Imperialistische Doppelspiele in Nordafrika

Washington war, wie Paris, London und Berlin wohl vom Zeitpunkt, Größe und Entschlossenheit der Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten überrascht, hatten aber durchaus registriert, dass die von ihnen gestützten Regime, in dieser Form nicht mehr lang haltbar sein werden und sich darüber Gedanken macht, wie die fälligen „Regime Changes“ so gestaltet werden können, damit sich im Kern nichts an den für sie so vorteilhaften Zuständen ändert.

Aus diesem Grund hat man auf erprobte Weise begonnen, sich in den oppositionellen Bewegungen und in der sogenannten Zivilgesellschaft um erste Standbeine zu kümmern. Die bewährten Hilfen dafür sind seit langem die staatstragenden, parteinahen Stiftungen und Institutionen wie die National Endowment for Democracy (NED) und das Freedom House (FH). Die NED ist z.B. seit längerem in Tunesien aktiv, FH in ganz Nordafrika.
 
So betreibt Freedom House ein Programm, das eine neue Generation von Reform-Aktivisten schaffen soll, indem es ihnen die nötigen Kompetenzen und Strategien für einen friedlichen politischen Wandeln vermittelt. (Freedom House, New Generation of Advocates: Empowering Civil Society in Middle East and North Africa)

Bzgl. Ägypten betreibt FH ein spezielles Programm. In dessen Beschreibung ist von einer lebendigen ägyptischen Zivilgesellschaft die Rede, wo hunderte NGOs in einer „stark reguliert Umgebung“ daran arbeiten, „die bürgerlichen und politischen Rechte im Land zu erweitern.“
Das Programm beinhaltet neben dem Erfahrungsaustausch zwischen Aktivisten „aus Ägypten sowie aus etablierten und aufstrebenden Demokratien“ auch ein „fortgeschrittenes Training für zivile Mobilisierung, strategisches Denken, Neue Medien, Werbung und Ausweitung des Wirkungskreises.“ (New Generation of Advocates: Empowering Civil Society in Egypt ) So wurden Blogger beispielsweise in der Anwendung neuer Tools der Sozialen Medien unterwiesen.

Das Programm wurde bereits unter Bush intensiviert. Ägyptische Teilnehmer des Programms erhielten bei ihrem Aufenthalt, laut FH in den USA im Mai 2008 eine nie dagewesene Aufmerksamkeit. Sie wurden in Washington sogar von der Außenministerin Condoleeza Rice, dem nationalen Sicherheitsberater und prominenten Kongressmitgliedern empfangen. Die Außenministerin bezeichnete sie dabei als „Hoffnung der Zukunft Ägyptens“. Für Rice lag diese Zukunft damals allerdings noch in weiter Ferne, denn zur selben Zeit hatte sie in Washington auch engen und vertraulichen Kontakt mit Mubarak.

Im Mai 2009 empfing dann Hillary Clinton die Delegation von ägyptischen Dissidenten, die sich von Freedom House in den USA fortbilden ließen. Während ihres Volontariats erhielten sie ein Training in politischer Kampagnenarbeit und konnten bei Besuchen von US-Regierungsbeamten, Mitgliedern des Kongresses, Medienvertretern und Denkfabriken eine Menge Kontakte knüpfen. (Freedom House, Egyptian Activists Stress Democracy, Human Rights in Talks with U.S. Secretary of State, 28.5.2009)

Die USA sichern sich auf diese Weise, wie Michel Chossudovsky richtig bemerkt, einen Kreis von Aktivisten, die mit ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und der materiellen Unterstützung in oppositionellen Gruppen eine prominente Rolle spielen und dazu beitragen, dass die westlichen Drahtzieher hinter Mubarak, insbesondere die US-Regierung, nicht ins Visier der Protestbewegung gerät. (Michel Chossudovsky, The Protest Movement in Egypt: „Dictators“ do not Dictate, They Obey Orders, Globalresearch, 28.01.201, bei Tlaxcala gibt es eine nicht ganz vollständige Roh-Übersetzung ins Deutsche)

