokratische Opposition unterdrücken ein militärisches Eingreifen. Sie setzten, gemeinsam mit so überaus demokratischen Staaten wie Marokko, die dubiose Resolution der Arabischen Liga mit der Flugverbots-Forderung durch. Zugegen waren allerdings nur 11 der 22 Staaten gewesen. Syrien und Algerien stimmten dagegen. Mauretanien bemühte sich gerade im Rahmen der Afrikanischen Union um eine friedliche Lösung. Das Votum der neun Befürworter ebnete den Weg für die Entscheidung des UN-Sicherheitsrats.

Kommentatoren wundern sich über die Haltung Sarkozys, die sie als erstaunliche Kehrtwendung betrachten. Dabei ist es viel naheliegender, dass er und die arabischen Feudalherrscher sich von den, von ihnen unterstützten Teilen der Gaddadi-Gegner genau das erwarten, was sie auch an Mubarak und Ben Ali so schätzten: Die Beseitigung von allem basisdemokratischen und sozialistischen Schnickschnack, so unvollkommen dieser auch ist und die Durchsetzung einer autoritären, konsequent marktliberalen Herrschaft, die sowohl pro-westlich als auch ordentlich islamisch-religiös ist.

In Libyen scheint „der „Grad der Unterdrückung“ nicht „durchdringender und schwerer zu sein“ als in anderen autoritär regierten Ländern, schreibt der international bekannte Völkerrechtsexperte und UN-Sonderberichterstatters für die Menschenrechte in Palästina, Richard Falk.
„Andere Gesichtspunkte geben eine bessere Erklärung: Zugriff auf und die Preisgestaltung beim Öl, Rüstungsexport, Sicherheit von Israel und der Bezug zur neoliberalen Weltwirtschaft.“

Nichts habe man aus den Kriegen in Vietnam, Afghanistan gelernt, so Falk weiter, und fahre stattdessen mit drei eklatanten Fehlern fort:
  • die Missachtung des internationalen Rechts und der Auschluss der Vereinten Nationen bei Diskussion über die Anwendung von Gewalt
  • fehlender Respekt für die Dynamik der Selbstbestimmung in Gesellschaften des Südens
  • die Weigerung eine für eine post-koloniale Welt angemessene Moral und Politik zu verfolgen
(Richard Falk, Kicking the intervention habit – Should talks of intervention in Libya turn into action, it would be illegal, immoral and hypocritical, Aljazeera, 13.2.2011)

Unterdessen meldet Xinhua dass die Zahl der getöteten Demonstranten im US-Protektorat Jemen auf 51 stieg und schwerbewaffnete Armeeeinheiten die Hauptstadt und anderer Großstädte „fluteten“, um den Ausnahmezustand durchzusetzen . (Heavy troops deployed as death toll of protesters rises to 51 in Yemen, Xinhua, 19.3. 2011)
Susanne (Gast) - 21. Mär, 21:53

Danke

für die detaillierten Informationen. Über die "normale" Presse ist es einfach unmöglich, sich ein Bild zu machen.

Thomas Hohnerlein - 22. Mär, 09:48

Das deckt sich absolut mit meinen Einschätzungen. In der Öffentlichkeit weht uns ein scharfer Wind ins Gesicht, ob dieser Positionen. Die verlotterte und korrupte Mainstreampresse tut ja alles, ein Bild von den Prozessen in Libyen herzustellen, welches aber auch nichts mit der Realität zu tun haben dürfte. Ziehen wir das in Zweifel, sind wir Parteigänger Gaddafis. Interessanterweise spielt fast keine Rolle, wie Europa in den letzten Jahren Gaddafi hofiert und aufgerüstet hat, keine Rolle spielen Gerüchte von Lynchjustiz durch die sog. Opposition gegen Migranten aus dem subsaharischen Afrika, es scheint keine Rolle zu spielen, das die jemenitische Opposition um Hilfe gebeten hat und daruf interessanterweise kein Schwein reagiert, wie in Bahrein, wo man zum Einmarsch der saudischen Armee mehr oder weniger verlegen geschwiegen hat. Ich bin gespannt, wie sich angesichts der mehrfachen Standards im Umgang mit dem Aufstand der arabischen Straße, die Strategie gegenüber Libyen aufrecht erhalten läßt, die Intervention als humanitär, als Schutz vor Blutbädern gegen (unbewaffnete) Zivilisten, als Hilfe für Urdemokraten im Kampf gegen das Böse erscheinen zu lassen und das auch noch allgemein geglaubt wird, während man gut vernehmbar darum zittert, dass die Salehs, die al-Chalifas und all die anderen Despoten im Boot bleiben mögen, damit die Weltgeschäftsordnung und die Geschäfte ungestört weiterlaufen. Und ich warte hier in Berlin darauf, dass es ein linkes Friedenszeichen gegen diese Politik gibt. Hat jemand was gehört?

anonym (Gast) - 22. Mär, 11:30

Bengasi

aber was ist denn mit den Rebellen in Bengasi, die massakriert würden wenn die Söldner mal da gewesen wären..?

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