„Raus aus der Nato”

Joachim Guilliard, 30.9.2018 (ungekürzte und unredigierte Version des Artikels in Marxistische Blätter 6_2018)

Darüber, dass die NATO ein Militärbündnis ist, das aufgelöst werden sollte, herrscht in der Friedensbewegung und der Linken weitgehend Einigkeit, auch wenn die Einschätzungen über ihren Charakter und ihre Rolle differieren. Strittig ist jedoch, welchen Stellenwert ein Engagement gegen die transatlantische Allianz einnehmen sollte, auf welchem Weg sie beseitigt werden könnte und welche konkreten Forderungen in Deutschland zu stellen sind. Vor allem für die Aktivisten, die der NATO eine bedeutende Rolle an den aktuellen Kriegen und Krisen beimessen, ist die simple Forderung nach „Auflösung der NATO“ zu unbestimmt. Das Bündnis kennt keinen Mechanismus dafür und es ist nicht zu erwarten, dass die Mitglieder einmal auf einem Gipfel gemeinsam seine Auflösung beschließen werden. Mit dem Hinweis darauf hat ja der schlitzohrige Gregor Gysi dem US-Botschafter signalisiert, dass die Forderung der Linkspartei nach Abschaffung der NATO Washington nicht beunruhigen müsse, da dies ja der Zustimmung der USA oder Großbritanniens bedürfe.
 
Das einzige realistische Szenario ist, dass sukzessive einzelne Mitgliedsländer oder auch, abgestimmt, Gruppen von Ländern der Allianz den Rücken kehren und diese damit stetig an Bedeutung verlieren würde. Daraus ergibt sich hierzulande logischer Weise die Forderung an die Bundesregierung nach einem Austritt Deutschlands. Diese richtet sich an eine konkrete dafür zuständige Adresse und wäre bei entsprechenden Mehrheiten einfach umzusetzen: gemäß Artikel 13 des Nordatlantikvertrags „kann jede Partei aus dem Vertrag ausscheiden, und zwar ein Jahr, nachdem sie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Kündigung mitgeteilt hat.“

Dennoch tun sich viele Linke und Friedensbewegte mit der Forderung „Deutschland raus aus der NATO“ schwer oder wollen sich aus prinzipiellen Erwägungen auf die nach Auflösung beschränken.

Ein deutscher Austritt allein würde die Kriegspolitik der NATO nicht grundlegend ändern, so argumentieren manche, Berlin würde jedoch jeglichen Einfluss auf sie verlieren.

Dabei werden jedoch die Einflussmöglichkeiten stark überschätzt. Die Allianz ist kein demokratischer Club. Ihre Politik wird durch das Agieren ihrer mächtigsten Mitgliedsstaaten bestimmt, vor allem natürlich durch das der USA, für die die NATO von Beginn an ein entscheidendes Mittel war, die europäischen imperialistischen Mächte auf einen gemeinsamen, von Washington dominierten Kurs zu bringen. Gibt es innerhalb der NATO keine Einigkeit ‒ dies ist eher die Regel ‒ dann operieren die USA, wie wir gesehen haben, einfach mit einer Allianz von Willigen, können dabei aber bei ihren Kriegshandlungen auf die komplette, im Rahmen der NATO geschaffenen Infrastruktur und das in Manövern eingespielte Zusammenwirken zurückgreifen.

Sowohl beim zweiten Krieg gegen den Irak 2003 als auch beim Überfall auf Libyen war Deutschland dadurch trotz politischer Ablehnung aktiv an den Feldzügen beteiligt. Über die US-Militärbasen in Deutschland lief bekanntlich u.a. ein Großteil des Nachschubs in den Nahen Osten und der Kommunikation und deutsche Soldaten setzten durch die Übernahme von Wachaufgaben US-amerikanischen für ihren Einsatz gegen den Irak frei. Die Luftangriffe auf libysche Städte 8 Jahre später wurden zum großen Teil in Ramstein und Stuttgart gesteuert.

Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung, würde ein Wegfall ihrer Stützpunkte und ihrer Infrastruktur in Deutschland die militärischen Möglichkeiten der USA in Europa, Westasien und Afrika für längere Zeit spürbar einschränken. Ein Austritt und die logischer Weise damit verbundenen Kündigung des NATO-Truppenstatus und des Vertrags über die Stationierung ausländischer Streitkräfte, die ebenfalls problemlos mit einer Kündigungsfrist von zwei Jahren möglich ist, könnte so durchaus den Umfang militärischer Interventionen in diesen Regionen verringern.

Viele lehnen die Losung „Raus aus der NATO“ ab, weil sie auf einen nationalen Alleingang abzielen würde und Unterstützung rechter, nationalistischer Kreise anziehen könnte. Tatsächlich bezieht sich die Forderung aber nicht nur auf einen Austritt Deutschlands, sondern auf den möglichst vieler Länder und soll selbstverständlich im Bündnis mit Bewegungen anderer Mitgliedsstaaten vorangetrieben werden. In vielen Ländern, wie z.B. Portugal oder Griechenland, ist die Stimmung gegen die NATO wesentlich ausgeprägter als hier und selbst in Großbritannien wurde mit Jeremy Corbyn ein langjähriger scharfer NATO-Kritiker Labour-Vorsitzender. [[Dieser erklärte nach seiner Wahl, er würde eigentlich das Land gerne aus dem Bündnis entfernen, solange es dafür aber noch keine Mehrheit in der Bevölkerung gäbe, wolle er stattdessen seine Rolle einschränken.[1]]]

Natürlich gibt es in Deutschland Kapitalfraktionen, die eine unabhängige deutsche Großmachtrolle anstreben und aus diesem Grund einen Austritt aus NATO befürworten könnten. Raus aus NATO war aber nie eine isolierte Forderung, sondern stets verbunden mit der nach Abrüstung und Beschränkung der Außenpolitik auf friedliche Mittel. Da das Engagement gegen die NATO selbstverständlich mit der Forderung nach einer weitgehenden Abrüstung der Bundeswehr zusammen gehen muss, zumindest bis hin zu einer strukturellen Nichtangriffsfähigkeit der deutschen Streitkräfte, müsste man keinen Beifall von der falschen Seite befürchten.