Deutsche Doppelstrategie

Doch auch Berlin haben die Ereignisse nicht ganz unvorbereitet getroffen. Wie german-foreign-policy.com berichte, haben auch die deutschen parteinahen Stiftungen schon längst ihre Kontakte zu oppositionellen Gruppen in den arabischen Ländern aufgebaut.
Für den Fall, dass sich die Kontrolle der Militärs in Ägypten nicht stabilisieren lassen sollte, hält Berlin auch zu Oppositionellen Kontakt. Mittel sind unter anderem die parteinahen Stiftungen wie die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP. Die Naumann-Stiftung unterstützt in Ägypten nicht nur staatliche Organisationen wie die Egyptian Radio and Television Union (ERTU) und den National Youth Council (NYC), sondern auch oppositionelle Vereinigungen wie die Egyptian Organization for Human Rights (EOHR), die 1985 von Ayman Nour gegründet wurde. Nour ist der Vorsitzende der Oppositionspartei el-Ghad, in deren Hauptquartier sich am gestrigen Mittwoch die wichtigsten Verbände der ägyptischen Opposition trafen, um über ihr künftiges Vorgehen zu beratschlagen.[5] Nours el-Ghad-Partei ist Gründungsmitglied des Network of Arab Liberals (NAL). Das Netzwerk wurde im Jahr 2006 als Netzwerk liberaler Parteien aus arabischsprachigen Staaten gegründet und ist der engste Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung dort. Es sieht sich als Entsprechung zu dem lateinamerikanischen Parteienbündnis RELIAL, das in Südamerika der Unterstützung subversiver sezessionistischer Kräfte beschuldigt worden ist (Einflusskampf am Nil, gfp, 03.02.2011.
Damit ist auch hier das Terrain für eine „deutsche Doppelstrategie“ bereitet, wie sie Wolfgang Ischinger, Leiter der heute beginnenden Münchner „Sicherheitskonferenz“ im Vorfeld der diesjährigen Veranstaltung empfiehlt.
Man dürfe einerseits die Kontakte zu den Regimen nicht vernachlässigen ("das realpolitisch Notwendige" tun), müsse sich andererseits aber auch um die Demonstranten bemühen ("die Demokratie fördern"), erklärt Wolfgang Ischinger. Grund ist das Bemühen, unabhängig vom Ausgang der Aufstände in Nordafrika nach deren Ende auf Seiten der siegreichen Kräfte zu stehen. Als Mittel zur Herstellung von Beziehungen zu den Demonstranten empfiehlt Ischinger, ein erfahrener deutscher Diplomat, die parteinahen Stiftungen. Sie könnten an der Seite der Opposition operieren, während die Bundesregierung weiterhin mit den Machthabern paktiere. Die "Doppelstrategie" ist erprobt und hat der Bundesrepublik in Umbruchsituationen oft geholfen, exklusive Beziehungen zu neu an die Macht kommenden Kreisen aufzubauen. Dies gilt für Übergänge von Diktaturen zur Demokratie - etwa in Spanien und Portugal während der 1970er Jahre - ebenso wie für Übergänge von Demokratien zu Putschistenregimen wie in Honduras 2009. (Die deutsche Doppelstrategie, gfp, 04.02.2011)
USA bereits direkt im Spiel

Die oppositionellen Kräfte in Tunesien und Ägypten müssen höllisch aufpassen, damit ihnen nicht wieder in kurzer Zeit die Butter vom Brot genommen wird.

In Tunesien war die Obama-Verwaltung schnell zur Stelle, fest entschlossen bei der „Demokratisierung“ eine Schlüsselrolle zu spielen und, wie AFP konstatierte, nebenbei die Position Frankreichs zu schwächen, das zu lange zu offen Ben Ali die Stange hielt. (US helping shape outcome of Tunisian uprising, AFP, 25.1.2011) „Die Vereinigten Staaten, die sehr schnell die Stärke der Protestwelle in den Straßen Tunesiens einschätzten, versuchen nun ihren Vorteil daraus zu schlagen, indem sie auf demokratische Reformen im Land drängen.“ Der oberste US-Gesandte im Nahen und Mittleren Osten, Jeffrey Feltman, war der erste ausländische Diplomat, der nach dem Sturz von Präsident Zine El Abidine Ben Ali am 14. Januar im Land eintraf und er rief sofort nach Reformen.
Nach Ägypten schickte Washington einen Experten für verdeckte Operationen, Frank G. Wisner, der bereits früher Botschafter in Kairo war und als Freund Mubaraks gilt. Dessen Vater, Frank Wisner sen. hatte u.a. die operative Abteilung der CIA aufgebaut und war einer der Hauptakteure beim Sturz der fortschrittlichen Regierungen Mossadegh im Iran (1953) und Arbenz in Guatemala (1954). Laut SourceWatch entfernte sich Wisner nicht weit von der Familientradition und war ebenfalls immer wieder für die CIA tätig. (Mehr dazu siehe CIA: Frank G. Wisner arrived in Cairo, Voltairenet.org , 2.2.2011)

Nachtrag: Der Stern zur Behandlung des Thema Ägypten auf der NATO-Konferenz in München:
In München haben Angela Merkel und Hillary Clinton ihre Ägypten-Doppelstrategie vorgestellt: Der Westen setzt auf die alten Eliten, bremst das Volk - und hofft auf Reformen von oben.
...
Es ist eine Doppelstrategie, die auf Kooperation mit den herrschenden Eliten und dem Volk setzt. Ob diese eher konservative Kopfgeburt auf den Straßen von Kairo irgendjemanden interessiert, kann niemand vorhersagen. (Sicherheitskonferenz in München: Benehmt euch, Revolutionäre! Stern.de, 5. Februar 2011)

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