Wahlen im Iran: Betrugsthesen und Zahlenspiele
- Chatham House: "Beweis" für Fälschung durch Vergleich der Wahlergebnisse
- Esam Al-Amins genauer Blick auf Zahlen und Fakten
Auch wenn es der Protestbewegung im Iran längst um mehr, als um den vermuteten Wahlbetrug geht, steht im Zentrum der Forderungen nach wie vor die nach Annulierung der Wahl und Neuwahlen. So bleibt auch die Frage, ob die Wahlen tatsächlich gefälscht wurden, weiterhin zentral.
- Forderung von Neuwahlen ohne vorheriger Neuauszählung
Auch für Mohssen Massarrat, ein langjähriger Mitstreiter der dt. Friedensbewegung, kommen nur Neuwahlen in Frage. Der im Iran geborene Politologe, der mit erstaunlich wenig kritischer Distanz, die aus dem Iran strömenden Informationen aufnimmt (s. Irans neue Revolution: Fakten und Missverständnisse ) protestierte in einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel vehement dagegen, nur eine Überprüfung der Wahlen oder Neuauszählung zu verlangen. Mit der "Forderung der Neuauszählung der Stimmen" würde man "in die Falle des Regimes" tappen, "das genau mit der Neuauszählung in bestimmten Wahlkreisen von dem großen Betrug ablenken will."
Wie man dann einen Betrug nachweisen kann, verrät er nicht. Dies scheint für ihn, wie für viele anderen Aktivisten auch gar nicht wichtig zu sein.
Massarrat geht, wie viele, die die Betrugsthese vertreten, davon aus, dass das Innenministerium die veröffentlichten Wahlergebnisse schlicht frei erfunden hat. In einer "Diktatur" ist nach dieser Sicht Alles möglich und so erübrigen sich natürlich alle Überlegungen, wie ein so gigantischer Wahlbetrug praktisch durchgeführt werden kann.
(Bahman Nirumand sieht das iranische System differenzierter)
Doch was spricht dann gegen eine Überprüfung der Stimmauszählung, bzw. eine Neuauszählung. Im Iran werden, wie überall, die einzelnen Auszählungen dokumentiert und elektronisch erfaßt. Man müßte also erstmal nur die Summen der einzelnen Zählergebnisse einer Stadt mit den für die Stadt veröffentlichten Zahlen vergleichen. Das Innenministerium hat angekündigt die Auszählergebnisse auf der Basis einzelner Urnen zu veröffentlichen. Falls dies nicht passiert, wäre es an der Zeit, sie anzufordern.
Falls Massarrat & Co. Recht hätten, wäre der Betrug sofort offensichtlich. (Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass dann nicht schon längst die Abweichungen in einigen Städten ans Licht gekommen wären.) Neuwahlen würden sich dann aber erübrigen, da sich das tatsächliche Wahlergebnis einfach durch korrekte Addition ermitteln ließe.
Falls die Summen jedoch stimmen, bliebe die Neuauszählung von Urnen. Auch da würde ich nicht viel erwarten. Auch wenn es, wie Mussawi beklagt, an einigen Orten Behinderung von Wahlbeobachtern der oppositionellen Kandidaten gab, so wahren doch zigtausende präsent. Und keiner hat eine formelle Beschwerde eingelegt.
- Vorbefüllte Urnen
Mussawi selbst ist von seiner ursprünglichen Behauptung, die Zahlen seien im Innenministerium gefälscht worden, klammheimlich abgerückt und behauptet nun plötzlich, viele Urnen wären zu Beginn nicht leer gewesen. Dann könnte man sich eine Neuauszählung in der Tat sparen.
Allerdings stellt sich dann wieder die Frage, wie dies umbemerkt organisiert werden konnte. Immerhin hätten ca. 11 Mio. Stimmzettel auf zigtausend Urnen im ganzen Land verteilt werden müssen, ohne dass es am Wahltag einem der Zehntausenden von Wahlhelfern aufgefallen wären.
Eine stichprobenartige Überprüfung von Urnen im Beisein von Vertretern aller Beteiligen, wie vom Wächterrat vorgeschlagen, könnte durchaus auch Hinweise auf solche Fälschungen bringen. Die strikte Weigerung Mussawis, sich an solchen konkreten Maßnahmen zur Überprüfung der Wahlen zu beteiligen, deutet - wie sein frühes Vorpreschen in der Wahlnacht - stark auf ein abgekartets Spiel von ihm und seinen Förderern hin.
- Chatham House Studie: "Beweis" für Wahlfälschung durch Vergleich der Wahlergebnisse 2005 und 2009
Da handfeste Beweise fehlen, haben weiterhin Zahlenklaubereien Konjunktur.
Am umfangreichsten ist die vom Londoner Chatham House durchgeführte Analyse, die die Ergebnisse der aktuellen Wahlen mit denen des Jahres 2005 verglich. Die Studie wurde von den westlichen Medien begeistert aufgenommen, als durchschlagender Beweis für die Fälschung der Wahl. Tatsächlich verglichen auch die Autoren dieser Studie nur ihre eigenen Annahmen über das Wahlverhalten verschiedener Wählerschichten mit dem was veröffentlicht wurde. So gehen sie ohne Begründung, davon aus, dass kein Wähler der 2005 Gegenkandidaten Ahmadinedschads wählte, diesmal für ihn gestimmt haben könnte.