Auch die Furcht vor der Aggressivität einer unabhängigen deutschen Großmacht, die nicht mehr in einem Bündnis durch andere mächtige Staaten eingebunden ist, wird häufig gegen einen Austritt ins Feld geführt. Die Vorstellung jedoch, der deutsche Imperialismus würde ausgerechnet durch die Mitgliedschaft im westlichen Aggressionsbündnis unter Führung der USA eingehegt, erscheint reichlich abwegig. Wie die Entwicklung seit dem Anschluss der einstigen DDR zeigt, war und ist für den deutschen Imperialismus die NATO der unverzichtbare Rahmen für die Entwicklung des wiedervereinten Deutschland zur „normalen“ militärischen Großmacht. Es war der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, in dem es seine bisherige Zurückhaltung aufgeben und zum ersten Mal nach 1945 wieder aktiv an einem Krieg teilnehmen konnte und der Krieg in Afghanistan ermöglichte den deutschen Streitkräften wieder erste praktische Kampferfahrungen. Außerhalb der NATO wäre die Bundeswehr bis heute kaum über Blauhelmeinsätze im Rahmen von UNO-Missionen hinausgekommen.

Die herrschenden Kreise bemühen sich zwar, über den Aufbau eigenständiger militärischer Strukturen der EU ein zweites Standbein zu entwickeln. Dennoch wären die Möglichkeiten, militärische Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen einzusetzen nach einem Ausscheren aus dem von den USA dominierten Lager für absehbare Zeit recht begrenzt. Nicht nur in Washington, auch in den Hauptstädten der anderen westeuropäischen Mächte würde die deutsche Politik äußerst misstrauisch verfolgt.

Vor allem wäre ein Austritt ja auch nicht isoliert von der sonstigen politischen Entwicklung im Land durchzusetzen. Wenn die linken und friedensbewegten Kräfte einmal so stark sein werden, ihn auf die Tagesordnung zu setzen, haben sie sicherlich auch die Kraft den deutschen Militarismus zurückzudrängen, Abrüstungsschritte durchzusetzen und die Interventionsfähigkeit der Bundeswehr zu beschränken. Und selbstverständlich stünde dann neben dem Austritt aus der NATO auch das Ausscheren aus den militärischen Strukturen der EU auf der Agenda.

Die Fraktion DIE LINKE hat im Juni 2016 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, „die NATO durch ein kollektives System für Frieden und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands [zu] ersetzen“. Als einen ersten Schritt auf diesem Weg fordert sie „den Austritt aus den militärischen und Kommandostrukturen der NATO“ und die Kündigung des NATO-Truppenstatuts sowie eine Vereinbarung mit den USA, Großbritannien und Frankreich über den Abzug ihrer Truppen aus Deutschland. Durch die Beschränkung auf den Austritt aus der militärischen Integration würde man, nach den Vorstellungen der Linksfraktion, die NATO nicht einfach sich selbst überlassen, sondern Berlin ermöglichen, weiterhin auf Entscheidungen der NATO einzuwirken. [2] Sie klingt auch realistischer, da es für einen solchen Schritt bereits Präzedenzfälle gibt:1966 hatte Charles de Gaulle einen solchen Austritt erklärt, Griechenland folgte 1974 und Spanien 1982. Dies führte jeweils zwar zu einigen Turbulenzen im Bündnis, führte aber zu keinem Bruch dieser Staaten mit den USA und den übrigen Staaten der Allianz. Alle drei unterstützten jedoch in dieser Zeit politisch weiterhin weitgehend den, von den USA vorgegeben Kurs und traten später wieder vollständig bei (Griechenland 1980, Spanien 1999 und Frankreich 2009). Dies zeigt bereits die Beschränktheit einer solchen Maßnahme. Zudem erscheint die Vorstellung, ein militärisch ausgestiegenes Deutschland könnte mäßigend auf die Kriegspolitik der NATO einwirken, ziemlich naiv.

Als ersten Schritt zu einem vollständigen Austritt, verbunden mit der Kündigung der Abkommen, die ausländischen Truppen die Nutzung von Militärstützpunkten auf deutschen Territorium ermöglicht, wäre ein Ausscheiden aus den militärischen Strukturen natürlich ein enormer Erfolg. In diesem Sinn ist die Initiative der Linksfraktion durchaus zu begrüßen. Die Friedensbewegung sollte dennoch weiterhin beim konsequenten und auch einfacher zu vermittelnden „Raus aus der NATO“ bleiben.

[1] Jeremy Corbyn backtracks on calls for Britain to leave Nato, The Telegraph, 27.5.2015

[2] Alexander Neu, NATO: Auflösung ist einfacher als Transformation – Gastbeitrag, Welttrends, Oktober 2017

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