Der US-amerikanische Statistikprofessor Walter Mebane, ein führender Experte für Wahlfälschungen, hatte ebenfalls die Wahlergebnisse untersucht, jedoch keinen soliden Hinweis für Fälschungen gefunden, auch Nate Silver, ein "US Statistic Guru", stellte fest, dass die "Wahlergebnisse aus statistischer Sicht valide" sind. (Kaveh L. Afrasiabi, Crunching the numbers, Asia Times, 25.6.2009)
Laut Mebane der gleichfalls die 2005er mit den 2009er Ergebnissen auf Distriktebene verglich, sind die veröffentlichten aktuellen Ergebnisse im Einklang mit den grundlegenden statistischen Trends. So schnitt Ahmadinedschad tendenziell in den Städten am schlechtesten ab, in denen die Wahlbeteiligung am meisten wuchs. Chatham House kam zum genau umgekehrten Ergbnis und wertete die Unplausibilität eines solchen Trends als Indiz für Betrug.
Die Chatham House Studie erwecke den Eindruck, so Afrasiabi, als wolle er mit der "schieren Gewalt der Charts und Zahlen" eine Fälschung als unwiderlegbare Tatsache erscheinen lassen, nachdem die protestierenden Kandidaten "auch nach 2 Wochen keine handfeste Beweise vorlegen konnten." Obwohl Mussawi über 40.000 Beobachter an den Urnen hatte, habe keiner eine formelle Beschwerde eingelegt.
Ein sehr guter Artikel von Esam Al-Amin in Counterpunch zum Thema Wahlbetrug wurde nun von der jungen Welt auf deutsch veröffentlicht. (Nichts als unbewiesene Anschuldigungen - Analyse. Ein genauer Blick auf Zahlen und Fakten zur iranischen Präsidentschaftswahl )
Auch für ihn sind
"die Vorwürfe des Wahlbetrugs im wesentlichen nur eins: unbewiesene Anschuldigungen. Bis jetzt war noch niemand in der Lage, auch nur den Anschein eines konkreten Beweises zu liefern für den angeblich großangelegten Wahlbetrug, mit dem sich ein Kandidat elf Millionen Stimmen Vorsprung vor seinem Kontrahenten gesichert haben soll.Er analysiert im folgenden die verfügbaren Beweise und bringt neben den bereits bekannten auch noch einige andere Argumente, die gegen einen Betrug sprechen. Zum Vorwurf, dass die Schnelligkeit mit der Ergebnisse am Wahlabend veröffentlicht wurden, unplausibel sei, bringt er z.B. folgende Kalkulation:
In den Städten, Kleinstädten und Dörfern Irans waren insgesamt 45713 Wahlurnen aufgestellt worden. Geht man von 39,2 Millionen abgegebenen Stimmzetteln aus, dann waren das weniger als 860 Stück pro Urne. ... die iranischen Wähler [hatten] nur eine Entscheidung zu treffen: welchen der Kandidaten sie zum Präsidenten wählen wollten. Warum sollte es länger als ein bis zwei Stunden dauern, 860 Stimmzettel pro Urne zu zählen?Und allgemein:
Insgesamt wurden über dreißig Wahlgänge im Land durchgeführt. Daraus entwickelte sich eine Tradition ordentlich durchgeführter Wahlen unter Einrichtung von Wahlbezirken ähnlich denen in den USA oder in Großbritannien. Die Wahlen in Iran werden von Lehrern und professionellen Kräften einschließlich Angestellten und Pensionären des öffentlichen Dienstes organisiert,Daneben bringt er auch eine Reihe überzeugender Erklärungen dafür, warum Ahmadinedschad so gut abschneiden konnte. So z.B. dass hinter dem Amtsinhaber eine Partei steht, mit deren Hilfe er eine effektive Wahlkampagne im gesamten Land machen konnte, während sich Mussawi auf die größeren Städte konzentrieren mußte.
überwacht und die Stimmen ausgezählt (auch dies ähnlich wie in den USA).
In Iran hat es nie eine Tradition des Wahlbetrugs gegeben. Man kann über das System der Islamischen Republik sagen was man will, aber seine gewählten Abgeordneten haben Minister wegen Amtsvergehen unter Anklage gestellt, und sie haben die von diversen Präsidenten, einschließlich Ahmadinedschad, vorgeschlagenen Kandidaten für bestimmte Ämter blockiert.
Sie sind keinesfalls Ja-Sager, die alles absegnen. Der frühere Präsident Mohammed Khatami, der als einer der führenden Reformisten in Iran gilt, ist in einer Zeit vom Volk gewählt worden, als das Innenministerium fest in der Hand erzkonservativer Kräfte war. Er hatte die Wahl mit über 70 Prozent gewonnen, und nicht nur einmal, sondern sogar zweimal.
Wenn es um Wahlen geht, ist nicht Wahlbetrug in Iran das Problem, sondern die Frage, ob die Kandidaten überhaupt eine Chance bekommen (ein Problem, das nicht typisch ist für dieses Land, man frage nur Ralph Nader oder irgendeinen anderen Kandidaten einer dritten Partei in den USA). Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß es in Iran zu einer von höchster Stelle angezettelten Verschwörung gekommen ist, die
Zehntausende Lehrer, professionelle Helfer und zivile Beamte mit einbezogen hätte, und trotzdem irgendwie total im verborgenen gelaufen und unentdeckt geblieben sein soll.
Der New Yorker Blogger Lord Baltimore zitiert in seiner sehr ausführlichen Zusammenfassung der Argumente gegen einen Wahlbetrug "In Fraud, We Trust?" den Bericht eines Wahlhelfers an der Universität von Shiraz, der die Möglichkeit einer Manipulation in seinem Wahllokal ausschließt.
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